Terrorismus

Die Gefahr kommt von innen

Tausende Menschen haben sich in Paris versammelt, um der Opfer des Anschlags auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" zu gedenken.
Die Täter sind Teil der Gesellschaft, bevor sie sich radikalisieren. © AFP / Eris Feferberg
Von Thomas Hanke · 10.01.2015
Nicht länger können sich die Staaten an ihren Grenzen schützen, sondern müssen sich mit Terroristen auseinandersetzen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Der Journalist Thomas Hanke über die Folgen.
Frankreich hat in dieser Woche einen dreitägigen Alptraum erlebt, wie er nach Aussage des Bundesinnenministers auch Deutschland heimsuchen könnte. Eine kleine Zahl von Terroristen und ihre Helfer wollten das Land in Angststarre versetzen. Polizei, Gendarmerie und deren Sondereinheiten mussten in einem nie dagewesenen Umfang mobilisiert werden, um der Täter Herr zu werden.
Auch wenn sie am Freitagabend getötet werden konnten – es bleibt die immense Sorge, dass einige, drei, vier Terroristen über Tage hinweg ein ganzes Land, ja Europa in Atem halten können.
Ihr politisches Ziel haben die Attentäter nicht erreicht. Die Franzosen betreiben keine politische oder gar ethnisch-religiöse Selbstzerfleischung, wie die Terroristen es gerne hätten. Frankreich hat zum ersten Mal seit Jahren wieder ein klares Ziel: Seine Freiheit und das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen zu verteidigen. Das sind keine Parolen, die von Großkopfeten ausgegeben werden. Die Bürger haben die Sache selber in die Hand genommen. Sie haben nicht auf Parteien und staatliche Organe gewartet, sondern haben spontan zu Zehntausenden demonstriert. Die mögliche politische Wirkung dieser Bewegung ist enorm.
Wer die Freiheit verteidigen will, kann nicht einzelne Religionen ausschließen
Sie hat die muslimischen Organisationen bereits dazu gebracht, sich klarer und viel aktiver als in der Vergangenheit hinter die Werte der Republik zu stellen und dafür auch auf die Straße zu gehen. Und quasi als Nebeneffekt ist die rechtsextreme Front National in die Defensive geraten. Die Europa- und Ausländerfeinde sind schwer am Rudern. Mit ihrem muslimfeindlichen Diskurs stehen sie plötzlich erkennbar als Spalter der französischen Nation dar. Wer christliche gegen muslimische Franzosen aufbringen will, gerät heute schnell ins Abseits.
Ähnlich verhält es sich in Deutschland. Auch hier sind die Versuche von Populisten wie Alexander Gauland, den Anschlag von Paris zu einem Argument für die Pegida-Demonstranten zu pervertieren, nach hinten losgegangen. Wer die Freiheit verteidigen will, kann nicht einzelne Religionen ausschließen.
Vor allem darf man eines nicht vergessen: Das bislang schlimmste Blutbad richtete der Norweger Anders Breivik an, kein Muslim, sondern ein selbsternannter Kreuzritter für die Rettung des Abendlandes.
Doch in den nächsten Wochen muss eine sicherheitspolitische Debatte geführt werden, und nicht nur wegen der mutmaßlichen Pannen bei der Überwachung der Dschihadisten. Genau wie in Frankreich stellt sich auch in Deutschland die Frage, was der Terroranschlag von Paris verändert. Nüchtern gesagt haben die Täter mit geringem Aufwand eine maximale Aufmerksamkeit erzielt, selbst wenn ihr politisches Ziel nicht in Erfüllung geht.
Die Kouachi-Brüder sind ein Ausschuss-Produkt der französischen Gesellschaft
Auf diese Art von Tätern hat Europa noch keine Antwort gefunden. Diese neue Gefahr ist uns noch nicht einmal richtig bewusst. Umfangreiche Operationen für einen großen Bombenanschlag haben die Geheimdienste in den vergangenen Jahren aufdecken und vereiteln können. Gegen Täter wie die beiden Brüder Kouachi, die Mörder der Redaktion von Charlie Hebdo, und ihre Komplizen dagegen hat man noch kein Mittel gefunden.
Das hat damit zu tun, dass unsere alte Vorstellung überholt ist. Die Bedrohung kommt nicht mehr allein von außen, ist nicht an den Grenzen oder sogar schon irgendwo im Mittleren Osten aufzuhalten. Die Kouachi-Brüder sind ein Ausschuss-Produkt der französischen Gesellschaft, ähnlich wie die deutschen Dschihadisten, die mit dem Kampf in Syrien ihrem verkorksten Leben einen heroischen Sinn geben wollen.
Die Gefahr für uns geht also nicht mehr allein von Organisationen im Ausland oder von gescheiterten Staaten aus. Wir werden uns viel stärker als in der Vergangenheit der Frage stellen müssen, wie aus Drogendealern wie den Kouachie-Brüdern im Lauf der Jahre terroristische Kampfmaschinen werden, die irgendwann in Bewegung gesetzt werden. Gegen Ziele, die sich nicht alle schützen lassen.
Ein Teil der bitteren Realität ist, dass wir mit einem höheren Risiko leben müssen. Mindestens so lange, wie es uns nicht gelingt, den Prozess der Radikalisierung Krimineller durch fundamentalistische Gurus zu stoppen. Die Gehirnwäsche, die aus gescheiterten Existenzen Attentäter macht, findet in unseren Gefängnissen und nicht mehr nur in den Moscheen radikaler Imame statt. Hier bei uns sind Strukturen entstanden, die teilweise übersehen oder toleriert wurden, aber zerstört werden müssen und können. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden kann nicht erst dann beginnen, wenn die Täter ihre Waffen laden.
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