Terroranschläge in London

7/7 - Großbritannien unter Schock

Auf einem Werbeschild einer Zeitung steht: "Terroristen attackieren London - viele Tote".
Die Anschläge in London am 07.07.2005 fordern 52 Tote und 770 Verletzte. © afp / Paco Serinelli
Von Ruth Rach · 07.07.2015
Es ist kurz vor neun, als in verschiedenen U-Bahn-Zügen fast gleichzeitig drei Sprengsätze hochgehen - mitten in der morgendlichen Stoßzeit. Heute vor zehn Jahren verübten vier junge Islamisten in London eine Serie von Terroranschlägen: 52 Menschen verloren ihr Leben.
"The international olympic committee has the honour of announcing."
In der britischen Hauptstadt beginnt der 7. Juli 2005 mit einem Riesentriumph.
Vor ein paar Stunden wurden die Olympischen Sommerspiele 2012 an London vergeben. Eine Riesenüberraschung. Denn eigentlich hatte Paris als Favorit gegolten. Aber die britische Bewerbung hatte das Multi-Kulti Image der Metropole in den Vordergrund gestellt. Und so wurde London zum Austragungsort gekürt.
Doch kurz nach dem Freudentaumel, die Tragödie.
52 Tote und 770 Verletzte
Um zehn vor neun gehen in Londoner U- Bahnzügen fast gleichzeitig drei Sprengsätze hoch. Mitten in der morgendlichen Stoβzeit. Eine knappe Stunde später explodiert eine weitere Bombe: diesmal in einem voll besetzten Bus auf dem Tavistock Square. Der halbe Doppeldecker fliegt in die Luft. Überlebende sprechen von entsetzlichen Szenen.
"Jeder hat geschrien, ich habe geschrien, überall war Blut, mein Bein war eine klaffende Wunde."
Die Anschläge fordern 52 Tote und 770 Verletzte. London steht unter Schock. Bald erhärtet sich der Verdacht: Dies ist eine islamistisch motivierte Attacke. Und dann der nächste Schock. Die vier jungen Selbstmordattentäter sind nicht - wie zunächst vermutet - ausländische Al Qaida Kämpfer, sondern britische Staatsbürger, in Groβbritannien erzogen und aufgewachsen. Einer kommt aus Jamaika, die anderen drei haben pakistanische Wurzeln. Unter ihnen Mohammad Sidique Khan. Er erklärt seine Motive auf einem voraufgenommenen Video, das auf Al Jazeera ausgestrahlt wird.
"So lange ihr nicht aufhört, meine Leute zu bombardieren, zu vergasen und gefangen zu nehmen, werden wir kämpfen. Wir sind im Krieg, und ich bin ein Soldat."
Eine Art "Londonistan"
In der britischen Öffentlichkeit entbrennen leidenschaftliche Diskussionen. Hat das Multikulti-Modell versagt, auf das die Briten so stolz waren? Hat eine falsch verstandene Auffassung von Toleranz dazu beigetragen, eine Art "Londonistan" zu schaffen, ein Rekrutierungsparadies für islamistische Extremisten?
Jetzt werden muslimische Gemeinden aufgefordert, zu dem Anschlag Stellung zu nehmen. Aber warum sollte sie sich für extremistische Gewaltakte entschuldigen, die nichts mit dem Islam zu tun hätten, fragt Sultana, 20, in Ost-London geboren und aufgewachsen:
"Der Anschlag hat uns alle betroffen. Unter den Opfern waren schlieβlich auch Muslime. Jetzt müssen wir nicht nur weitere Bomben befürchten, sondern auch anti -muslimische Übergriffe unserer britischen Mitbürger."
Blutiger Gewaltakt
Die Täter vom 7. Juli 2005 widersprechen den herkömmlichen Klischees. Sie sind keine "gesellschaftlichen Auβenseiter", keine unterprivilegierten Jugendlichen, die in Moscheen radikalisiert wurden, sondern gut gebildet und stammen aus stabilen Verhältnissen. Zum Beispiel Mohammad Siddique Khan - ein allseits beliebter Lehrer, der leidenschaftlich gern Cricket spielte. Freunde beteuern, sie könnten sich nicht vorstellen, wie er zu einem blutigen Gewaltakt imstande war. Andere wiederum sagen, die westliche Auβenpolitik sei der Auslöser gewesen.
Hurya Ahmed vom britischen Zentrum für sozialen Zusammenhalt widerspricht:
"Die westliche Auβenpolitik wird von islamistischen Fanatikern als Propagandamittel benutzt, um junge Leute zu radikalisieren. Das heiβt aber noch lange nicht, dass sich westliche Regierungen erpressen lassen sollten, aus lauter Angst vor Racheakten ihre politische Linie zu ändern."
Seit dem Anschlag wurde die Antiterrorgesetzgebung verschärft. Die britischen Sicherheitskräfte erklärten, sie hätten mehrere schwere Attentate verhindert. Dennoch: im Mai 2013 wurde der Soldat Lee Rigby vor seiner Kaserne in Woolwich brutal niedergemetzelt. Die Täter, zwei britische Konvertiten nigerianischer Abstammung bezeichneten sich ebenfalls als "Soldaten Gottes".
"Auge um Auge, Zahn um Zahn, sagte Michael Adebolajo nach der Tat. Stolz und mit blutbefleckten Händen."
Wie sollte eine multikulturelle Gesellschaft aussehen? Wo sind die Grenzen der Toleranz? Über diese Themen wird noch lange diskutiert werden. Nach den Terroranschlägen von Paris kündigte der britische Premierminister David Cameron weitere Maβnahmen zur Datenspeicherung an. Aber Sicherheitsvertreter in London sagen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Groβbritannien ein weiteres Attentat verübt werde.
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