"The Brutalist Playground" im Vitra Design Museum

Originelle Archäologie der Moderne

Ausstellungsansicht "The Brutalist Playground", S1 Artspace, Sheffield, 2016
Ausstellungsansicht "The Brutalist Playground", S1 Artspace, Sheffield, 2016 © Alan Bull/ RIBA
Von Rudolf Schmitz · 13.01.2017
Das Vitra Design Museum dürfte mit "The Brutalist Playground" eine Ausstellung geschaffen haben, die auch Kinder begeistert. Hier werden Spielplätze im Stil des Brutalismus erlebbar, einer Architekturform der Nachkriegsmoderne.
Eine schräg gestellte "Fliegende Untertasse" mit Geländer, ein Rutschturm, ein Tunnel mit kreisrundem Eingangsloch, eine Stufenkonstruktion zum Klettern: Das ist der "brutalistische Spielplatz". Im Vitra Design Museum ist er jetzt nachgebaut, im Maßstab 1:1. Eine "interaktive Installation", so heißt es. Kinder, und vielleicht auch Erwachsene, können darauf spielen.
Gleichzeitig sieht man auf zwei Projektionswänden die originalen Orte, wo diese Spielplatzelemente einmal zu finden waren: brutalistische Großwohnsiedlungen der 60er und 70er Jahre in London und Sheffield. Kühn und spektakulär: Hochhausscheiben mit horizontalen Verbindungswegen, Wohnanlagen, die sich sich kurvig ins Gelände einschreiben und mit Schulen, Pubs und Geschäften eine Welt für sich erschufen. Dazu die Kuratorin Janna Lipsky:
"Es wirkt so, als hätten die Architekten große Zuversicht gehabt und keine Angst gehabt, großmaßstäblich zu denken. Und das Element des Spiels war für sie wichtig, weil diese Projekte wirklich einen sozialpolitischen Ansatz hatten. Also auch die Kinder, die in den Estates wohnen sollten, sollten eben den Freiraum haben, mit Spielplatzarchitekturen sich selbst zu entwickeln und frei zu entscheiden, wie sie ihr Spiel gestalten."

Brutalismus-Siedlungen heute verwahrlost

Dieser Aspekt des selbstbestimmten Spiels ist bemerkenswert in der Neubewertung des Brutalismus. Denn diese Architektur war nicht vorrangig ein Stil, ein Verlangen nach Ehrlichkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Vision: Hier sollte die selbstbestimmte, nüchterne, risikobereite Nachkriegsgeneration aufwachsen. Das heutige Bild dieser Siedlungen zeigt allerdings oft verwahrloste und ramponierte Orte, die kaum noch ahnen lassen, dass es hier einmal um so etwas wie soziale Utopie ging.
"Es ist immer dieser Stempel: Das sind gefährliche Orte, das sind dreckige Orte, dort gibt es soziale Spannungen und man sollte die am besten abreißen, auf gar keinen Fall solche Projekte wieder errichten. Aber wenn man wirklich mit der Bewohnerschaft spricht, merkt man, dass da alte Nachbarschaften sind, dass die Leute in den sehr gut geschnittenen Wohnungen sehr zufrieden sind."
Der Künstler Simon Terrill, der in London selbst jahrelang in einer solchen Siedlung gelebt hat, ist auf die Idee gekommen, Spielplatzentwürfe jener Zeit zu recherchieren und hat auch dieses Modell im Vitra Design Museum realisiert. Seinerzeit waren die "fliegende Untertasse" oder die Stufenkonstruktion aus Beton gemacht. Jetzt sind sie mit farbigem, recycelten Verbundschaum überzogen. Sieht ein bisschen aus wie gekörnter Beton, aber ist für die Warmduscher von heute gedacht, die sich keine blutigen Knie mehr holen mögen. Aber letztlich geht es um etwas anderes: Um die Wiederentdeckung des Vergnügens, das den brutalistischen Wohnsiedlungen durchaus nicht fremd war.
"Wir können sie als gescheiterte Orte betrachten, aber wir können auch eine andere Perspektive einnehmen und sie als Orte sehen, die funktionieren. Das hat nichts mit den Orten selbst zu tun, sondern mit unserer Haltung ihnen gegenüber. Und mit dem Spielplatz hier bringen wir den Aspekt des Vergnügens in die ganze Sache zurück."

Wie mit alten Wohnsiedlungen umgehen?

Also doch ganz schön pädagogisch, die ganze Ausstellungsidee? Auf jeden Fall eine originelle Archäologie der Moderne. Denn auch der Abenteuerspielplatz verdankt seine Erfindung dem Zweiten Weltkrieg: In London war es die Landschaftsarchitektin Lady Allen of Hurtwood, die anfing, frühere Kriegstrümmergelände in Spielplätze umzuwandeln. Und die Frage, wie man mit den in die Jahre gekommenen brutalistischen Wohnsiedlungen umgehen soll, ist schließlich auch in Deutschland derzeit ein heißes Thema:
"Heute sind wir wieder in einer Art von Wohnungskrise und das, was die Politik und auch die Architekten in diesem Rahmen anbieten, ist vielleicht einfach nicht mutig genug. Jetzt ist es ja wie eine Art Revival, jetzt werden diese Grundrisse und diese Anlagen wieder interessant für die Bevölkerung..."
Der kleine Modellspielplatz im Originalmaßstab, den jetzt das Vitra Design Museum zur "Bespielung" freigibt, ist ein origineller Anstoß, diese Diskussion über die vergessenen Qualitäten des Betonbrutalismus neu zu führen.
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