Testberichte für Gedichte

19.07.2007
Steffen Jacobs hat sich in den letzten Jahren als Lyrik-Ideologie einen Namen gemacht: Er hat diverse Bände vor allem zur komischen Lyrik herausgegeben und Essays verfasst. Seine eigenen lyrischen Versuche sind demgegenüber fast schon in den Hintergrund getreten, aber selbstverständlich fügen sie sich ins Bild, das er theoretisch immer wieder entwirft.
Das Handwerkliche ist für Jacobs zentral: die Versmacherei. Er zählt sich am liebsten zur Zunft der "Gedichtmetze". Und deswegen sichtet er in seinem neuen Buch, in der edlen "Anderen Bibliothek" des Eichborn-Verlags, wieder einmal die Lyrikgeschichte und Versmacherei- und Metzkunst-Gesichtspunkten.

Jacobs sucht sich für jedes Jahrzehnt im 20. Jahrhundert einen Lyriker aus, den er mit seinen Kriterien befragt. Das ergibt, möchte man annehmen, eine Galerie von klassischen Lesebuchautoren. Doch bei manchen Namen stutzt man durchaus. Es geht um: Wilhelm Busch, Rilke, George, Josef Weinheber, Benn, Rühmkorf, Enzensberger, Harald Hartung, Robert Gernhardt, Grünbein. Jacobs findet davon längst nicht alle gut, aber er findet sie exemplarisch.

Dennoch ist das natürlich eine sehr streitbare Auswahl. Zum Beispiel hätte für das erste Jahrzehnt durchaus Hugo von Hofmannsthal statt Wilhelm Busch erwählt werden können, aber an Wilhelm Busch kann Jacobs seine Kunst des Verseschmiedens handwerklich am besten durchexerzieren: auch den dabei entstehenden Humor. Der ist bei Hofmannsthal allerdings tatsächlich weniger zu finden als bei Busch. Worum es Jacobs geht, ist damit schon programmatisch klar. Er schreibt oft lustig und pointiert, und man fühlt sich bei ihm gut unterhalten. Sehr schön etwa seine kurzweilige Analyse des narzisstischen Stefan George oder des Onanisten Rilke.

Selbstverständlich ist für ihn in der Gegenwart Robert Gernhardt das Maß aller Dinge: Da ist das Gemachte kunstfertig ausgestellt und trippelt lustvoll in den gepflegt geharkten und geschnittenen Versmaßen herum. Gegen all dies ist bestimmt nichts einzuwenden. Man steht allerdings sofort, wenn man nur ein bisschen die Augenbraue hebt, sofort unter dem strengen Verdacht, allzu humorlos zu sein, man steht unter der Humorfuchtel. Deswegen, das spürt man instinktiv, ist es unangebracht, gegen Jacobs Lyriker wie Brecht (zu politisch) oder Celan (zu tragisch-pathetisch-existenziell) ins Feld zu führen. Und dass Durs Grünbein bei Jacobs nicht allzu gut wegkommt, ist abzusehen. Der arme Mann hat ja den Zorn aller nachwachsenden Junglyriker nach sich gezogen, weil er einfach zu sehr als Platzhirsch gilt, und Jacobs macht da mit seinen lustig-bemühten Mäkeleien keine Ausnahme.

So ganz objektiv und unbestechlich, wie man es gerne hätte, ist Jacobs bei aller ausgestellten unparteiischen Eleganz aber dann doch nicht. Ein Lyriker wie Harald Hartung in allen Ehren, der Mann hat unbestreitbar seine Verdienste. Aber dass er hier ein Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts markieren darf, hat wohl eher etwas mit seiner Funktion als einflussreicher Lyrik-Kritiker und vielfachem Jury- und Gremiumsmitglied zu tun. Allerdings, Hartung hat es auch lieber ein bisschen kleiner und überschaubarer, genauso wie Jacobs. Allzu Schwieriges, dem man nicht mit empirischen Daten, rhythmischen Einheiten, lustigen Reimen beikommen kann, ist da eher lästig. Also: Dieser Lyrik-TÜV liest sich ganz süffig, er ist ganz launig. Man sollte sich aber zu lange mit der Frage aufhalten, ob der Lyrik wirklich nur mit den Maßstäben eines solchen TÜV zu fassen ist.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Steffen Jacobs:
Der Lyrik-TÜV. Ein Jahrhundert deutscher Dichtung wird geprüft.

Eichborn Verlag (Die Andere Bibliothek) 2007,
349 Seiten, 29,80 Euro.