Telebossa und ihr Klavierroboter

Der Automat, der 88 Pianisten ersetzt

Telebossas Klavierroboter "Automat"
Der Klavierroboter "Automat" © Promo
Von Hartwig Vens · 12.07.2016
Chico Mello und Nicholas Bussmann sind Telebossa. Sie beschäftigen sich mit dem Klavierroboter, den Winfried Ritsch gebaut hat, und der schlicht "Automat" heißt. Er hat 88 "Finger" - für jede Taste einen.
Kreuzberg ist recht bürgerlich in der Fontanepromenade. Die Maschine stehe im Arbeitszimmer seines Vaters, heißt es. Durch das Wohnzimmer, rechts ab - Nicholas Bussmann beugt sich über einen Flügel mit einem seltsamen Metall-Aufsatz über den Tasten und viel Elektronik darin und drumrum.
"Das ist ein Flügel mit einem angebauten Roboter, den man außen auf die Tastatur setzen kann. Im Gegensatz zu einem zehnfingrigen normalen Pianisten kann der gleichzeitig mit 88 Fingern spielen."
Sein Name lautet schlicht und einfach "Der Automat".
"Der ist von Winfried Ritsch entworfen, einem österreichischen fantastischen Musikingenieur, der alle möglichen Softwarekonzepte und Hardware für Musiker entwickelt und unter anderem diesen Roboter entwickelt hat."
...der keineswegs aussieht wie ein Roboter mit Blechkörper. Die Apparatur ist so breit wie die Tastatur und über jeder Taste befindet sich ein Hämmerchen, unten natürlich mit Filz beklebt, das per Elektronik betätigt werden kann. Alle 88 Tasten können gleichzeitig oder mit übermenschlicher Geschwindigkeit angeschlagen werden.
"Also hier, siehste, zum Beispiel hier: das ist jetzt einfach ein Drum-Pattern, da werden diese drei Tasten hier unten gedrückt, und jetzt hier ganz rechts oben eine. Und die sind abgedämpft im Kavier mit Präparationen. Sonst würde es so klingen. Und dann kommen hier zwei Magneten rein…"

"Es geht nicht um Perfektion"

Aber warum den Menschen ersetzen? Weil die Maschine perfekter spielt als ein Pianist? Nicolas Bussmann braust auf:
"Das ist technisch ganz unvollkommen! Also wenn man das hört, das ist überhaupt nicht gleichmäßig, das ist ganz und gar klapprig, das ist überhaupt nicht so, dass der perfekter ist als der Mensch, das ist ganz und gar nicht der Fall! Es geht auch ständig was kaputt an dem Roboter. Dann hängt ne Taste hier, dann klemmt da was. Es geht nicht um die Perfektion, es ist auch nicht das Spezielle an dieser Maschine, dass sie ungenau ist. Die meisten anderen sind auch ungenau."
Chico Mello ist ein wenig zärtlicher, wenn er seine Beziehung zum Automaten beschreibt:
"Ich singe nur und Nicholas spielt diese Maschine. Und es ist ungeheuer schön, weil ich weiß nie so genau, was er da macht, und ich kann auch manche Passage länger ziehen oder kurz lassen, und das heißt, die Form ist sehr flexibel. Und das finde ich sehr schön, dass man mit einer Maschine flexible Formen entstehen lassen kann."

Für die Rhythmen und Melodien auf Garagem Aurora schöpfen Telebossa aus der reichen brasilianischen Pop-Tradition, gerne auch der ganz frühen. Wie zum Beispiel den Altmeistern Noel Rosa und Cartola - Songs aus den 30er Jahren, lange vor Bossa Nova. Die Texte, gesungen von Chico Mellos wunderschöner – mal entrückter, mal zupackender - Stimme sind größtenteils dem Großmeister der portugiesischen Poesie, Fernando Pessoa, entlehnt, der sich wie viele Intellektuelle Anfang des 20. Jahrhunderts an den Möglichkeiten der Maschinen berauschte.
Chico Mello und Nicholas Bussmann
Chico Mello und Nicholas Bussmann sind Telebossa.© Foto: Nicholas Bussmann
"Er hatte ne ganz große Begeisterung für alles, was sich bewegt – Dampfer, Autos vor allem. Dieses 'Chevrolet' ist auch ein Text, in dem es um diesen Deal geht, den man mit der Maschine eingeht. Indem man sie benutzt, liefert man sich der Maschine eben auch aus. Also im Fall des Autos: man muss sich ins Auto reinsetzen, man wird praktisch einverleibt vom Auto, um das Auto benutzen zu können."

"Eines der großen Missverständnisse unserer Kultur"

Der Deal mit der Maschine – Chance und Krisenherd bis heute – vom industriellen bis ins digitale Zeitalter. Die interaktive Erfahrung mit dem Klavier-Roboter hat bei Bussmann und Mello dazu geführt, zum Beispiel über den Durchbruch zur Künstlichen Intelligenz neu nachzudenken. Daran zu glauben hält Bussmann nämlich für eine Täuschung, auf Grund unserer immer maschinelleren Umwelt:
"Das ist eine ganz grundsätzliche Geschichte, und das ist auch eins der großen Missverständnisse unserer Kultur, die denkt, dass Maschinen anfangen zu denken. Ich glaube es ist viel mehr so, dass wir so denken wie Maschinen. Man muss sich diesen Maschinen extrem anpassen, und bei einem mitspieler wie so einem Roboter am Klavier ist es dann ziemlich eindeutig wie man sich dem immer wieder total anpassen muss…"
… und das ist die Konstante mit unseren maschinellen Begleitern. Wo es wie bei den heutigen Algorithmen-Maschinen digital und total wird, bekommt der Deal mit der Maschine eine, sagen wir, leichte Schieflage. – Nicht so beim Automat:
"Das ist ein sehr netter Automat, der, wenn er uns nervt, immer abgestellt werden kann. Es ist ein ganz guter Freund, ein ganz netter Automat."

Das Album "Garagem Aurora" von Telebossa ist auf dem Label Staubgold erschienen.

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