The day after

Wie Beverungen das post-atomare Zeitalter meistert

Ein Schild warnt in der ehemaligen Gleisdurchfahrt des Kernkraftwerks Würgassen (Landkreis Höxter) vor erhöhter radioaktiver Strahlung, die von den gelben Fässern (rechts) ausgeht.
Ein Schild warnt in der ehemaligen Gleisdurchfahrt des Kernkraftwerks Würgassen (Landkreis Höxter) vor erhöhter radioaktiver Strahlung, die von den gelben Fässern (rechts) ausgeht. © picture alliance / dpa
Von Michael Frantzen · 19.06.2015
Seit vielen Jahren wird die Atomanlage Würgassen im ostwestfälischen Kreis Höxter rückgebaut. Die jährliche Million aus der Gewerbesteuer fehlt. Der Gemeinde ging es schon mal besser. Rund 10.000 gelbe Fässer lagern noch in der Nuklearanlage. Und zu tun gibt es immer noch genug.
"Okay. Gut."
100 Nanosievert – wenn man so will, sind das die letzten radioaktiven Zuckungen des Atom-Grabmals von Beverungen. Helmut Sander schaut auf den Geigerzähler. Ist nicht der Rede wert, gibt der Strahlenschutz-Ingenieur Entwarnung – ehe er sich an diesem schwülen Morgen auf den Weg macht in den "roten Bereich".
"Das ist der Bereich des Zwischenlagers, den wir jetzt hier ... Da gelten halt entsprechende Sicherheitsmaßnahmen. Das ist der Teil, der noch in Betrieb ist auf der Anlage. Da befinden sich die Konrad-Container drinne."
Rund 10.000 gelbe Fässer lagern noch in der Nuklearanlage, die wegen Haarrissen erst Mitte der 90er stillgelegt – und dann Stück für Stück rückgebaut wurde. In den Fässern ist das, was eigentlich keiner will: Mittel- und leicht radioaktiver Müll, insgesamt 5000 Tonnen. Das ist geblieben vom AKW Würgassen. Plus das Hauptgebäude, ein 60 Meter hoher grauer Kasten – und als einer von 20 Mitarbeitern: Helmut Sander, das atomare Fossil.
"Jetzt müssen wir hier 'nen bisschen aufpassen. Es gibt hier Stolperstellen. Gräben etc."
Ab und zu zieht Sander noch seine Runden – zur "Kontrolle" – auch wenn es seit dem Ende des Rückbaus vor einem Jahr eigentlich nicht mehr viel zu kontrollieren gibt. Immer die gleiche Routine: Erst zur Lagerhalle mit den gelben Atom-Containern, dann rein ins leere Hauptgebäude, vorbei an den Namen von Charakteren der Comic-Serie "Simpsons", die ein Fan im Treppenhaus an die Wand gekritzelt hat: "Atomic Kitten", "Fallout Boy", "Radioactive Man". Sander lässt sie links liegen. Nach Scherzen ist ihm nicht zu Mute.
"Es hat einem schon weh getan, dass technische Einrichtungen zerschnitten und zersägt worden sind, die eigentlich noch lange ihren Dienst letztendlich leisten könnten."
"Ob das für Deutschland insgesamt, dieser Ausstieg aus der Kernenergie sinnvoll ist: Ja, die Frage stellt sich gar nicht mehr."
Gibt sich Sanders Chef Markus Wentzke eher pragmatisch.
"Denn es ist entschieden. Es ist auch mehrheitlich politischer Wille. Und diesen Weg muss man jetzt eben so gestalten, wie es sinnvoll ist. Infrage stellen – das bringt ja nichts an der Stelle."
Wentzke, ein jovialer Typ mit zupackendem Händedruck, ist seit Mitte der 90er-Jahre dabei.
"Ich bin eigentlich mit Beginn des Rückbaus hierhergekommen. Da wurde damals ein Elektro-Ingenieur gesucht. Da hieß es damals so: Für maximal fünf Jahre."
Aus den fünf wurden fast zwanzig Jahre. Wentzke zuckt die Schultern in seinem Büro, das von ausgeprägtem Ordnungssinn kündet und dem Faible seiner Vorzimmerdame für leicht bekleidete Muskelmänner im Kalenderformat. War halt alles Neuland.
"Vieles hat man damals auch unterschätzt. Und zu einfach geplant. Man hat sich sicherlich an vielen Stellen sehr einfache Vorstelllungen gemacht über die Genehmigungstechnische Abwicklung der einzelnen Rückbauschritte. Und über die Entsorgungsprobleme, die damit verbunden sind."
Ein Rentner hat den Rückbau des AKW gefilmt
Dass der Rückbau des Atomkraftwerks fast vier Mal so lange dauerte wie geplant: Peter Klimmeck dürfte es recht gewesen sein. Der Rentner hat bis vor einem Jahr die PR für das AKW gemacht – und den Rückbau filmisch festgehalten.
"Das erste richtige Highlight war der Abbruch der Kühltürme. Das war spektakulär. Die wurden damals nicht gesprengt, sondern so Schritt für Schritt mit ne Abrissbirne niedergemacht."
Gab ein großes Medienecho damals. Auch später. Selbst aus dem Ausland kamen die Journalisten, um mit eigenen Augen zu sehen, wie so ein Rückbau funktioniert.
Klimmeck war ein gefragter Mann. Er hat es genossen, dass er ein paar Dinge "ins rechte Licht" rücken konnte; wie das damals war - in den "goldenen Jahren der Atomkraft".
"In den 80er-Jahren war Beverungen eigentlich eine blühende Stadt. Mit vielen Einrichtungen, die es heute nicht mehr gibt. Man hatte hier eine Freizeitdomäne oder einen Ausflugsort: Gut Roggental. Ich denke, da hat schon die Stilllegung des Kraftwerks dazu beigetragen. Es sind einmal Steuereinnahmen, aber insgesamt der Wirtschaftsfaktor spielt ja eine Rolle. Das Kraftwerk hatte 50, 60 Firmen, die hier irgendwo tätig waren, auch beim Rückbau."
"Wir sind schon heute, was unsere Steuereinnahmen angeht, am unteren Ende."
Bürgermeister Hubertus Grimm redet erst gar nicht um den heißen Brei herum. Eine Million Euro bekam die Stadt Beverungen früher jährlich vom damaligen Betreiber Preußen Elektra an Gewerbesteuer. Eine ganze Stange Geld – mit dem seine Vorgänger aus den Vollen schöpfen konnten.
"Als Beispiele seien da genannt: Unser Schulzentrum, wo wir alle Schulformen anbieten konnten. Wir haben aus diesen Geldern auch eine Stadthalle gebaut, die kulturelles Zentrum im Umkreis von 50 Kilometern geworden ist. Das sind natürlich Einrichtungen die es zu erhalten gilt, was zunehmend schwerer wird."
Mit dem Aus des Atommeilers verschwanden nicht nur lukrative Steuereinnahmen, sondern auch tausend Arbeitsplätze und mehr als jeder zehnte Bewohner Beverungens. Aktuell hat der ostwestfälische Ort noch 13.500 Einwohner – Tendenz weiter sinkend. Jobs sind im hintersten Zipfel Nordrhein-Westfalens Mangelware. Davon zeugt – wenn auch unfreiwillig – die große Schautafel im Treppenhaus des Rathauses. Fein säuberlich listet sie die wichtigsten örtlichen Arbeitgeber auf. Das eingemottete AKW taucht immer noch auf, in einer Reihe mit "Taxi Kanand" und dem "Seniorenpflegeheim Haus Hensel". Bürgermeister Grimm hebt die Hände. Müssen sie mal ändern. Für den Parteilosen ist das alles nicht einfach. Einerseits fehlt ihm das Atom-Geld. Andererseits ist er froh, dass die atomaren Brennstäbe im französischen La Hague entsorgt wurden; der Rückbau endlich abgeschlossen ist. Noch lieber wäre ihm der Komplett-Abriss gewesen.
"Wir waren viele Jahre mit diesem Standort belastet. Und insofern wär’s mein Wunsch gewesen, dass tatsächlich wieder grüne Wiese entsteht. Aber: Das lässt sich so im Moment nicht umsetzen, leider."
Statt eines End-Lagers lauter Zwischen-Lager
Eigentlich sollte der Atommüll aus Würgassen ins Endlager Morsleben. Doch Morsleben wurde dicht gemacht. Zu unsicher. Genau wie alle anderen potentiellen Endlagerstätten in Deutschland. Ergo gibt es statt eines End-Lagers lauter Zwischen-Lager – wie das in Würgassen. Bis 2035 gilt die Genehmigung. Nicht gerade prickelnd, aber was soll Grimm schon machen. Der Bürgermeister gibt sich einen Ruck – ehe er anfängt, die "Positivdaten" seiner Heimatgemeinde herunter zu spulen. Bei der Energiewende etwa: Da sei Beverungen vielen Gemeinden voraus.
"160 Prozent unseres benötigten Stroms werden aus regenerativen Energien gewonnen. Wir sind gerade noch dabei, einen größeren Windpark zu projektieren. Der getragen wird durch ein Stadtwerke-Verbund hier im Kreis Höxter. Wir haben darüber hinaus Photovoltaik, Biogasanlage – all das also, was zum Portfolio der Energiewende dazugehört."
"Hier sind wir jetzt im Fütterungs- und Anmischkeller. Hier wird der Mais mit der Gülle vermischt. Man kann sich das vorstellen wie son überdimensionierten Küchenmixer. Mit 'nem großen Messer drin."
André Potthast hat nicht nur ein gutes Gespür für griffige Metaphern, sondern auch fürs Geschäft. Vor fünf Jahren stampfte der Jungbauer seine Biogasanlage aus dem ostwestfälischen Boden.
2,5 Millionen Kubikmeter Gas produziert die Anlage im Jahr, plus 4,7 Millionen Kilowattstunden Strom. Abnehmer sind neben einem 30-Parteien-Haus das Schulzentrum und das Freibad. Potthast kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Natürlich weiß der Mann mit dem blonden Haar, dass Freibad und Schulzentrum einst mit Geldern des Kernkraftwerks gebaut wurden. Vergangenheit und Gegenwart – am Rande von Beverungen sind sie sich manchmal näher als gedacht. Gibt nämlich auch ein Endlager hier.
"Wo das vergorene Material reinläuft. Der hat ein Volumen von 6200 Kubikmetern. So ähnlich wie beim Atomkraftwerk. Nur dass das hier alles grüne Energie ist."
Der Betrieb der Biogasanlage ist ein Fulltime-Job. Anfangs dachte Potthast noch, er könne das nebenbei machen – neben dem Ackerbau. Doch die Energiewende im Kleinen entpuppte sich als aufwendiger als gedacht. Ständig ist irgendetwas. Gibt es Störfälle. Der letzte vor fünf Minuten. Eine sogenannte "Förderschnecke" war überlastet. Potthast wischt sich den Schweiß von der Stirn. Ganz schön viel Aufwand – für ganz schön wenig Geld.
"Die Vergütung ist enorm gesunken. Es lohnt sich kaum noch."
Gut zwanzig Cent pro Kilowattstunde bekommt der Ökostrom-Pionier. Den Ärger gibt es gratis. Wenn wieder jemand ankommt und wegen der EEG-Umlage auf der Stromrechnung meckert. Doch Potthast ist gewappnet.
"Ich hab' hier 'nen schönen Zettel in der Biogas-Anlage hängen, den zeig' ich den Leuten immer gerne, die mich da ansprechen. Wie: Auf der Abrechnung steht immer drauf: 5 Komma irgendwas, 6 Cent EEG-Umlage. Wenn man die Atomkosten ... - wenn man das mit auf die Rechnung drauf packen würde, dann stehen da auf dem Zettel irgendwie 14 bis 15 Cent. Das hatte mal ne Studie ergeben. Die da drauf kommen würden."
Potthast zeigt nach rechts. Hinter den Hügeln, keine drei Kilometer entfernt: Da steht das "Ding". Samt seiner strahlenden Hinterlassenschaft, dem Atom-Müll.
"Irgendwann hieß es mal: Es ist schon raus. Dann wieder: Doch nicht. Ich denke, es wird hier immer 'nen Zwischenlager bleiben. Bis die Gebäude vielleicht irgendwann den Schutz nicht mehr hergeben. Ja! Und dann: Weiß ich auch nicht."
Nicht jeden in Beverungen plagen solche Sorgen
Tyson bellt.
"Chihuahua-Mix. Nix Halbes, nix Ganzes."
Tyson mag zwar von den Feinheiten der Energiewende keine blassen Schimmer haben, als Frühwarnsystem macht er sich aber prächtig – im Hotel "Forst-Hof" in Beverungens Ortssteil Würgassen.
"Das Haus, in dem sie sich jetzt befinden, ist vor Ort das älteste. Also ist circa 500 Jahre alt."
Weiß Betreiberin Ulrike Schneider zu berichten. Der Forsthof hat einiges mitgemacht: Das eine oder andere Weser-Hochwasser. Im 18. Jahrhundert einen florierenden Schmuggelhandel, als Preußen und das Königtum Hannover hier noch aneinandergrenzten. Im 20. Jahrhundert den Wandel eines westfälischen Kuhdorfs zur Atom-Gemeinde mit Ausstrahlung.
"Viele Leute – das haben 'Se auch am Telefon – kennen einfach Würgassen durch dieses Atomkraftwerk Würgassen. Die verbinden das mit diesem ehemaligen Atomkraftwerk. Und kommen eigentlich dadurch auch auf die Idee, hier Urlaub zu machen. Weil sie Würgassen einfach schon mal gehört haben."
Mögen andere sich auch aufregen über die "tickende Zeitbombe" Weserabwärts: Ulrike Schneider kratzt das nicht. Sie hat andere Sorgen. Das Hotel ist zwar idyllisch am Wald gelegen – fatalerweise aber in einer Sackgasse. Reihenweise haben schon entnervte Gäste angerufen, weil das Navi sie Gott-weiß-wohin schickte, nur nicht zum Forst-Hof. Nicht gerade geschäftsfördernd. Und dann noch die ganze Bürokratie.
"Bis vor einigen Jahren ging die Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen noch genau durch dieses Haus durch. Also trennte wirklich dieses Haus, das Gelände in zwei Teile. Das ist irgendwann bereinigt worden. Weil dann natürlich schwierig wird: Welche Seite wo is. Und welche Behörde dann zuständig ist."
Mit Grenzen kennen sich einige aus in Würgassen.
"Guten Tag. Guten Tag. Ich bin der Mann von der Presse. Ach, sie sind das. Jo. Treten sie ein."
Idyllisch haben sie es am "Campingplatz Axelsee". Von seinem Wohnhaus hat Betreiber Wolfhard Weller alles im Blick. Den Axelsee, wo die Enten ihre Runde ziehen, weiter unten die Weser. Und links: Das kleine Laubwäldchen, hinter dem sich – nicht ganz so idyllisch - der Hochsicherheitszaun des AKWs verbirgt.
"Wir können ja vielleicht mal eine kleine Fahrt gleich machen. Und dann können Sie sich mal überall umschauen. Warten sie hier! Ich hol' sie dann ab. [Weller steht auf, ruft zu seiner Frau] Henni?! Isch geh mal eben und hol unser Wäggelschen."
Wolfhard Weller ist zwar jenseits der 80 – doch kürzer treten, das kommt für ihn nicht in Frage. Am liebsten schaut er immer noch selbst nach dem Rechten – in seinem 340.000 Quadratmeter großen Camping-Eldorado.
"Fahren wa erst Mal über den Bereich der Dauercamper."
Hätte sich Weller auch nicht Träumen lassen: Dass er einmal einen Camping-Platz sein Eigen nennen würde – damals, Mitte der 90er, im Siegerland, als er einen Beamten-Job hatte, Henni, seine Frau, aber die fixe Idee, noch einmal ganz von vorne anzufangen.
"Das ist die Frau Böhm. Ah. Die eignet sich auch."
Frau Böhm gehört quasi zum Inventar des Campingplatzes. Seit 14 Jahren verbringt die Altenpflegerin fast jede freie Minute auf ihrer Parzelle.
"Was gibt’s Schöneres als Natur, Campen und liebe Nachbarn, näh?!"
Frau Böhm hat nicht nur klare Vorstellungen vom irdischen Glück, sondern auch Pech gehabt. Der rechte Arm ist im Gips. Ellbogen-Operation. Ärgerlich. Genau wie die Tatsache, dass ihr beim letzten Sturm der Carport auf den Wohnwagen gekippt ist. Aber so schnell, meint Frau Böhm energisch, lasse sie sich nicht aus der Fassung bringen. Steckt sie alles weg. Genau wie früher die flapsigen Kommentare irgendwelcher Spaßvögel, warum sie denn jetzt schon wieder so strahle.
"Na ja, mein Gott. Wenn man jetzt das Kernkraftwerk sieht?! Wie viele Abgase, wie viel Chemie wird in die Luft geballert?! Klar sind Kernkraftwerke nicht sooo toll. Aber wenn man sich hier so rum guckt: Wir haben hier Natur. Es blüht alles. Es ist schön. Und da son Kernkraftwerk?! Is' nich' mehr in Betrieb. Und fertig."
Der Chef vom Ganzen sieht das ähnlich.
"Mich stört das nicht. Wenn sie natürlich meine Tochter fragen: Da hören sie natürlich nen anderes Echo."
"Ich war eigentlich von der ersten Stunde an 'ne Gegnerin von Atomkraftwerken. Ich war schon am langen Marsch. Von Gorleben nach Hannover."
"Man sucht sich das nicht aus, wie das Leben sich lebt"
Ein langer Marsch war es in der Tat – für Katharina Weller. Zwischen Gorleben und Hannover im Speziellen – und im Leben im Allgemeinen. 20 Jahre lebte die studierte Politologin in Berlin – bis sie genug hatte vom Großstadtleben – und in die Provinz ging, zu den Eltern. In die Atom-Gemeinde.
"Jetzt bin ich hier am Campingplatz. Man sucht sich das nicht aus, wie das Leben sich lebt. Nicht nur. Mittlerweile lebe ich gerne hier. Es gibt ja kein Entrinnen. Wir leben ja alle damit. Ich lebe auch nicht gerne neben Strommasten oder Stromtrassen. Wenn ich entscheiden muss, was mir lieber is, wüsste ich jetzt nicht, wie ich das entscheiden sollte."
Ergo bleibt sie. Trotz des Zwischenlagers direkt vor der Haustür.
"Dieses Zwischenlager, meinen Sie?! Es ist natürlich hier gemessen worden."
Auf dem Wellerschen Camping-Platz.
"Und es wird gemessen. Das, was man misst, ist strahlungsfrei."
"Wir gehen jetzt mal in den ehemaligen Kontrollbereich hinein."
Strahlungsfrei sind inzwischen auch die meisten Bereiche des stillgelegten Atomkraftwerks. Helmut Sander nickt. Alles im grünen Bereich.
Ein paar Monate noch – dann wird der Ingenieur seinen Werksausweis abgeben. Nach fast drei Jahrzehnten ist Schluss. Wenn Sander weg ist, wird es noch einsamer um Wentzke, den Werksleiter. Wentzke bleibt. Er hat noch einiges vor.
"Natürlich möchte das Unternehmen dieses Knowhow, was sich da angesammelt hat, auch weiter nutzen. Es steht ja für EON selber an: Der Rückbau der Anlagen Isar 1 und Kernkraftwerk Unterweser. Dieses Know´-how ist jetzt für den Rückbau schon in einer eigenständigen Gesellschaft gebündelt worden."
1,2 Milliarden Euro hat EON der Rückbau des AKW Würgassen gekostet. Das ist abgehakt. Was mit dem Atom-Müll aus Würgassen und den restlichen Meilern passiert, die bis 2022 vom Netz gehen sollen, weniger. Mehr als 36 Milliarden Euro haben EON und CO als Rücklage zur Seite gelegt – für die Endlagerung. Am liebsten würden sie das Geld in einen staatlichen Fond stecken. Sollte das Geld nicht reichen – so das Kalkül – wären sie aus dem Schneider. Ziemlich dreist – sagt der eine oder andere Kritiker. Ach was – Wentzke.
"Wenn man die Zeiträume betrachtet, über die da eine Vorsorge getroffen werden muss, denke ich, wird das auf Dauer nicht möglich sein, dass die private Wirtschaft sich darauf einlassen kann, auf Ewigkeit diese nicht-kalkulierbaren Kosten zu tragen. Man wird da irgendwann eine Lösung finden müssen, ähnlich wie man das für die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus ja auch getroffen hat."
Hofft Wentzke. Ende August, am 29., jährt sich zum ersten Mal der Jahrestag des Rückbaus. Für den Gralshüter von Würgassens atomarer Vergangenheit wird es ein Tag wie jeder andere sein.
"Ist ja kaum noch jemand da, mit dem man feiern könnte."
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