Textfluten in atemlosen Stakkato

Von Frieder Reininghaus · 09.02.2012
Erstmals inszeniert der deutsche Theater- und Opernregisseur Michael Thalheimer eine Oper außerhalb des deutschen Sprachraums, in Antwerpen, an der Flämischen Oper. Es ist die vierte Opernregie: Er hat sich diesmal Verdis "La forza del destino" vorgenommen.
In Flandern präsentierte sich eine ziemlich deutsch geprägte Italianità. Zwar kann Alexander Joel, inzwischen knapp über vierzig Jahre alt, mit einer inzwischen fast typischen internationalen Laufbahn aufwarten: Geboren in London, ausgebildet in Wien, dann Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein und gut eingeführt bei Unternehmen wie der Semperoper, dem MDR - sowie dem Deutschen Sinfonieorchester in Berlin, aber auch an den Opernhäusern in Parma, Santiago de Chile oder Helsinki.

Freilich wirkt Joel, seit 2007 GMD in Braunschweig - und nicht nur nach außen - als durchaus "deutscher" Dirigent. Seine Interpretation von "La forza del destino" - gespielt wird die St. Petersburger Originalversion von 1862 - verfügt von Anfang bis Ende über Brio, Dynamik und Kraft (in einigen Battaglia-Passagen sogar fast berserkerhafter Drastik), aber auch über jenes Maß an Innigkeit, das für den Gesamtgefühlshaushalt der "Macht des Schicksals" unverzichtbar erscheint.

Im Vergleich zu Repertoirevorstellung dieser Oper in Metropolen wie Paris und Wien braucht sich die im Nordwesten Belgiens nicht zu verstecken, auch mit Cathrine Naglstad in der zentralen Partie der Leonora. Die amerikanische Sopranistin wirft zwar immer wieder erheblichen Nachdruck und viel Willenskraft in das Ringen um Schuldgefühle und Erlösung, entwickelt freilich beim Mezzo Voce und in den Pianopassagen anrührende Intensität. Sie hebt sich damit vorteilhaft ab von Mikhail Agafonov, der einen all zu sehr durch Krafteinsatz imponierenden jugendlichen Liebhaber Don Alvaro gibt.

Dessen unter merkwürdigen Umständen zustande kommender Blutsbruderbund mit dem Sohn seines Opfers erweist sich nach kurzer Kriegsbegeisterung rasch als trügerisch - dort, wo Alvaros Heldentum hörbar infrage gestellt wird, entwickelt der russische Tenor Hörenswertes. Durchgängig rollendeckend hingegen agiert der bulgarische Bassbariton Vladimir Stoyanov als rachsüchtiger und vertragsbrüchiger Bruder Carlo. Auch einige kleinere Partien sind in Antwerpen bestens besetzt - zum Beispiel mit Christof Fischesser als Padre Guardiano oder Josef Wagner als Frau Melitone.

Für die deutsche Prägung der spanisch-italienisch-russischenen Handlung sorgt vor allem der Zugriff des Theaterregisseurs Michael Thalheimer, der sich einen Namen als Reduktionskünstler gemacht hat und im Ruf steht, "auch schwierigste Stoffe auf ihren Grundgehalt reduzieren und diesen emotional wie mental transportieren" zu können. Wobei im Musiktheater die von ihm auf der Sprechbühne präsentierten mitunter minutenlangen, wortlosen Phasen vom Ton, also auch den Zeitstrukturen der Musik erfüllt sind, und sich - durch das von der Partitur geschnürte Korsett - sich auch nicht "Textfluten" in atemlosen Stakkato rezitieren lassen.

Dennoch hat Thalheimer der Produktion durch Vermeidung aller Auseinandersetzung mit der christlichen Mittelalterlichkeit des Sujets und einer durchgängigen Reduktion scharfe Konturen verliehen. Wie der Mulatte (also nicht standesgemäße) Don Alvaro die Familie der von ihm begehrten jungen Frau und sich selbst ins Unglück stützt, wird knapp und klar auf einer leeren, nach hinten ansteigenden Fläche gezeigt, die von einem Laufgraben umgeben ist. In dessen hinterem Abschnitt lungern Gaffer. Am Ende des ersten Akts schieben und werfen diese Statisten Stühle auf die Arbeitsfläche, von denen aus die Choristen dann des Weiteren vorzügliche Arbeit leisten: Der Regisseur hat die Handlung auf eine Chorprobensituation reduziert. Dergleichen war in den letzten Jahrzehnten des Regietheaters bereits verschiedentlich zu sehen - am markantesten bei der Realisierung von Arnold Schönbergs "Moses und Aron" durch George Tabori und Gottfried Pilz 1994 in Leipzig.

Die Choristen bilden das Kloster, in dem Leonora Zuflucht sucht. Die Choristen erinnern dann mit blutbefleckten weißen Hemden an die Heldentaten auf italienischen Schlachtfeldern. Und schließlich legen sie sich für den letzten Akt nieder und stellen sich tot - offensichtlich aus Mitgefühl für die drei bis dahin noch überlebenden Protagonisten.

Thalheimers Inszenierung hebt ganz auf das "Kraftwerk der Gefühle" ab und abstrahiert von den historischen Umständen der Handlung, die - wenn sie ernst genommen würde - an Denk- und Verkehrsformen des spanischen Mittelalters gebunden bleiben müsste. Das Zeigen von historisch Materiellem (ohne Butzenscheiben) aber gehört zu jenen höheren Aufgaben, an das ein wohlfeil gewordenes "Regietheater" sich nicht wagt. Und das ist womöglich gut so: Gar zu leicht zieht sich einen Bruch zu, wer sich verhebt. Reduktion ist nun einfach more easy als Dialektik.

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