The Libertines auf Deutschlandtour

"Ein Glücksfall für die polierte Popkultur"

Pete Doherty (l) und Carl Barat von der Band "The Libertines"
Verstehen sich wieder richtig gut: Pete Doherty (l) und Carl Barat von The Libertines. Hier beim Lollapalooza Festival im September 2015 in Berlin. © picture alliance / dpa / Foto: Gregor Fischer
Von Elissa Hiersemann · 08.02.2016
Nach elf Jahren Albumpause haben The Libertines "Anthems for doomed Youth" veröffentlicht. Dazwischen lagen Drogenexzesse und Gefängnisaufenthalte. Am Sonntag startete die britische Band mit Sänger Pete Doherty ihre Deutschlandtournee in Berlin.
The Libertines um Skandalsänger Pete Doherty galten bisher als notorisch unpünktlich oder kommen erst gar nicht. Jedoch nicht am Sonntag in Berlin, wo sie ihr neues Album "Anthems for doomed Youth" vorstellten. Überraschend pünktlich, berichtete Musikkritikerin Elissa Hiersemann im Deutschlandradio Kultur, stand die Band gegen 21.30 Uhr auf der Bühne. Auch Pete Doherty zeigte ein Maß an Professionalität, was für The Libertines ziemlich beachtlich sei, so Hiersemann.
"Es gab andere Zeiten. The Libertines haben nicht nur tolle Musik hervorgebracht, sondern vor allem Soap Opera, die das Leben geschrieben hat, mit allen Exzessen. Hauptrolle spielen dabei Pete Doherty und sein kongenialer Partner in der Band Carl Barat, Brüder im Geiste."
Die Freundschaft sei vor allem durch Pete Dohertys Drogensucht auf die Probe gestellt worden. Abgesagte Konzerte waren der Regelfall, es gab einen Einbruch von Doherty in Barats Wohnung, wofür er zwei Monate ins Gefängnis musste. Es folgten etliche Drogenentzüge und Abbrüche, unzählige Auf und Abs und zwei Alben. Ende 2004 war dann erst einmal Schluss.
Versuche der Reunion
Immer wieder gab es Versuche, The Libertines zu reaktivieren, so gab es 2010 zwei Konzerte in Groß Britannien. Jetzt nun endlich ein neues Album und eine neue Tour.
"Tour und Album sind ein Glücksfall für die derzeitige polierte Popkultur", so Hiersemann. "Wir leben in einer Zeit der ständigen Selbstoptimierung, die auch vor Musik nicht halt macht. Der Neoliberalismus gaukelt einem mit seiner Überwältigungstaktik vor, alles sei jederzeit spitze."
Niemand glaube wirklich, dass ein Sandwich glücklich macht, aber das wird einem überall um die Ohren gehauen, und das führe zu einer Art Selbsttäuschung
"The Libertines haben da nie mitgemacht – ganz im Gegenteil – ihr Credo war eher ´Verschwende deine Jugend`, die Antithese zum Neoliberalismus. Sie haben ihr Talent verschwendet und sind damit sehr weit gekommen. Auch, dass diese beiden Königskinder Pete Doherty und Carl Barat wieder zusammen gefunden haben, ist Triumph einer Freundschaft, die alles gesehen hat."
Zwei Liebende auf der Bühne
Im englischen gibt es den Begriff "bromance" (brother/ romance) dafür. Barat und Doherty seien wie zwei Liebende, die sich brauchen, wenn es um ihre Band The Libertines geht. Der eine verkörpert den Abgrund und der andere die Bodenhaftung. Zusammen seien sie komplett und genial, das hätten beide jetzt erkannt, fasste Elissa Hiersemann die komplexe Beziehung der beiden Bandmitglieder zusammen.
"Es war schön, das gestern Abend mit anzusehen: wie sie mit dem gleichen Libertines-Shirt auf die Bühne kamen, beide in Jeans, Hut. Beiden sieht man den Lebenswandel an. Es gab immer wieder schönen Momente: wie sie sich in den Arm nehmen und ab und an das Mikrofon teilen – beide singen ja – und das sieht oft so aus, als ob sie knutschen würden."
Kein Schnickschnack bei The Libertines
Die Charts werden aktuell von Hip Hop, R’nB und Elektro-Pop dominiert. Bei den Libertines erlebe man jedoch, das "Imperfektion" etwas Schönes sein kann, sagte Hiersemann über ihre Eindrücke des Berliner Konzerts.
"Rockkonzerte ab der Größenordnung mit mehreren 1000, wie gestern in C-Halle, sind heutzutage oft Choreografien, da wird nichts dem Zufall überlassen. Bei den Libertines ist das anders. Da gibt’s kein Schnickschnack. Es gibt einen Libertines-Schriftzug an der Wand, vier Männer auf Bühne, zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass und jede Menge Verstärker und dann geht’s los. Da werden auch mal Einsätze verpasst und sich verspielt, aber es hat eine Seele."
Beim gestrigen Konzert hätte zwar auch Nostalgie mitgeschwungen.
"Aber ich habe in sehr viele beseelte Gesichter geguckt. Ich glaube, die meisten waren einfach glücklich, dass es die Band wieder gibt und alle noch am Leben sind."
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