Terror gegen Terror

Regisseur Claus Peymann.
Regisseur Claus Peymann. © AP
Von Michael Laages · 29.09.2010
Da haben sich zwei gefunden – Claus Peymann, der sich für den letzten politischen Theatermacher im Land zu halten pflegt, und Mark Ravenhill, der ein antiamerikanisches Hasspamphlet geliefert hat, wie es auf deutschen Bühnen noch nicht zu sehen war.
Da staunte die Theaterwelt nicht schlecht – ausgerechnet Claus Peymann hat am Berliner Ensemble den jüngsten Bühnentext des Briten Mark Ravenhill inszeniert. Der schockte vor mehr als zehn Jahren das Publikum mit "Shoppen und Ficken", einer radikalen, rabiaten Abrechnung mit unserer nurmehr kommerziell orientierten Welt, die vor lauter Gier nach Drogen echtes Empfinden nur noch in der Gewalt möglich macht.

Ravenhills neuer Text aus dem Jahr 2008 hieß eigentlich "Shoot/Get Treasure/Repeat", aber "Freedom and Democracy. I hate you", eine Textzeile, fand Claus Peymann wohl zugänglicher für den ersten Versuch in deutscher Sprache. Der ist am Berliner Ensemble gründlich daneben gegangen – allerdings "werktreu": Denn das Stück ist allemal so schlimm wie Peymanns Inszenierung.

Da haben zwei Kämpfer einander gefunden – Claus Peymann, der sich ja ohnehin immer für den letzten wirklich politischen Theatermacher im Land zu halten pflegt, und Mark Ravenhill, der anstatt früherer fundamentaler Zustandsanalysen einer verrottenden Gesellschaft am Beispiel kleiner, böser Geschichten nun ein antiamerikanisches Hasspamphlet geliefert hat, wie es auf deutschen Bühnen wohl noch nicht zu sehen war.

Ein Chor der Frauen gibt gleich zu Beginn den Grundton vor für 11 (im Ravenhill-Original 16) Szenen, die – in sich eher unzusammenhängend und nur leicht miteinander verlinkt- vor allem und immer wieder das fundamentale Unverständnis der westlichen Zivilisation darüber durchdeklinieren, dass weltweit (und vor allem im Nahen Osten rund um Irak) nicht jeder glücklich ist über den "american way" von Freiheit und Demokratie, die die Weltmacht mit Waffengewalt verordnet.

Mehrfach sprechen Akteurinnen und Akteure das Publikum direkt an: als wäre wir die arabisch-islamistischen Fundamentalos, die die schöne bunte Welt nach US-Vorbild in die Luft jagen wollen. Das wirkt peinigend, auch peinlich – markiert aber die durchgängige politische Grundhaltung der Texte, die im Spiegelbild uns selber als Feind vorführen.

Dabei versucht Ravenhill die Psychopathologie einer Gesellschaft ganz in Angst vor dem Terror zu zeichnen; einer Gesellschaft, die in der aus Verständnislosigkeit immer verzweifelterer Verteidigung auch vor Folter und blindwütigem Mord an Unschuldigen nicht zurückschreckt.

Hier wird zurück gehasst – weil das westliche Weltbild, fast schlimmer als das der Gotteskrieger und Selbstmordattentäter auf der anderen Seite, nur Schwarz und Weiß, Pro und Kontra, Gut und Böse kennt vor lauter aufgesetzter Selbstgerechtigkeit. Terror steht gegen Terror, Politik hat keinen Platz in dieser Welt. Abu Ghuraib lässt grüßen. Und wie George W. Bush sagte: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und hat sich Folgen selbst zuzuschreiben; bei Ravenhill drei Stunden lang.

Aber abendfüllend ist das eben nicht. Nichts als diese antiamerikanische Agitation haben Ravenhills Szenen zu bieten – sie sind schlicht und schaurig zusammengezimmerte Laubsägearbeiten mit mehrheitlich blutigem Ausgang; Claus Peymann inszeniert sie obendrein auch noch zwanghaft realistisch, plan und platt bis zum Abwinken. Wie immer. Er kann halt nicht anders.

Aber selbst einfachste handwerklichste Tricks (wie etwa chronisches Durcheinandersprechen) weiß er nicht umzusetzen. Und so bietet der wurschtig zusammengerührte Cocktail aus Minidramen, weit entfernt vom Vorbild, Brechts Szenenfolge "Furcht und Elend des Dritten Reiches", selbst für einige Berliner Theatergrößen nur ein paar Sterilvorlagen für eitel und gemütlich verschmiertes Chargieren - Corinna Kirchoff, Swetlana Schönfeld und Christian Grashof bereichern das im Übrigen und wie immer eher mittelprächtige Ensemble für jeweils einig kleine szenische Miniaturen; zu retten aber ist auch damit nichts.

Ein Tiefpunkt der Peymann-Zeit; und zwar vielleicht gerade weil der Alte einen jüngeren Bruder im Geiste fand.