Terror

Anschlag auf Züge in Madrid

Eine Frau zündet am Madrider Bahnhof Atocha eine Kerze an.
Eine Frau zündet am Madrider Bahnhof Atocha zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags von 2004 eine Kerze an. © dpa / picture alliance / J.j. Guillen
Von Julia Macher · 11.03.2014
Vor zehn Jahren explodieren zehn Bomben in Madrider Pendler-Zügen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen wird der Anschlag wider besseres Wissen der baskischen ETA zugeschrieben. Die proamerikanische Politik soll dadurch aus der öffentlichen Diskussion gehalten werden. Als Konsequenz gewinnt der sozialistische Kandidat José-Luis Zapatero die Wahlen, der den Krieg von George W. Bush im Irak nicht unterstützt.
Augenzeugen berichten von mehreren Explosionen. Reporter schildern, wie Rettungskräfte Verletzte aus zerborstenen Waggons bergen. Mitreisende erzählen von Momenten der Panik: Bruchstückhaft setzt sich in den frühen Morgenstunden das Bild des Schreckens zusammen.
Am 11. März 2004 explodierten zwischen 7 Uhr 36 und 7 Uhr 40 in vier voll besetzten Madrider Vorortzügen zehn Sprengsätze. Beim schwersten Attentat in der spanischen Geschichte, drei Tage vor den Parlamentswahlen, starben 191 Menschen, fast 1900 wurden verletzt. Sofort stand für die meisten Medien und Politiker fest: Verantwortlich könnte nur die baskische Untergrundorganisation ETA sein. Gegen Mittag trat Ministerpräsident José María Aznar vor die Kameras:
"Mit der Macht des Rechtsstaates und der Einheit aller Spanier wird es uns gelingen, diese Terroristenbande zu erledigen. (...) Wir werden unsere Politik nicht ändern, ganz egal ob sie weiter mordet oder nicht. Wir dürfen nichts anderes anstreben als die Vernichtung des Terrorismus. Seine bedingungslose Kapitulation. Mit diesen Mördern, die schon so oft in Spanien den Tod gesät haben, wird es keine Verhandlungen geben."
Die scharfen Worte überraschten nicht. Aznars konservative Volkspartei vertrat seit jeher einen harten Kurs gegen die ETA und die Unabhängigkeitsbestrebungen im Baskenland.
Die Indizien sprechen gegen baskische Separatisten
Doch bald mehrten sich Hinweise, dass der Terror einen anderen Hintergrund haben könnte. In einem Transporter fanden sich am Nachmittag Sprengstoffspuren und ein Tonband mit Koranversen. Bei einer Londoner Zeitung ging ein islamistisches Bekennerschreiben ein. In der Nacht stieß die Polizei auf eine bei den zerstörten Zügen gefundene Sporttasche: Weder der darin befindliche Sprengstoff noch die Sprengkapseln und die Zündung per Handy deuteten auf die baskische Terrororganisation. Dennoch betonte Innenminister Angel Acebes: "Ja, die ETA steht weiter im Zentrum der Ermittlungen. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, warum das anders sein sollte."
Die Regierung wies ihre Botschaften an, die Theorie der ETA-Täterschaft offensiv zu vertreten – und blieb auch dabei, als die ETA sich bereits vom Anschlag distanziert hatte.
Politisch motivierte Fehlinformation
Ein Täuschungsmanöver aus wahltaktischem Kalkül: Ein islamistisches Attentat konnte nur als Abstrafung von Aznars umstrittener Außenpolitik verstanden werden. Als eines der wenigen europäischen Länder war Spanien Teil der "Koalition der Willigen", mit der US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September den islamistischen Terrorismus und seinen vermeintlichen Rädelsführer Saddam Hussein bekämpfen wollte. 1300 Soldaten hatte Aznar 2003 in den Irak geschickt, gegen den Willen der Bevölkerung.
Die Informationspolitik der Regierung löste landesweit Proteste aus. "Vor den Wahlen wollen wir die Wahrheit" skandierten Tausende in Madrid und Barcelona. Nachdem ein Bekennervideo aufgetaucht und die Polizei erste Verdächtige festgenommen hatte - drei Marokkaner und zwei Inder - musste Innenminister Acebes einlenken:
"Dieses Video ist ein Bekennervideo über die Verantwortung für das Attentat vergangenen Donnerstag. Es ist auf arabisch verfasst, von einem Mann mit marokkanischem Akzent. Er behauptet, im Namen des militärischen Sprechers des Al Kaida Netzwerkes in Europa zu sprechen, Abu Dujan Al Afghani."
Das Attentat sei, so Al Afghani, die Strafe für die Zusammenarbeit mit Bush; weitere Vergeltungsschläge würden folgen. Ein Jahr später traf der Terror einen weiteren Verbündeten der USA: Am 7. Juli 2005 kamen in London bei Anschlägen im Nahverkehr 56 Menschen ums Leben.
In Spanien hatte der 11. März 2004 politische Konsequenzen: José-Luis Zapatero von der sozialdemokratischen PSOE wurde neuer Ministerpräsident und ordnete als eine seiner ersten Amtshandlungen den Truppenrückzug an.
Die Zuganschläge hielten Madrid weiter in Atem. Am 3. April sprengten sich sieben Mitglieder der für das Attentat verantwortlichen "Marokkanischen Islamischen Kampftruppen" während einer Razzia in die Luft. Drei weitere Hauptverantwortliche, zwei Marokkaner und ein Spanier, wurden 2007 zu über hundertzwanzigtausend Jahren Haft verurteilt.