Tepco-Führung will "Schlamassel" in Fukushima nicht wahrhaben

Michael Sailer im Gespräch mit Ute Welty · 03.09.2013
Viele Probleme beim havarierten Atomkraftwerk Fukushima seien wegen der fehlenden Kontrolle des Betreibers unentdeckt geblieben, kritisiert Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt: "Teilweise, weil Tepco Sachen verschweigt, teilweise auch, weil Tepco nicht hinguckt."
Ute Welty: Man will es eigentlich gar nicht so genau wissen – womöglich ist die tödliche Strahlendosis in Fukushima bislang nur deshalb nicht entdeckt worden, weil die Messgeräte diese Dosis gar nicht anzeigen konnten. So wie bei einem Tacho, der nur bis 130 geht, und in Wirklichkeit rast man aber mit 250 Sachen auf die Betonmauer zu. Ein weiteres Problem: Zur Kühlung der geschmolzenen Reaktoren setzt die Betreiberfirma Tepco Wasser ein, das danach radioaktiv verseucht ist. Und nicht nur, weil der Platz in den Lagertanks knapp wird, Tanks und Leitungen schlagen an immer mehr Stellen leck.

Ob das für den Experten genauso bedrohlich klingt, wie für den Laien, das erfahren wir jetzt von Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt, der auch in der Kommission für Reaktorsicherheit sitzt, die die Bundesregierung berät. Guten Morgen, Herr Sailer.

Michael Sailer: Guten Morgen, Frau Welty.

Welty: Radioaktives Wasser, unzureichende Messgeräte, tödliche Strahlung – welches Problem halten Sie für das größte?

Sailer: Also, das große Problem ist, dass die Radioaktivität, also die geschmolzenen Reaktorkerne nach wie vor nicht sicher eingeschlossen sind. Daher müssen sie gekühlt werden mit Wasser, das nicht vernünftig im Kreislauf geführt werden kann, deswegen gibt es die großen Tanks, wo überall dieses radioaktive Abfallwasser ist. Und was jetzt passiert, ist eben, dass die Tanks anfangen, kleine Leckagen zu haben, und das scheint mit eine der Ursachen zu sein für die hohe gemessene Strahlung.

Welty: Und warum geht man das Problem mit dem Abschluss der Reaktoren nicht an?

Sailer: Das Problem ist, dass die Reaktorkerne sich irgendwo, Teile, früher geschmolzen, jetzt wahrscheinlich wieder fest, unterhalb der ursprünglichen Lage befinden, aber dort kommt man wegen der hohen Strahlung nicht vernünftig hin. Man müsste ja eine direkte Einhausung für das Kühlwasser bauen, um das im geschlossenen Kreislauf führen zu können. Und das klappt offensichtlich nicht.

Welty: Das heißt, die Situation ist einigermaßen aussichtslos?

Sailer: Was heißt aussichtslos? Man wird weiter kämpfen müssen, aber das, was die Kollegen dort vor Ort die letzten zwei Jahre, zweieinhalb Jahre inzwischen fast, gemacht haben, hat nicht viel genützt.

Welty: Könnte es sein, dass wir von vielen Problemen gar nicht erfahren haben? Die Betreiberfirma Tepco ist ja nicht bekannt für allzu große Offenheit.

Sailer: Also, wir haben sicher über viele Probleme, die in Zukunft noch mal zu Folgen führen, nichts gehört. Teilweise, weil Tepco Sachen verschweigt, teilweise auch, weil Tepco nicht hinguckt. Also die Wegsamkeiten, sprich, über die Ritze, die dazu führen, dass Wasser in den Untergrund geht und das vom Untergrundwasser dann in Richtung Ozean marschiert, das sind Dinge, die lange nicht unter Beobachtung waren und wo ich mit ganz vielen Überraschungen noch rechne.

Welty: Was diese Grundwasserproblematik angeht, da kursiert ja jetzt die Idee, da eine Permafrostschicht einzuziehen und das sozusagen dann abzudichten. Ist das überhaupt realisierbar?

Sailer: Also, so eine Permafrostzone macht man ja bei bestimmten Baumaßnahmen. Aber die hilft natürlich nur, wenn sie dauernd aufrecht erhalten wird – fragen Sie mal, ob das 20 Jahre wirklich geht. Sie hilft auch nur, wenn sich das kontaminierte Wasser keinen Umweg um die Zone sucht. Und das sind ja teilweise sehr felsige Untergründe dort, wenn die Felsen nicht so stehen, dass es ohnehin keine geschlossene gefrorene Front gibt. Also viele Fragezeichen. Die Frage ist, was es an anderen Möglichkeiten gibt. Man kann natürlich Auffanggräben machen, die haben aber die gleichen Fragezeichen wie die gefrorene Permafrostzone.

Welty: Die Frage ist auch, ob Tepco zu blöd, zu eitel oder einfach überfordert ist, weil jeder mit dieser Aufgabe überfordert wäre.

Sailer: Also grundsätzlich wäre jeder überfordert, aber man hätte schon viele Fehler bisher vermeiden können, weil ich glaube, die Tepco-Führung will immer noch nicht wahrhaben, auf was für einem Schlamassel sie sitzt im Wortsinn. Und deswegen werden dann viele Dinge nicht angeguckt. Die Messungen hätte man ja auch schon vor vier Wochen machen können, mit denen man jetzt die hohe Strahlung entdeckt hat. Man glaubt nicht, dass es hohe Strahlung gibt, also hat man andere Messgeräte im Einsatz. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Welty: Wer oder was kann Tepco helfen? Ist es die japanische Regierung, die jetzt aufgefordert wurde, einzuschreiten, und die auch versprochen hat, einzuschreiten?

Sailer: Also man braucht auf jeden Fall jemand, eine Organisation, die extrem scharf hinguckt. Das wird aber nur teilweise helfen, indem Tepco sorgfältiger arbeitet, sorgfältiger misst, sorgfältiger Gegenmaßnahmen plant. Aber es hilft nicht gegen alles, was da jetzt noch kommt.

Welty: Und welche Organisation könnte das sein?

Sailer: Es muss zunächst mal die neue nationale Aufsichtsbehörde in Japan sein, die für die Atomaufsicht zuständig ist. Es ist allerdings auch eine Frage des kulturellen Wandels, weil in Japan ist ja Kontrolle immer gleich Misstrauen, und man misstraut Kollegen nicht. Insofern ist es schwierig, da wirklich eine Kontrollkultur einzuführen, die dann auch greift.

Welty: Rührt daher auch die Schwierigkeit, internationale Experten ins Land zu lassen und an den Ort der Katastrophe? Da herrschen in Japan ja schon fast iranische Verhältnisse, was die Verweigerung von Kooperation angeht.

Sailer: Das ist sicher auch der Kultur geschuldet. Das ist auch dem geschuldet, dass Japan ja nach wie vor, in der Regel auch zu Recht davon ausgeht, dass sie eine Industrienation mit hohem Niveau sind. Ich wüsste jetzt auch nicht, ob Frankreich oder Deutschland in einem solchen Fall beliebig viele internationale Experten reinlässt. Auf der anderen Seite ist es so: Experten mit einem anderen Hintergrund, die nicht so den Verhältnissen verpflichtet sind, die können schon helfen, bestimmte Schwachstellen zu identifizieren und neue Methoden zu suchen, mit denen man möglichst viel Radioaktivität zurückhalten kann.

Welty: Zur Lage in Fukushima Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt. Als Mitglied der Kommission für Reaktorsicherheit berät er auch die Bundesregierung. Und wie kommen Sie eigentlich in dieser Konstellation weiter in der Frage der Endlagersuche?

Sailer: Ja gut, wir haben ja jetzt im letzten Vierteljahr immerhin den Erfolg gehabt, dass es jetzt ein Endlagersuchgesetz gibt. Jetzt geht es darum, das wirklich mit Leben zu erfüllen, und dann möglichst zügig in ein echtes Suchverfahren zu kommen. Anders wird es in der demokratischen Gesellschaft nicht gehen.

Welty: Dazu dann an anderer Stelle mehr. Bis dahin herzlichen Dank.

Sailer: Bitte schön.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Atom-Experte Michael Sailer
Michael Sailer© Öko-Institut e.V. / picture alliance / dpa
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