Terror in Deutschland

Ansbach nach dem Anschlag

Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak halten in Ansbach nach dem Anschlag Schilder hoch, mit denen sie für Frieden demonstrieren.
Nach dem Anschlag in Ansbach: Flüchtlinge demonstrieren für den Frieden. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Inga Pflug · 18.08.2016
Ende Juli sprengt sich ein 27-jähriger Syrer in Ansbach vor einem Weinlokal in die Luft. Er kommt dabei ums Leben, 15 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Wie geht die sonst so ruhige, bayrischen Kleinstadt mit dem Geschehen um? – Eine Spurensuche.
Eine kleine Gruppe von Touristen schart sich um Stadtführer Alexander Biernoth. Im Innenhof der Ansbacher Residenz, dem sogenannten Schloss, beginnt der Ansbacher in der Regel seine Führungen. Dabei wird viel gelacht. Ob über das Liebesleben des wilden Ansbacher Markgrafen oder die merkwürdige Pferdeskulptur "Anscavallo" auf dem Schlossplatz: Zu ernst wird die Ansbacher Stadt-Geschichte hier nicht genommen.

Bloß kein Katastrophentourismus

Doch spätestens wenn Biernoth die Gäste aus dem Innenhof der Residenz in die Innenstadt führt, rücken plötzlich die jüngsten Ereignisse in greifbare Nähe.
"Also das war jetzt hier die Lokation von dem 'Ansbach Open', was durch die ganzen Medien ja jetzt ging", erzählt Biernoth – und zeigt auf ein gelbes Haus mit Durchgang:
"Dahinter war der Anschlag gewesen. Und das waren also die zwei Fluchtmöglichkeiten, da hinten gibt es noch ein drittes Tor, und da muss man sich vorstellen innerhalb von knapp einer Viertelstunde 2.500 Leute von dem Platz zu kriegen, das war also schon auch eine großartige Leistung gewesen, dass das so geklappt hat, ohne dass da auch noch Panik ausgebrochen ist."
Die Besucher schauen sich neugierig um. Bei Licht betrachtet, ist die Reitbahn nur ein kopfstein-gepflasterter Parkplatz, eingerahmt von historischen Häusern. Doch beim Ansbacher Stadtfest und anderen Festivitäten wird hier gefeiert, spielen Bands - wie eben auch beim vergangenen Ansbach Open.
Durchgang zur Reitbahn in Ansbach: Einer der Fluchtwege, durch den die Gäste des Festivals "Ansbach Open" nach dem Anschlag evakuiert werden mussten.
Eine Friedenstaube hängt über dem Durchgang zur Reitbahn in Ansbach: Das Banner erinnert an den Anschlag.© Inga Pflug
Nun selbst an dem Ort zu stehen, der durch die bundesweiten Nachrichten geflimmert ist - für manch einen Touristen ein komisches Gefühl.
Doch deswegen nicht nach Ansbach zu fahren oder den Urlaub umzubuchen - zumindest für diese Reisegruppe keine Option.
"Wie schnell es relativ nah sein kann, so ein Attentat. Das ist eigentlich, was einen erschreckt."
"Wir waren dieses Jahr noch in London, und da bist du gedanklich eher, dass du sagst Großstadt, kann ja sein. Und jetzt bricht sich es halt doch runter, regional."

Touristen aus Frankreich haben Reise abgesagt

Mitbekommen hat den Anschlag jeder. Und so gut wie jeden hat das Thema in irgendeiner Form beschäftigt.
Mit langfristigen Auswirkungen auf den Tourismus in der Residenzstadt rechnet vorerst niemand in Ansbach.
"Wir hatten jetzt auch schon ein paar Absagen von Stadtführungen, speziell eine Gruppe aus Frankreich", sagt Stadtführer Biernoth. Von deutschen Gruppen habe er aber keine Absagen mitbekommen.
Er lotst die Besuchergruppe durch das Tor zur Linken von der Reitbahn. Vor dem Anschlag führte der Weg vom Schloss in die Innenstadt immer direkt über den Platz - auch durch den Durchgang, vor dem die Bombe detonierte. Im Ansbach "danach" hat er die Route geändert; um dem Katastrophentourismus aus dem Weg zu gehen. An den Tagen unmittelbar nach dem Terroranschlag seien auf dem Pflaster noch die Umrisse der Leiche zu sehen gewesen, erzählt Biernoth. "Jetzt ist das nicht mehr zu sehen."

"Es muss weitergehen"

Stattdessen haben Ansbacher nach dem Anschlag Blumen niedergelegt und Kerzen aufgestellt. Über dem Durchgang zur Reitbahn hängt ein großes Banner mit Friedenstaube. Und auf einem Schild hat jemand die Worte aufgegriffen, die nach den Anschlägen von Paris berühmt geworden sind: "Meinen Hass kriegt Ihr nicht", steht da in großen roten Buchstaben.
Am Tatort des Bombenanschlags von Ansbach zitiert ein Anwohner die durch die Anschläge von Paris berühmt gewordenen Worte: "Meinen Hass kriegt Ihr nicht".
Plakat am Tatort des Bombenanschlags: "Meinen Hass kriegt Ihr nicht".© Inga Pflug
Und genau das ist auch der Tenor der Ansbacherinnen und Ansbacher auf der Straße:
"Dass man jetzt irgendwie die Lebensweise umstellt oder sonst irgendwas – in keiner Weise, dann haben die ihr Ziel erreicht. Und das darf nicht passieren."
"Wir sind betroffen, natürlich. Aber für mich persönlich ändert sich nichts – an meiner Haltung."
"Wir sind vielleicht etwas vorsichtiger geworden. Aber sonst? Es muss weitergehen – und geht auch weiter."
Manche gehen noch weiter, wollen auf den Anschlag schlichtweg nicht mehr angesprochen werden.
"Also des Medieninteresse find ich furchtbar. Man ist satt, man kann es nicht mehr hören."

Evakuierung funktionierte reibungslos

In Weidenbach, einem kleinen Ort etwa 15 Kilometer südlich von Ansbach, demonstriert Andreas Schmidt seine Schutzwesten: Schusssichere mit Kevlar oder Schlag- und Stichschutzwesten mit Stahlpanzer. Grundausstattung für den Security-Chef.
Normalerweise haben es Andreas Schmidt und sein Team von "Pro-Tect Security" bei Konzerten wie dem Ansbach Open gerade einmal mit ein paar Betrunkenen, harmloseren Raufereien oder vielleicht gelegentlich einer handfesten Schlägerei zu tun.
Diesmal war bekanntermaßen alles anders – aber kalt erwischt hat der Sprengsatz den Security-Chef nicht. Er sei auf alle Eventualitäten vorbereitet, sagt Schmidt. "Und genau deswegen hab ich mir meine schusssichere Weste den ganzen Samstag lang angezogen, inklusive auch den Sonntag. Das heißt, ich geh schon immer davon aus, dass es so sein kann." Mittlerweile würde dies auch nicht mehr belächelt werden, "sondern ernstgenommen weil man wirklich sieht, es kann eintreffen und es ist eingetroffen".
Dass die Evakuierung der Reitbahn so reibungslos funktioniert hat, dass es keine Panik gab und die Bombe nicht im Konzert-Gelände selbst hochging – dafür hat das Sicherheitsunternehmen viel Lob geerntet. Persönlich sieht sich der 42-Jährige insofern in seiner Haltung bestärkt.
Seit "Ansbach" wird nun aber die gesamte Sicherheitsbranche mit anderen Augen gesehen: Taschenkontrollen auf Konzerten etwa - bislang für das Publikum oft ein lästiges Übel. Nun sei das Publikum sehr viel toleranter geworden, stellt Andreas Schmidt fest. "Da kommt sehr, sehr viel Verständnis und kein Gemaule mehr."
Seit den Anschlägen würde für Sicherheitspersonal und -technik "auch gerne das Geld ausgegeben", meint Schmidt. "Weil das Sicherheitsbedürfnis auch bei den Betreibern von Gaststätten, von Diskotheken, von Kulturzentren soweit steigt und das Publikum natürlich auch dementsprechend Sicherheit gewährleistet haben möchte."
Anwohner von Ansbach haben Blumen am Tatort des Bomben-Anschlags niedergelegt.
Anwohner von Ansbach haben Blumen am Tatort des Bomben-Anschlags niedergelegt.© Inga Pflug

Flüchtlinge werden kritischer angesehen

Sicherheit – das ist es auch, was einer anderen Gruppe von Menschen in Ansbach am Herzen liegt: Den Flüchtlingen.
Etwas mehr als 500 sind in der Stadt untergebracht - verteilt auf mehrere Unterkünfte im Stadtgebiet. Die wenigsten Ansbacher haben wohl im Alltag Berührungspunkte mit ihnen. Wer Flüchtlingen begegnen will, muss beispielsweise ins Gemeindehaus von St. Johannis kommen.
Bei Kaffee und Kuchen sitzen hier einmal pro Woche Asylbewerber und Flüchtlingshelfer im "Café Vielfalt" zusammen. In der einen Ecke wird gebastelt, in der nächsten geturnt und einen Tisch weiter werden Unterhaltungen in wildem Sprachmix und mit Händen und Füßen geführt.
Ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Syrien berichtet von seinem Alltag in Ansbach: Die Stadt gefällt ihm, erzählt er. Doch seit dem Anschlag ist sein Alltag schwerer geworden - weil alle Angst haben - die Asylbewerber und die Deutschen.
Auch wenn das auf offener Straße keiner direkt zugeben mag: Die Blicke, mit denen die Asylbewerber angesehen werden, haben sich wohl doch geändert.
Und die Bombe vom Ansbach Open, sie hat auch die Welt in den Flüchtlingsunterkünften ein Stück weit ins Wanken gebracht.
"Was dieser Mensch gemacht hat, ist das Dümmste überhaupt. So behandelt man keine Menschen, die einem alles geben. Eine Unterkunft, medizinische Versorgung – und was für uns am wichtigsten ist: Sicherheit. Wie kann er die Leute hier so behandeln? Für mich ist das unnormales Denken. Ein kranker Geist. Das verstehe ich einfach nicht – wie er den Leuten in Deutschland oder speziell in Ansbach das antun konnte."

"Ausländerfeindliche Äußerungen werden salonfähig"

Eine Frage, die Tarek aus Damaskus und Ur-Ansbacher eint - und traurig macht.
Auch, weil der Sprengsatz vielleicht etwas an die Oberfläche katapultiert hat, dem hier im Café Vielfalt niemand Platz einräumen will:
"Leider trauen sich Menschen jetzt, Dinge zu äußern, die vor diesem Anschlag nicht salonfähig gewesen wären", sagt Flüchtlingshelferin Silke Eckert. "Ausländerfeindliche Äußerungen, die man früher nicht in der Deutlichkeit geäußert hätte, begegnen mir mittlerweile in einer Offenheit, dass es mich sehr wütend macht."
Nicht in Massen freilich - einer rechten Kundgebung direkt nach dem Anschlag standen in Ansbach beispielsweise spontan gut doppelt so viele Gegendemonstranten gegenüber. Doch an den Stammtischen, da mag es anders aussehen. Und auch im Netz lassen sich fremdenfeindliche Kommentare finden – die sich eindeutig auf den Vorfall in Ansbach beziehen.
"Leider nützen jetzt eben diese Menschen die mediale Aufmerksamkeit, um sich eine Plattform zu schaffen", sagt Silke Eckert. "Aber es gibt glücklicherweise noch genügend, die da versuchen ein Gegengewicht zu bilden."

"Ansbach kann ein kleines Vorbild sein"

Ansbach, die Stadt mit dem Terror-Makel?! Nicht, wenn es nach dem Bürgermeister geht. Thomas Deffner glaubt fest daran, dass "seine Ansbacher" das verhindern werden, dass die Stadt den Negativschlagzeilen etwas entgegenzusetzen hat. "Wir müssen halt mit dieser Bedrohung leider in unserem Land jetzt leben", sagt Deffner. "Wir müssen aufpassen, dass wir weiterhin die Balance behalten, auch in unserer Stadt und dürfen jetzt nicht durch blinden Aktionismus mehr Schaden anrichten, als dass wir Gutes bewirken."
Auch die Flüchtlinge sollen in Ansbach weiterhin aktiv eingebunden werden. Sylvia Bogenreuther vermittelt Ankommens-Patenschaften. Miteinander Kochen und Essen, Ausflüge machen, sich kennenlernen - Ansbacher und Flüchtlinge sollen im Alltag miteinander in Kontakt kommen, sich austauschen, verstehen- und kennenlernen.
Abgesprungen ist hier niemand - und deshalb glaubt Sylvia Bogenreuther fest daran, dass Ansbach "ein kleines Vorbild" seien kann: "Wo es drum geht: Ja, wir machen weiter und wir müssen nach vorne schauen. Wir müssen unsere Zukunft gestalten. Und ich glaube, da ist Ansbach auf einem guten Weg."

Wie hat der Bomben-Anschlag den kleinen Ort Ansbach verändert? Reporterin Inga Pflug hat sich umgehört - und war beeindruckt:

"Ich bin ein bisschen stolz auf Ansbach und die Ansbacher: In der Nacht haben alle funktioniert, jeder hat getan, was seine Aufgabe war. Und auch 'danach' funktionieren die Stadt und ihre Bewohner, ist die Gesellschaft intakt. Keine Panik, keine Panikmache. Das Leben geht weiter und Ansbach geht mit. Nicht der Anschlag sollte in den Köpfen bleiben, sondern diese Reaktion."

© BR