Terror

Gegen den Tunnelblick der Angst

Soldaten patrouillieren in der Brüsseler Innenstadt.
Brüssel nach den Terror-Anschlägen im März: Eine Stadt im Ausnahmezustand. © imago/Xinhua
Von Ofer Waldmann · 03.05.2016
Alarmbereitschaft, Sicherheitsmaßnahmen, Bedrohungslage: Der Terror hat eine eigene Sprache, die allgegenwärtig wird. Sein Vokabular bahnt sich seinen Weg und trägt Angst in unsere Alltagssprache hinein, meint Ofer Waldman. Deshalb sollten wir den Terror in der Sprache abwehren.
Einige Wochen nach den Anschlägen in Brüssel, als der erste Schock etwas abzuebben schien, folgte ich einem Radiointerview über ein neues Theaterstück in einem öffentlich-rechtlichen Kulturmagazin. Plötzlich unterbrach die Moderatorin ihren Gesprächspartner und berichtete mit ernster Stimme, es gebe neue Informationen zu dem gesuchten Mann mit Hut aus Brüssel. Kurz darauf entpuppten sich die Indizien als falsch: Das Interview über das Theaterstück wurde aber nicht weitergeführt.

Europa sucht den Mann mit Hut

Nach den Terroranschlägen in Brüssel hielt ganz Europa den Atem an, während Sicherheitskräfte nach den Komplizen der Terroristen fahndeten. Täglich berichteten die Medien von der Suche nach dem mysteriösen Mann mit dem Hut. Sein unscharfes Bild, von den Sicherheitskameras am Brüsseler Flughafen festgehalten, prangte auf jeder Titelseite, kursierte wie ein Gespenst von Spanien bis Polen, von Schweden bis Italien.
Ein Kontinent im Alarmzustand: An Flughäfen und großen Bahnhöfen patrouillierten schwerbewaffnete Polizisten. In jeder Talkshow saß ein Terrorexperte, der den verängstigten Europäern ein neues, düsteres Zukunftsszenario ausmalte.
Wie nach den Anschlägen in Paris, Madrid und London dominierten Begriffe wie "Sicherheitsvorkehrungen", "Schutzmaßnahmen", "Kampfbereitschaft" die öffentlichen Diskussionen. Vor allem das eine Wort wiederholte sich: Terror.

Verunsicherung führt zu Sicherheitsdenken

Der europäische Lebensstil, auf Frieden, offene Grenzen und Freiheit basierend, von der Flüchtlingskrise, von den Pauken des Krieges in der Ukraine schon allmählich verunsichert, ist grundlegend erschüttert worden. In Umfragen spricht man von Angst. Aus der Verunsicherung heraus suchen die Europäer, darunter auch die Deutschen, nach Sicherheit. Die Selbstverteidigungskurse sind überfüllt: Die deutschen Polizeibehörden verzeichnen seit Jahresbeginn einen rasanten Anstieg in der Beantragung von Waffenlizenzen.
Man versucht sich seitdem mit dem neuen Zustand, oder wie es heißt: mit der neuen Sicherheitslage zu arrangieren. Urlaubsziele werden immer mehr nach Sicherheitskriterien, denn aus wahrer "Destination" ausgesucht.
Alarmbereitschaft, Sicherheitsmaßnahmen, Bedrohungslage: Der Terror hat eine eigene Sprache, die allgegenwärtig wird. Sein Vokabular bahnt sich seinen Weg und trägt Angst in unsere Alltagssprache hinein.

Angst als gefährliches politisches Werkzeug

Das Wort Terror bedeutet ja nichts anderes als Angst. Und diese Angst birgt ebenfalls eine große Gefahr für jenen europäischen Lebensstil. Diese Angst sickert in die politischen Diskussionen, sie färbt jedes Thema in bedrohliche Farben. Aus dem Wunsch heraus, allen Gefahren vorzubeugen, wird die Welt durch den Begriffsfilter des Anti-Terror-Kampfes betrachtet: Es wird auf die Realität wie durch das Visier einer Waffe angeschaut. Muslimische Flüchtlinge werden plötzlich zur potentiellen Gefahr. Die offenen europäischen Grenzen, Symbol des europäischen Friedens, werden zur Bedrohung abgestuft.
Angst kann zum gefährlichen politischen Werkzeug werden. Der Kampf gegen Terror brachte den USA den berüchtigten Patriot Act, der die amerikanische Demokratie auszuhöhlen drohte. Dass Präsident Hollande, vor dem Hintergrund der wachsenden Sozialunruhen in Frankreich, die öffentliche Diskussion auf den Kampf gegen den Terror zu lenken versucht, steht ebenfalls in dieser beunruhigenden Tradition.
Die Gefahr durch Terroranschläge sollte ernst genommen werden. Dies ist die Aufgabe der Politik, der Justiz, und der staatlichen Sicherheitsorgane.
Gleichzeitig dürfen die Denkmuster des Antiterrorkampes nicht in alle Lebensbereiche sickern. Man muss nicht nur den Terror abwehren, sondern auch die allgegenwärtige Präsenz seiner Begriffswelt, seiner Sprache. Das zerbrechliche Gut europäischer Freiheitskultur muss ebenfalls mit allen Mitteln geschützt werden. Und dies geht nun einmal nicht mit Waffen, sondern, eben, mit einem Interview über ein Theaterstück.

Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Anschließend war er an der Israelischen Oper engagiert und absolvierte daneben ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Derzeit promoviert er an der Hebräischen Universität Jerusalem wie auch an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.

Der Publizist und Musiker Ofer Waldmann
© Kai von Kotze
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