Turner-Preis für Charlotte Prodger

"Dass sie gewinnt, ist eine Überraschung"

Charlotte Prodger, Videokünstlerin aus Schottland, wurde mit dem Turner-Preis in der Tate Britain in London ausgezeichnet.
Die Verbindung zur schottischen Landschaft ist das Thema im Siegervideo der Turner-Preisträgerin Charlotte Prodger. © dpa-Bildfun k/ Victoria Jones
Carsten Probst im Gespräch mit Vladimir Balzer · 04.12.2018
Die Videokünstlerin Charlotte Prodger hat den renommierten britischen Turner Prize gewonnen. "Bridgit", ein Film über die Heimat der Schottin, entstand allein mit dem Smartphone. Er sei wagemutig und ohne Kitsch, sagt Kulturjournalist Carsten Probst.
Eigentlich sei das interdisziplinäre Kollektiv "Forensic Architecture" aus Architektur, Juristen und Wissenschaftlern der große Favorit für den renommierten Turner-Preis aus dem Kreis der Nominierten gewesen, sagte Kulturjournalist Carsten Probst im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Preisträgerin Charlotte Prodger habe er erst durch den Turner-Preis kennengelernt. Die schottische Künstlerin habe zwar im Düsseldorfer Kunstverein eine Ausstellung gehabt, aber trotzdem sei sie bisher weitgehend unbekannt.

Ein meditativer Film über Körper und Landschaft

"Bridgit", der Film, mit dem Charlotte Prodger nominiert worden ist, habe ihn erstaunt, weil es ein sehr meditatives Werk sei. Ein Film, der sich sehr stark auf die Beziehung von Körper und Landschaft beziehe. Und auch das habe einen kultur- und geschlechtspolitischen Hintergrund, denn die körperliche Bewusstwerdung im Film sei in die schottische Landschaft eingebettet.
"Die körperliche Bewusstwerdung in dem Sinn, dass sie sich als queer begreift und geoutet hat und auf diese Weise die schottische Landschaft, in die sie hineingeboren wurde auch anders begreift, sozusagen als Mentalitätslandschaft. Und dieser Film versucht das in irgendeinder Weise einzufangen."
Man spüre dem Film eigentlich an, wie schwer es ist, das Thema mit filmischen Mitteln umzusetzen. Es sei eher ein Gegenstand für Poesie, so Probst. Trotzdem habe ihn der Film, den Prodger allein mit dem Smartphone produziert hat, überzeugt. Er passe gut in den aktuellen Jahrgang des Turner-Preises, der auch eine Zäsur darstelle:
"Er zeigt zwei Arten von Kunstwerken über die der ästhetische Disput gerade läuft. Das eine sind die stillen, meditativen, das andere sind die großen spektakulären Werke, die nach außen drängen."

Unerwartete Entscheidung der Jury

Prodgers Film zeige die Künstlerin im Selbstporträt mit vielen Landschaften ihrer Heimat, etwa dann wenn sie mit dem Schiff die schottische Küste abfährt:
"Sie ist da ganz allein auf dieser Fähre und in ganz bei sich selbst seienden Handlungen. Das heißt, sie ist in der Öffentlichkeit und der Film hat eine öffentliche Botschaft und behauptet doch ganz eigenständig so ein 'Hier bin ich und in der Welt'. Für mich war diese Entscheidung eine Überraschung."

Turner-Preis im Wandel

Den Turner-Preis könne man durchaus als wichtigsten Kunstpreis der Welt bezeichnen, denn über die Gewinner werde, auch über den Kunstmarkt hinaus, längerfristig geredet. Der Preis habe eine Botschaft, allerdings habe sich deren Schwerpunkt geändert:
"Eine Zeit lang war er bekannt für seine gesuchten Skandale mit Damien Hirst oder Martin Boyce. Mit dieser 'Licht an - Licht aus'-Installation, wo das Licht in einem Raum einfach an- und ausging und das das Werk war und sich in Großbritannien jeder monatelang aufregen konnte. Diese durch Konzeptkunst gesuchten Skandale gibt es nicht mehr, weil sich der Fokus der Gegenwartskunst zu dem Politischen, Dokumentarischen, Erzählerischen hin gewandelt hat."