Terrorabwehr

Kriminologe warnt vor "Aufrüstungsrhetorik"

Ein Beamter der Eliteeinheit GSG 9.
Eliteeinheiten wie die GSG 9 brauchen keine weitere Aufrüstung, findet der Kriminologe Rafael Behr © picture alliance/dpa/Boris Roessler
Rafael Behr im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.06.2015
Rafael Behr hält nichts von hoch gerüsteten Anti-Terroreinheiten der Polizei. Es gebe bereits ausreichend Spezialkräfte wie die GSG 9, meinte der Kriminologe. Zugleich warnte er vor einem verbalen Aufrüsten.
Rafael Behr hält nichts davon, mit "kriegsähnlichen Waffen" gegen potenzielle Attentäter vorzugehen. Zumal es gar nicht unbedingt sein müsse, dass "kriegserprobte Terroristen aus Krisengebieten" mit Waffen zurückkämen, so der Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg.
Man könne auch die Perspektive einnehmen, dass diese Menschen traumatisiert seien: "Wir sollten das Problem tatsächlich nüchtern und differenziert betrachten und hier nicht mit einer Aufrüstungsrhetorik symbolische Politik betreiben". Fälle wie die Terroranschläge in Paris und Kopenhagen habe es bisher in Deutschland noch nicht gegeben. "Mich wundert immer, dass sich die Innenminister immer antizipatorisch auf solche Dinge vorbereiten", sagte Behr. Die deutsche Polizei sei es gewöhnt, mit kriminalpolizeilicher Expertise vorzugehen - und nicht mit Schützenpanzern.
Behr äußerte sich auch zu Forderungen der Gewerkschaft der Polizei nach einem besseren Schutz der Beamten vor alltäglicher Gewalt und Pöbeleien. Tatsächlich gebe es an Hotspots wie Fußballstadien und sozialen Brennpunkten ein "Kommunikationsdefizit" zwischen Polizei und Klientel. "Ich glaube, (...) dass die Polizei (...) sehr viel besser mit physischer Gewalt umgehen kann als mit den Vorstufen von Gewalt - also Bedrohungsszenarien, Beleidigungen et cetera." Aber auch dagegen müsse man mit Kommunikations- oder anderen Selbstverteidigungsstrategien vorgehen, und nicht mit einer stärkeren Aufrüstung.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Am Telefon haben wir jetzt den Kriminologen Rafael Behr von der Akademie der Polizei in Hamburg. Guten Morgen!
Rafael Behr: Guten Morgen!
Frenzel: Was denken Sie über eine solche Spezialeinheit gegen den Terror bei der Polizei, ist das hilfreich?
Behr: Wir sollten nicht so tun, als hätten wir nicht schon Spezialeinheiten. Seit Jahren gibt es SEKs, MEKs, die GSG9, also die Spezialeinsatzkommandos der Länder und des Bundes, die sich ja speziell auf diese Szenarien vorbereiten. Wir sind hier nicht völlig nackt und bloß, wie man denken müsste. Mir ist nicht ganz einsichtig, warum man mit kriegsähnlichen Waffen, also mit stärkerer Panzerung und stärkeren Waffen, das Terrorismusproblem lösen sollen könnte.
Ich habe gerade gehört, dass man offenbar davon ausgeht, dass kriegserprobte Terroristen aus den Krisengebieten zurückkommen. Man kann genauso gut auch die Perspektive einnehmen, dass hier traumatisierte Leute zurückkommen, die keine tickenden Zeitbomben mehr sind, zumindest nicht alle, sondern auch eben ihre schlechten Erfahrungen gemacht haben. Also wir sollten das Problem tatsächlich nüchtern und differenziert betrachten und hier nicht mit einer Aufrüstungsrhetorik symbolische Politik betreiben.
Die deutsche Polizei ist nicht unvorbereitet
Frenzel: Aber was man macht mit denen, die dann wirklich mit Waffen kommen und nicht nur traumatisiert oder vielleicht traumatisiert und mit Waffen, was wahrscheinlich noch schlimmer ist, die halten sich ja leider nicht an die Genfer Konventionen und sagen, upps, das sind Polizeiaufgaben, bei denen schießen wir nicht zu.
Behr: Nun ja, wir hatten so einen Fall noch nicht, dass jemand zurückkommt mit Waffen. Was Polizeiexperten vermuten und Verfassungsschutzexperten, dass es tatsächlich Menschen gibt, die aus diesen Krisengebieten zurückkommen und noch radikalisiert sind und hier sozusagen ihr terroristisches Treiben weiterführen wollen.
Aber dieses Szenario, wie wir es in Frankreich oder in Kopenhagen gesehen haben, gab es in Deutschland noch nicht. Und mich wundert immer, dass sich die Innenminister immer antizipatorisch auf solche Dinge vorbereiten. Ich glaube nicht, dass es nottut, ich glaube auch nicht, dass die deutsche Polizei unvorbereitet ist, denn wir sind gewöhnt, solche Dinge mit Intelligenz, mit Expertentum, mit, ich würde mal "Backgroundpolicing" dazu sagen, also nicht mit symbolischer Präsenz der Polizei in den Straßen und mit Schützenpanzern, sondern mit einer kriminalpolizeilichen Expertise, die uns bisher eigentlich schon ganz gut geholfen hat.
Frenzel: Lassen Sie uns mal auf einen anderen Aspekt schauen, der auch bei den Innenministern eine Rolle spielt: Die alltäglichen Angriffe auf Polizisten, also sowas wie Bespucken, Pöbeleien, tätliche Angriffe, da sagt die Gewerkschaft der Polizei, das nimmt immer mehr zu, sie müssen besser ausgerüstet werden dagegen. Stimmt das denn, nimmt es zu?
Ballistische Schutzschilde schützen nicht vor Spucke
Behr: Nun, hier hat sich die Szene in der Tat diversifiziert. Es gibt Hotspots, wie wir es nennen, also Fußballstadien, Kieze, andere Veranstaltungen, soziale Brennpunkte, Metropolregionen, da gibt es ein Kommunikationsdefizit zwischen Polizei und Klientel.
Ich glaube und bin fest davon überzeugt – das bestätigen auch alle Untersuchungen –, dass die Polizei sehr gut oder sagen wir mal sehr viel besser mit physischer Gewalt umgehen kann als mit den Vorstufen von Gewalt, also Bedrohungsszenarien, Beleidigungen et cetera. Leider ist es so, dass wir in der Nutzung eines Gewaltbegriffs oder sagen wir mal in der inflationären Nutzung des Gewaltbegriffs hier mehr verdecken als klarlegen.
Ich würde sagen, man muss dort ansetzen, wo tatsächlich Belastungen für Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen entstehen durch eine fehlgeleitete Kommunikation, dass man bestimmte Leute nicht mehr erreichen kann, dass man sich bestimmte Sachen auch nicht mehr vorstellen kann, dass es keine Übereinstimmung mehr darin gibt, was sich gehört.
Das alles sind Belastungsfaktoren, das unterschreibe ich sofort, und an diese Belastungsfaktoren muss man mit Kommunikationsstrategien oder mit anderen Selbstverteidigungsstrategien ran, aber nicht durch eine stärkere Aufrüstung. Ballistische Schutzschilde schützen nicht vor Spucke.
Frenzel: Dieses Stichwort, nicht mehr erreichen können, das würde ich gerne mal aufnehmen. Ich habe nämlich den Eindruck, dass sich die Polizei vielerorts immer mehr einigelt, lieber im Mannschaftswagen sitzt in voller Montur. Ist denn der Streifenpolizist, der mit dem Kollegen die Straße entlangläuft, ist das eine nostalgische Wunschvorstellung?
Die Polizei erfährt Wertschätzung, weil sie auch mal zurücksteckt
Behr: Nein, ganz und gar nicht. Wie gesagt, es gibt weite Gebiete in Deutschland, wo genau dieses Bild noch zutrifft, und selbst in Großstädten gibt es sehr viel unterschiedliche Stadtteile, Stadtteile, in denen Polizeiarbeit nach traditioneller Art sehr gut angenommen wird, wo viele Beamte Fußstreife laufen tagsüber alleine – die so genannten Kontaktbereichsbeamten oder wir nennen es besonderer Fußstreifendienst –, das sind hochakzeptierte Polizisten, die eine hochkompetente Arbeit machen.
Aber in der Tat gibt es Regionen und einzelne Stadtteile, einzelne geografisch begrenzte Orte, in denen genau diese Kommunikation nicht mehr funktioniert, und das muss man sozusagen mit neuen Einsatzstrategien bewältigen und nicht mit neuen Waffen. Wir haben es zum Teil eben mit einer Normaushandlungsgesellschaft zu tun, die bisherige Normen stärker infrage stellt, weil sie eben der Polizei vertraut, dass sie nicht sofort zuschlägt. Das große Vertrauen der Polizei kommt ja nicht deshalb, weil sie so martialisch auftritt, sondern weil sie maßvoll auftritt, verhältnismäßig, weil sie auch mal zurücksteckt, das bringt ihr diese große Wertschätzung ein.
Und hier müssen wir ganz klar sagen: Wir müssen Respekt von Angst unterscheiden. Und ich glaube auch, dass die Angst vor der Polizei abgenommen hat. Das hat Risiken und Nebenwirkungen, die Polizisten auch sehr stark zu spüren bekommen, aber der Respekt der Polizei, den muss man sich in jeder Interaktion wieder neu erarbeiten und das ist ein wechselseitiger Prozess.
Frenzel: Das sagt der Kriminologe Rafael Behr, Dekan an der Hamburger Akademie der Polizei. Ich danke Ihnen!
Behr: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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