Thailands Wirtschaft

Gefährliche Abhängigkeit von Kautschuk

Ein Autoreifen wird auf eine Felge gezogen.
Autoreifen bestehen vor allem aus Naturkautschuk. © dpa/ picture-alliance/ Sven Hoppe
Von Jenny Marrenbach · 17.03.2016
Thailands Wirtschaft hat ein großes Problem: Sie ist abhängig von Naturkautschuk. Ein Produkt, das beispielsweise für Autoreifen verwendet wird. Doch die Preise auf dem Weltmarkt sinken. Alternativen zu finden ist für Bauern und Politiker schwer, auch weil die politische Lage angespannt ist.
Ein Moped rattert durch den Dschungel. In dem kleinen Seitenanhänger sitzt neben mir die Dänin Lene Birkeholm, die mir bei der Übersetzung hilft. Es geht zu einer der kleinen Kautschukplantagen, die mitten in den Dschungel hineingebaut sind.
Birkeholm: "And this is where no tourist would come because they don’t know about it.”
Es ist 5.30 Uhr am Morgen und stockdunkel auf der kleinen Insel Ko Mook, tief im Süden Thailands. Nur vereinzelte Geräusche dringen aus den Dschungel, eine Ziege steht reglos auf dem Weg. Es ist die Zeit der Latexbauern. Die weiße Milch, aus der das begehrte Naturkautschuk gewonnen wird, fließt am besten in den kühlen Nachtstunden.

Sobald die Sonne aufgeht ist es vorbei mit der Latexernte

Inmitten von wildem Grün, Bananenstauden und den langen, schlanken Kautschukbäumen steht Bauer Somchok Perkong mit einer scharfen Sichel in der Hand. Er sagt:
"Wenn das Latex frisch aus dem Baum kommt, ist es flüssig. Sobald die Sonne scheint, schrumpelt das Latex zusammen und trocknet zu einem Klumpen."
Somchok Perkong schneidet mit geübten Bewegungen eine längliche Kerbe in den Baum. Kleine, weiße Tropfen erscheinen an der Schnittstelle. Sie fließen als ein feines Rinnsal in die Schale einer halben Kokosnuss. Es stinkt.
Lene B: "Oh yeah, the smell."
Jenny: "It’s strong."
Lene B.: "It smells like shit. Like…" (spricht weiter auf Thailändisch) "It smells like toilet."
Perkong: "Dieser Klumpen hier riecht nicht so schlimm, er ist schon seit mehreren Tagen getrocknet."

Gearbeitet wird von drei Uhr bis sieben Uhr - morgens

Somchok Perkong betreibt gemeinsam mit seiner Frau Maliwan und seinem ältesten Sohn Rittichai eine kleine Kautschukplantage mit 1000 Bäumen. Um alle Bäume zu schneiden, arbeiten die drei von ein Uhr in der Nacht bis sieben Uhr morgens.
"Wir ernten um die 100 Kilo pro Tag. Am Anfang ist das Latex noch nass. Wenn es trocknet, bleibt nur noch dieser gummiartige Klumpen übrig. Dann wiegt die Ernte nur noch um die 70 Kilo."

Einmal in der Woche packt Somchok Perkong die getrockneten Latexklumpen in große Plastiksäcke und verkauft sie an eine Fabrik auf dem Festland. Thailand ist weltweit führend in der Produktion von Kautschuk. Besonders im Süden des Landes sind die Bedingungen für den Anbau ideal. Hier lebt die Mehrheit der Bevölkerung vom Kautschukanbau.
Sangsawang:"Die Bäume geben den Kautschuk, der für die Herstellung von Reifen gebraucht wird. 90 Prozent der Ernte geht in die Reifenproduktion."
Bauer Somchok Perkong auf seiner Kautschukbaum-Plantage
Bauer Somchok Perkong auf seiner Kautschukbaum-Plantage© Deutschlandradio / Jenny Marrenbach

Chinas Wirtschaftsabschwung bringt Kautschuk-Bauern in Not

Nailnee Sangsawang ist Expertin für Latex. Die Thailänderin arbeitet für eine große Reifenfirma im Süden des Landes. Auch die Latexklumpen von Somchok Perkong werden hier weiterverarbeitet.
"Die Reifenherstellung ist eng mit dem Weltmarkt verbunden. Dem Weltmarkt ging es gut, das wissen wir alle, als China sich geöffnet hat und die Menschen mehr konsumieren wollten. Wenn sich in China nur ein Prozent der Bevölkerung ein Auto kauft, dann bedeutet das für die Reifenindustrie schon einen riesigen Sprung. So viele Menschen leben in China. Und die chinesische Wirtschaft hat sich schnell entwickelt, was in Thailand erstmal zu einer Wirtschaftsexplosion geführt hat. Alle konnten plötzlich sehr schnell und sehr viel Geld mit Kautschuk verdienen."
Umso größer die Nachfrage nach Kautschuk von der chinesische Automobilproduktion war, umso knapper und teurer wurde auch der Rohstoff. Aber im bevölkerungsreichsten Land der Erde sinken mittlerweile die Wachstumszahlen. China fragt weniger Kautschuk nach, was die Preise wieder sinken lässt und viele thailändischen Bauern in ihrer Existenz akut bedroht.
"Als ich 1996 von der Universität kam lag der Preis bei 18 Baht pro Kilo also 45 Euro Cent. Dann stieg der Kurs immer weiter. Der höchste Preis lag bei 180 Baht. In nur zehn Jahren hatte sich der Preis also verzehnfacht – ein rasanter Anstieg. Jetzt sind wir wieder niedriger - bei 33 Baht. In Thailand sind die Kosten für die Kautschukproduktion aber weiterhin hoch. Um die Bäume zu pflanzen, zu pflegen, zu ernten und das Produkt zu einem Verkäufer zu bringen brauchen wir allein zwischen 40 und 50 Baht pro Kilo. Bei dem aktuellen Preis können wir kein Geld verdienen."
Die Folgen des Preisverfalls zeigen sich im ganzen Land. Viele Bauern machen Schulden, um ihre Produktion aufrecht zu erhalten. Die Proteste werden immer lauter und so wurde jetzt die Politik Thailands aktiv, erklärt die Kautschuk-Expertin.
"Die Regierung versucht deshalb innerhalb Thailands den Verbrauch anzukurbeln und entwickelt neue Produkte, zum Beispiel Bodenbeläge."
Naturkautschuk läuft aus dem Baum in eine halbe Kokosnuss.
Naturkautschuk läuft aus dem Baum in eine halbe Kokosnuss.© Deutschlandradio / Jenny Marrenbach

Kautschuk-Fußballplätze als neuer Absatzmarkt

Ein Prestigeprojekt der Regierung ist auf dem Campus der Universität von Hat Yai im Süden des Landes zu sehen.
Pipat Chuto, Leiter des Büros für die Außenwirkung der Universität führt stolz zu dem neuen Projekt.
"Hier sind wir. Das ist unser Fußballplatz. Er sieht aus wie ein großes Quadrat, ungefähr 25 mal 30 Meter. Der Boden ist aus Kautschukplatten gemacht, die man ineinander stecken kann. Die hier in der Mitte sind Blau und außen herum gibt es rote Platten. Du kannst es sofort fühlen, der Boden ist viel flexibler als ein normaler Asphalt. Die Leute mögen den Boden. Denn wenn sie hinfallen, tun sie sich nicht so weh."
Zum Beweis hüpft Pipat Chuto ein wenig auf den Gummiplatten herum, eines der neuen Produkte, die den Kautschuk-Absatz in Thailand steigern soll.
Der aufgekratzte Thailänder liebt unterschiedliche Berufe, erzählt er. Wenn er nicht gerade an der Universität ist, moderiere er zwei Nachrichtensendungen im nationalen Fernsehen.
Seit dem Militärputsch Anfang 2014 gibt es wiederholt Berichte über Pressezensuren in Thailand. Statt kritischer Artikel in der internationalen Ausgabe der New York Times mussten die Leser in Thailand bereits mehrmals weiße Flächen mit dem Hinweis finden: "Dieser Artikel wurde von unserer Druckerei in Thailand entfernt."
Teilzeit-Moderator Pipat Chuto will davon nichts gehört haben.
"Ich erlebe bei meiner Arbeit keine Einschränkungen. Ich denke die Regierung leistet gut Arbeit, in keinem Bereich gibt es Zensur, noch nicht einmal bei den Nachrichten. Sie wollen einfach nur, dass wir berichten, worum es wirklich geht."
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen sieht das anders. Sie berichtet über inhaftierte Journalisten und Zensur in Print und Internet. In ihrer Analyse zum Land heißt es:
"Der Militärputsch im Mai 2014 führte zu rigoroser Kontrolle der Arbeit von Journalisten. (...) Die Medien dürfen seit dem Putsch nur noch vom Militär kontrollierte Nachrichten verbreiten, zahlreiche Radio- und Fernsehsender mussten schließen. Das Internet wird zensiert: Wer in den sozialen Medien Informationen und Aktivitäten unterstützt, die sich gegen den Militärcoup richten, muss nun mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen."
Betroffen von den strengen Kontrollen sind kritische Berichte über die Regierung und im Besonderen gegenüber dem 88-jährigen Monarchen mit der weltweit längsten Amtszeit: Bhumibol Adulyadej. Trotz wiederkehrender Berichte über den schlechten Gesundheitszustand des Königs scheint ein politischer Wandel nicht in Sicht.
Seit Beginn der Militärregierung ist die Zahl der Anklagen wegen Majestätsbeleidigung in die Höhe geschossen. Die Befürworter des Königs kontrollieren immer offener und aggressiver – auch im alltäglichen Treiben der Straßenmärkte.

Presse- und Meinungsfreiheit immer stärker eingeschränkt

Die Stände biegen sich unter dem Gewicht der frischen Früchte. Eine blinde Frau singt und schlängelt sich vorbei an dampfenden Kochtöpfen mit würzigen Suppen, klebrig-süßem Kokosgebäck und Bergen frittierter Insekten. Mittendrin: Ein junger Mann in Lederkluft. Er hat sich das Gebiss eines Totenschädels um den Mund tätowiert. Auf dem Rücken seiner Jacke sind in Gold die Worte – Long live the king – eingestickt. In seiner Hand hält der Mann ein Funkgerät und beäugt grimmig die Menschenmenge.
Unweit des Markets steht der Taxifahrer Chai am Straßenrand. Er geht den "Aufpassern", wie er sie nennt, lieber aus dem Weg. Chai ist aus seiner Heimatstadt gekommen, um Geld zu verdienen und seine Familie zu versorgen. Seiner Ansicht nach sind es weniger die politischen Entwicklungen als der Verfall der Kautschukpreise, die dem Land zu schaffen machen...

"Wenn du etwas über die wirtschaftliche Situation erfahren willst, musst du dir nur die Straßenverkäufer angucken. Wenn sie gegen sieben Uhr morgens anfangen zu arbeiten und schon vor 14 Uhr ihre Ware verkauft haben ist das ein Zeichen dafür, dass es der Wirtschaft gut geht. Aber im Moment müssen sie bis 17 oder 18 Uhr arbeiten, um alles zu verkaufen. Und dabei bieten sie noch weniger an als vorher."
Auch Taxisfahrer Chai bekommt den wirtschaftlichen Druck zu spüren. Im Moment arbeitet er bis zu vier Stunden länger am Tag.
"Besonders am Anfang des Jahres geben die Menschen besonders wenig Geld aus. Sie wollen sparen, für die Zukunft. Aber was die Zukunft bringt? Ich halte es mit den Weisheiten der Wahrsager: Vielleicht werden wir ein Problem haben, vielleicht aber auch nicht."
Eine Marktstraße in Thailand. Die Geschäfte bieten würzige Suppen und fritterte Insekten an
Thailändischer Markt mit würzigen Suppen und frittierten Insekten© Deutschlandradio / Jenny Marrenbach

Nachdenken über Alternativen

Die Latex-Expertin Nailnee Sangsawang hat einen pragmatischeren Blick auf die Zukunft. Für sie kann Thailand sein wirtschaftliches Gleichgewicht nur zurückerlangen, wenn es seinen Anbau diversifiziert.
"Es gibt zwei Arten von Produzenten: Einmal solche, die nur Kautschuk anbauen. Wenn die Wirtschaft einbricht, bleibt ihnen nichts. Andere bauen viele unterschiedliche Sachen an - Kautschuk, Ölpalmen, Reis, Mahagoni und Hühner. Wenn die Preise für ein Produkt fallen, bleiben den Bauern immer noch die anderen Standbeine. Meiner Ansicht nach ist das der beste Weg um in dieser Welt zu überleben."
Besonders bestimmte Palmenarten seien zurzeit eine interessante Alternative berichtet Sangsawang. Die Nachfrage nach dem daraus gewonnenen Öl sei auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren stark gestiegen.
"Einige Menschen sitzen einfach nur herum und wissen nicht, was sie tun sollen. Einige haben sich aus Verzweiflung sogar schon umgebracht. Aber andere stellen sich auch den Veränderungen. Sie fällen die Hälfte ihrer Kautschukplantagen und bauen etwas anderes an. Es gibt Menschen, die das wirtschaftliche Problem zu einem politischen Problem machen. Sie setzen die Regierung wegen ihrer Situation unter Druck. Aber ich denke nicht, dass unser Land das Problem ist. Wenn du nicht faul bist und früh zur Arbeit gehst kann dir dieses Land viel geben. Nicht nur Kautschuk. Auch andere Pflanzen können dein Überleben sichern."
Zurück auf der Kautschukplantage von Ko Mook denken auch Somchok Perkong und seine Familie über Alternativen für die Zukunft nach.
Birkeholm:"Die Familie hat viel Land und der Anbau zahlt sich nicht wirklich aus. Natürlich denken sie jetzt auch an den Tourismus."
Ein paar Kautschukbäume dürften zur Dekoration stehen bleiben. Und aus der Hütte auf Stelzen könnten Unterkünfte für Abenteuertouristen werden.
Birkeholm: "Ein Hotel mit dem Namen: Villa Gummibaum."
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