"The Great Animal Orchestra" in der Fondation Cartier

Grüße vom Buckelwal

Ein junger Buckelwal schwimmt im Meer nahe der Dominikanischen Republik
Der Ruf des Buckelwals kann ein Leben verändern, zumindest das von Naturforscher Bernie Sanders. © imago / Westend61
Von Tobi Müller · 30.06.2016
Der Kalifornier Bernie Krause ist bald 78 Jahre alt und hat eine der weltweit größten Privatsammlungen von Tierlauten. Biophonie nennt er diese Klangspektren. Die Pariser Fondation Cartier widmet Krauses Aufnahmen eine Sommerausstellung: "The Great Animal Orchestra".
Musikausschnitt: Soundtrack "Apocalypse Now"
So beginnt einer der verrücktesten Filme, der je gedreht wurde: "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola.
Ein Drittel der Filmmusik und die Helikoptergeräusche, die wie in Zeitlupe vorbeiwehen, sind von Bernie Krause und seinem Syntesizer.
Für Bernie war das der Anfang vom Ende seines alten Lebens.
"Coppola hat mich acht Mal gefeuert und immer für das doppelte Gehalt wieder eingestellt. Das hätte noch so weitergehen können!"
Der Musiker und Naturforscher Bernie Krause mit Kopfhörern in der Natur. 
Der Musiker und Naturforscher Bernie Krause© Tim Chapmann
Später dann stand Krause am Strand nördlich von San Francisco und hörte zu: den Wellen, den Sturmmöwen, den Seelöwen.
"Nachdem ich als Musiker viel mit riesigen Egos und Drogen im Studio zu tun hatte, klang die Natur umso schöner. Ich dachte: Das ist viel interessanter. Und so habe ich immer mehr Zeit im freien Feld mit Tonaufnahmen verbracht und entschieden: Das ist es, für den Rest meines Lebens."

Wie Instrumente in einem Orchester

Hier grüßt sogar der Buckelwal. Dieser Ruf kann ein Leben verändern. Bernie Krause ging zurück an die Uni, doktorierte in Bio-Akustik und entwickelte das Konzept der "Biophonie". Tiere, so Krause, suchen sich ihren Platz im akustischen Umfeld wie Instrumente in einem Orchester. "The Great Animal Orchestra" heißt sein berühmtestes Buch und auch die Ausstellung in Paris in der Fondation Cartier.
"Wenn Hunderte verschiedener Organismen an einem Ort ihre akustische Bandbreite haben wollen, ist das komplex. Die Evolution hat es gelöst: Insekten, Vögel, Säugetiere, alle haben sauber voneinander abgetrennte Nischen gefunden, um ihre Stimmen zur Geltung zu bringen."
Wir hören die Biophonie aus einem kanadischen Naturpark, 300 Kilometer nördlich von Toronto. Wir hören das Heulen der Wölfe...
Doch hören wir auch eine Symphonie? Bernie Krause interessieren weniger die Einzelstimme als das Zusammenspiel aller Tierlaute. Als Musiker kann er nicht verstehen, warum sich die Wissenschaft nicht für den Orchesterklang der Tiere interessiert.
"Das ist als würde man von Beethovens 5. Symphonie nur der ersten Violine zuhören. Man kann doch das Orchester nicht erfassen, wenn man nur einem einzigen Teil zuhört?"
Krause ist überzeugt: Biophonien gehorchen musikalischen Prinzipien. Doch die großen Klang-Bibliotheken in den USA oder in England bewahren nur einzelne Tierstimmen auf. Das hat historische Gründe, Schuld ist ein Deutscher…
Ludwig Koch hat 1889, 8-jährig, den ersten Naturklang mit einer Edison-Walze aufgenommen: ein Buchfink, irgendwo in Deutschland. Koch ging später zur BBC, aber er hat das Prinzip der getrennten Vogelstimmen erfunden. Das gilt bis heute.

Viele der Stimmen existieren nicht mehr

Wie extrem die Tiere auf ihre Laute achten und sie anpassen, hat der Tonjäger Krause eines Morgens in Simbabwe erlebt. Der Urwald war trocken, das Bellen der Paviane kurz und knapp.
"Als die Paviane bei Sonnenaufgang bellten, hatte der Klang wegen der Dürre überhaupt kein Echo. Aber offenbar fanden die Affen einen sehr hohen Granitfelsen, eine Art Monolith. Sie standen davor und bellten diese Wand an, wie in einem Theaterstück. Und ihre Stimmen hatten ein Echo von bis zu sieben Sekunden!"
Wir sind wieder in den Sixties. Und kommen von den Affen zu den Monkees. 1967 setzten sie als erste Popgruppe überhaupt einen Synthesizer der Marke Moog ein.
Und wer hat den Synthie gespielt? Genau: Bernie Krause! Warum waren diese Musiker nicht scharf auf seine abgefahrenen Tierlaute?
"Niemand wollte 15 Kilo schwere Aufnahmegeräte in die Natur tragen. Und diese Typen waren alle zu stoned, um so etwas bedienen zu können."
Wie immer, wenn man etwas aufnimmt, konserviert man auch die Stimmen der Toten. Fast alles, was Bernie Krause in den letzten 50 Jahren aufgenommen hat, existiert nicht mehr. Die Ausstellung "The Great Animal Orchestra" in Paris ist auch eine Erinnerung daran, was von der Erde verschwindet.
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