Terror und Gewalt

Strategien gegen die Angst

Zwei Plakate mit den Aufschriften "Schmerz" und "Angst" werben für einen Krimi-Roman auf den Gleisen am Ostbahnhof in Berlin.
Sinn von Terrorakten ist auch, Angst zu verbreiten - auch bei denen, die nicht direkt betroffen sind © dpa / picture alliance / Stefan Jaitner
Von Susanne Billig · 28.07.2016
Terror und Gewaltakte lösen Unsicherheit bei den Menschen aus. Wie damit umgehen? Die Politikwissenschaftlerin Sylvia Wetzel beschäftigt sich mit Angst und ihrer Bewältigung − sie weiß, dass auch ein starker Staat uns nicht das gewünschte Mehr an Sicherheit bringen kann.
Terror und Gewaltakte, die aus dem Nichts über Menschen hereinbrechen, lösen Fassungslosigkeit aus – und ohnmächtige Wut. Ist die Gewalt so eng verwoben mit der Weltpolitik, dass sich der Einzelne nicht mehr in der Lage sieht, auf die zukünftige Entwicklung einzuwirken, kann die Ohnmacht übermächtig werden. Daher rührt der Ruf nach dem starken, alles kontrollierenden Staat, nach Ausweisung, Abschottung, Gegengewalt.
Die aktuelle Umfrage einer großen Versicherung zeigt, wie verbreitet solche Reaktionen schon sind: 73 Prozent der Menschen hierzulande haben schon Angst vor Terroranschlägen. Dabei machen offene Gesellschaften mit einer rechtsstaatlichen Ordnung das Leben des Einzelnen sicherer, gibt die Politikwissenschaftlerin Sylvia Wetzel zu bedenken:
"Im Kontext dessen, wie viele Menschen wir heute auf der Erde sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man durch Mord, durch einen Angriff, durch Krieg und so weiter umkommt, geringer als vor hundert Jahren. Geringer als vor fünfhundert Jahren. Geringer als vor tausend Jahren. Das heißt, wir leben natürlich in einer Zeit, wo auch schlimme Sachen passieren, aber Gewalt, Mord, Totschlag, Krieg, Bürgerkrieg: Es kommen weniger Menschen in diesen Kontexten um als früher."

Viele unterschiedliche Arten von Angst

Auch der Blick in aktuelle Terrorstatistiken lehrt eine andere Realität: Noch in den achtziger Jahren kamen in Westeuropa jedes Jahr mehr als einhundertfünfzig Menschen durch Anschläge ums Leben, meist durch Separatisten in Frankreich, Spanien und Großbritannien. Heute sind 80 Prozent der Opfer des weltweiten Terrors Muslime – und über 99 Prozent lebten außerhalb Europas. Sylvia Wetzel arbeitet seit als buddhistische Seminarleiterin, teils in enger Zusammenarbeit mit Psychologinnen und Psychologen. Angst und Angstbewältigung gehören zu ihren Kernthemen.
"Ich denke, dass die vielen unterschiedlichen Arten von Ängsten ganz viel zu tun haben mit einem mangelnden Zugang zu Verstehen, zu Sinn. Die Orientierunglosigkeit der Menschen: Weil wir so viele unterschiedliche Perspektiven auf die Welt inzwischen kennen – und selbst Leute, die in der gleichen Kultur aufgewachsen sind, die etwa gleich alt sind, haben so unterschiedliche Interpretationen für das, was passiert: Das verunsichert auch."
Es ist eine Binsenweisheit, dass es im Leben keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Keine Versicherung verhindert einen Unfall, kein Stacheldrahtzaun die Migration, niemand kann jeden frustrierten Schüler oder jeden Einwanderer auf Schritt und Tritt kontrollieren. Müssen wir akzeptieren, dass wir in dieser Welt prinzipiell unsicher sind?
"Natürlich müssen wir das. Aber das geht nicht so einfach. Und wir brauchen Stabilität. Das ist ein natürliches Bedürfnis. Wir haben Hunger, wir haben Durst, wir wollen Sicherheit, wir wollen gesehen werden. Das sind Grundbedürfnisse. Und eine Art Sicherheit zu suchen ist, Kontrolle zu kriegen."

Hilflosigkeit und Ohmmacht begründen einen Teufelskreis

Was aber tun, wenn sich eine offene Welt der Kontrolle entzieht? Aus Überforderung reagieren viele Menschen mit einem Rückzug in die politische Gleichgültigkeit. Ein Teufelskreis entsteht, den der amerikanische Sozialpsychologe Martin Seligman unter dem berühmten Begriff der "gelernten Hilflosigkeit" zusammenfasste: Wer es aufgibt, seine Lebenswelt zu gestalten, verliert auch die Fähigkeit dazu. Hilflosigkeit und Ohnmacht werden zu einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.
"Gleichgültigkeit, dahinter steckt eine Haltung der Angst vor Komplexität, vor Problemen, vor Schwierigkeiten, vor Leiden, man macht sich dicht und lässt nichts mehr an sich rankommen. Der Nachteil ist, dass man auch angenehme Gefühle nicht mehr spüren kann und auch wenig Freude hat. Das Leben wird flach. Bei Gleichmut heißt es eher, man sieht Schwierigkeiten – aber man weiß, es gibt nicht nur Probleme. Man sagt, okay, ich tu jetzt mein Bestes – aber ich dreh nicht gleich durch. Ohne Gleichmut und Gelassenheit können wir mit den komplexen Problemen, die wir jetzt haben, nicht umgehen."
Als "Risikointelligenz" bezeichnet der britische Philosoph Dylan Evans die menschliche Fähigkeit, in Zeiten der Ungewissheit kluge Entscheidungen zu treffen. Aufschieben ist für ihn eine akzeptable Strategie. Doch der westliche Mensch, verliebt in Zukunftsgestaltung und Fortschritt, tut sich schwer damit abzuwarten, bis so etwas wie Einsicht und vielleicht sogar Weisheit erscheinen. Statt einem tieferen Verständnis Zeit zu geben, möchte er Gewissheit herbei zwingen, indem er vorschnell behauptet und skandalisiert, Hypothesen in die Welt setzt und hitzige Debatten führt.
"Das ist in der Regel angstgesteuert, wutgesteuert, ohnmachtgesteuert – und solange wir aufgeregt sind, ist unsere Fähigkeit zu denken, sehr eingeschränkt. Wir brauchen ein hohes Maß an Selbsterkenntnis. Wir müssen unsere Ängste kennen, unsere Vorurteile, unsere reaktiven Emotionen, damit wir nicht Öl ins Feuer gießen – und das ist nicht leicht. Das kann man nur in einem relativ ruhigen Zustand."

Dankbarkeit ist eine der größten Ressourcen

Damit Menschen überhaupt in der Lage sind, die Unübersichtlichkeit der Welt auszuhalten, damit sie ihre erste Wut und Angst verstreichen lassen können, müssen sie sich – weit weg von der großen Politik – um persönliche Lebensumstände kümmern, die ihnen sowohl Sicherheit vermitteln wie ihre Bereitschaft fördern, neugierig und offen zu bleiben. Sylvia Wetzel empfiehlt: Pausen machen und innehalten. Beziehungen und Freundschaften pflegen. Anderen helfen. Freude erleben. Unterschiedliche Meinungen hören. Etwas von Anfang bis Ende gestalten.
"Von Leuten, die Hospizarbeit machen, weiß ich: Menschen, die primär über intellektuelle und disziplinarische Kontrolle ihr Leben im Griff hatten – denen geht's schlecht. Und die werden zum Teil so frustriert und wütend, weil sie merken, sie verlieren die Kontrolle. Menschen, die auf die emotionalen Qualitäten achten und Freundlichkeit entwickeln, so lange sie einigermaßen fit sind, haben es leichter. Also von daher denke ich: Herzenserziehung. Dinge machen, die die Verbundenheit stärken. Freundlichkeit entwickeln. Dankbarkeit ist eine der größten Ressourcen, die es gibt. Und dann bin ich auch entspannter und kann mit dem, was an Unsicherheit geschieht, besser umgehen."
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