The Fun Archive

Wie Amateurfotos aus dem Netz zu Kunst werden

Eine Besucherin geht in Düsseldorf am Werk "no pain, no gain" des Franzosen Thomas Mailaender vorbei. Die Ausstellung "The Fun Archive" zeigt gesammelte Artefakte der Internetkultur.
Eine Besucherin geht in Düsseldorf am Werk "no pain, no gain" des Franzosen Thomas Mailaender vorbei. Die Ausstellung "The Fun Archive" zeigt gesammelte Artefakte der Internetkultur. © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Von Ina Plodroch · 06.02.2017
Humor im Internet funktioniert oft nur für diejenigen, die sich ständig dort aufhalten. Für diese Nerds interessiert sich der französische Künstler Thomas Mailaender. Er nutzt das Internet als Fundgrube für absurde Amateurfotos, seine Ausstellung heißt "The Fun Archive".
Die Pistole zielt auf eine Fliege. Ein Vater fotografiert sein Kind vor einem brennenden Haus als wäre es eine Sehenswürdigkeit im Urlaub. Oder dieses blonde Mädchen mit dem Lady-Gaga-Shirt.
"Ich mag, wie dieses Mädchen das T-Shirt trägt, sie hat es vermutlich selbst gemacht. Ihr Gesicht sieht aber eher aus wie ein Vampir, sie sieht also echt nicht so aus wie Lady Gaga. Aber ich finde sie auf der anderen Seite sehr stylisch, dieser Mix aus Schönheit und Scheitern, das ist super."
Das Internet ist eine Fundgrube für absurde Amateurfotos. Ein bisschen wie "Pleiten, Pech und Pannen" in den 90ern im Fernsehen.

"Ich möchte ihnen ein neues Leben geben"

"All diese Fotos aus dem Internet, die Leute teilen, die irgendwie lustig aber auch politisch sind und die zeigen, wie wir leben."
Thomas Mailaender wurde 1979 in Frankreich geboren. In Paris hat er Fotografie studiert, aber weil es ja schon so viele Bilder gibt, sammelt er sie lieber als selbst abzudrücken. Am liebsten Amateurfotos aus dem Netz, die nicht in das Instagram-Schema passen, wo sich alle perfekt inszenieren oder ihr Essen fotografieren, findet Mailaender. Er will das echte Leben – ekelig, witzig, seltsam, abstrus und ohne Retro-Filter.
"Ich hab sie auf vielen Festplatten gespeichert. Aber ich möchte ihnen ein neues Leben geben und Kunst daraus machen."
Sein "Fun Archive" ist ein bisschen wie Buzzfeed für die Kunst. Das Internet vergisst zwar nichts, vergräbt aber Kleinigkeiten in den Bilderfluten. Diese Artefakte will er deshalb vor der Vergänglichkeit retten, indem er diese Fotos von ihrem digitalen Dasein befreit und sie mit ältesten fotografischen Druckverfahren, der Cyanotypie, in seine Ausstellungen bringt, als Fotobuch in DIY-Ästhetik veröffentlicht, oder sie auf Keramik-"Kunstwerken" verewigt, die wie der erste Töpferversuch eines Kindes aussehen, das noch ordentlich Konfetti und Fotos draufgeklebt hat.
"Ja, es ist ein bisschen wie Scrapbooking. Also diese selbstgebastelten Erinnerungsbücher. Am wichtigsten ist für mich dabei, dass sie durch das Keramik für immer halten. Man muss sich nur mal eine Archäologie damit vorstellen. Ich muss immer so lachen, wenn ich mir vorstelle, dass jemand diese Teile in zehntausend Jahren ausgräbt."
Und diese kunterbunte Urne findet, auf der ein Mann in einer Tropfsteinhöhle aus Würstchen steht. Ein Hund in einer Lederjacke posiert und eine Frau eine überdimensional große CD in den Händen hält. Das klingt absurd, wird aber immer lustiger, je mehr Menschen bierernst übergroße Gegenstände präsentieren. Typischer Internethumor: einer macht’s, immer mehr machen es nach. So entstehen Meme.

Kunst und Künstler veralbern

"Viele dieser Fotos werden ständig wiederholt, das ist wie ein Spiel. Ich finde das wirklich interessant. Wenn man an Hilla und Bernd Becher denkt, die haben ja auch ihre Serien immer wiederholt. Im Internet machen die Leute irgendwie das Gleiche."
Ziemlich gewagt, diese absurd-lustige Amateurfotografie im Netz mit den Pionieren der Nachkriegsfotografie zu vergleichen. Aber genau darum geht es ihm – Kunst und Künstler veralbern, den Alltag aber auch, um beides auf eine Stufe zu stellen. In Interviews erzählt er auch gerne, dass er jeden morgen eine Stunde liest: Das Guinness Buch der Rekorde, Erotikmagazine, Jagd- oder Angel-Anleitungen. Ernsthaft?
"Ich wollte mich über Künstler lustig machen, die dann ein bestimmtes Buch nennen, das sie mögen. Ich stelle mich gerne dumm, wenn ich mich präsentiere. Ich bin’s natürlich nicht, aber ich kann nichts mit dieser Idee vom superschlauen Künstler anfangen. Ich mag’s einfacher."
Und witziger. Thomas Mailaender ironisiert Kunst, das Internet – aber irgendwie auch sich selbst. Er zeigt, was im Internet und der Kunst untergeht: das ganz alltägliche Leben.
"Ich bin ganz klar ein Künstler, aber ich versuche den Status etwas herunterzuschrauben. Ich möchte mit dem alltäglichen Leben arbeiten. Und darüber mache ich mich nicht lustig."