Teilhabe

Restkarten zum Nulltarif

Von Astrid Mayerle  · 12.12.2013
Das Kulturangebot in deutschen Großstädten ist riesig und vielfältig - allerdings kann sich das nur ein Teil der Bürger leisten. Für das Netzwerk "Kulturloge" knüpfen Ehrenamtliche Kontakt mit Veranstaltern, um Theater- oder Konzertbesuche auch Bedürftigen zu ermöglichen.
Bereits beim ersten Song rutscht der fünfjährige Lukas auf seinem Sitz ganz nach vorn. Neugierig reckt er das Kinn vor. Die Beine baumeln im Rhythmus der Musik. Sein Bruder Daniel sitzt mit großen Augen neben ihm, die Eltern lehnen sich entspannt zurück. Vor einer Woche hat die Familie vier Karten für das "Mitspinntheater" bekommen - es geht um Wildschweine und Termiten, um Musik und Tanz. Gekostet hat der Ausflug ins Mitmach-Theater gar nichts - und die Kinder amüsieren sich.
"Wo kann denn die Geschichte spielen? Habt Ihr ne Idee?"
"Im Dschungel!"
Carolina Motta klatscht zusammen mit Lukas. Kostenlose Karten bekommt sie von dem Verein Kulturloge, ein Netzwerk, das Bedürftigen einen Besuch im Theater, Konzert oder Musical ermöglicht. Jeder Kulturgast muss bei der Anmeldung einen Anspruch auf staatliche Sozialleistungen nachweisen. Lukas Familie bezieht Wohngeld. Der Vater arbeitet als Monteur für Sonnenschutzanlagen, die Mutter nimmt im Moment an einer Fortbildung als Bürokauffrau teil und ist Hausfrau. Sechs Euro pro Karte hätte der Theaternachmittag normalerweise gekostet - zu viel für die Familie, meint Carolina Motta.
"In München ist es auch ne teure Geschichte, wenn man mit der Familie geht und wenn man öfter gehen wollte."
Dass der Verein Kulturloge sogar ein eigenes Kinderprogramm auf die Beine stellt, findet sie großartig und hat sich deshalb sofort im Internet angemeldet:
"... und zwar würde das beginnen um 20 Uhr hier im Schlachthof in der Zenettistraße, haben sie da Zeit?"
Ehrenamt keine langfristige Lösung
Der Verein sitzt im Schlachthofviertel. Ein schmaler Gang, rechts und links drei Büroräume, von denen aus die Mitarbeiterinnen die Kulturgäste anrufen. Auf den großen Schreibtischen liegen jede Menge Flyer.
"Gut, dann wünsche ich Ihnen noch viel Spaß bei der Veranstaltung."
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter können nicht nur übrig gebliebene Restkarten anbieten, sondern bekommen von den beteiligten Kulturveranstaltern ein bestimmtes Kontingent zum Nulltarif. So können sie ihren Kulturkunden nicht nur kurzfristige Angebote machen.
"Was für uns ganz toll ist, weil wir auch mit sozialen Einrichtungen zusammenarbeiten: Wohngruppen, Frauenhilfezentren, Kindereinrichtungen, die müssen drei bis vier Wochen vorher planen können für so ne Kulturbesuche ..."
… erzählt Sabine Ruchlinski, Mitinitiatorin des Vereins. Einerseits wollen die Kulturveranstalter sicher gehen, dass ihr Haus voll wird, damit die Stimmung lebendig ist, andererseits möchten sie das Projekt fördern, denn die Kulturloge lebt vor allem von Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
"Wir haben um die 36 Mitarbeiter und davon sind zwei 400-Euro-Kräfte, eine Honorarkraft und eine halbe Stelle, die wir jetzt für das Kulturkinderprojekt bekommen haben über eine Förderung von Aktion Mensch. Aber die 30 Ehrenamtlichen müssen auch gemanagt werden, das ist auch aufwendig, deswegen kann unser Projekt auch langfristig nicht rein ehrenamtlich bestehen."
Jede Form von Missbrauch unterbinden
2010 wurde in Marburg die erste Kulturloge als gemeinnütziger Verein gegründet. Mittlerweile gibt es das Projekt in den meisten deutschen Großstädten wie Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, aber auch in manchen kleineren Städten.
"Die Grundlage des ganzen Projekts ist eine Datenbank, die für die Kulturloge Berlin entwickelt worden ist und die die Basis der ganzen Arbeit ist. In dieser Datenbank sind alle Gäste, alle Mitarbeiter und alle Veranstaltungen. Und wenn ein Kollege sagt, er vermittelt jetzt, dann ruft er die Veranstaltungen auf, dann sieht er etwa eine Theaterveranstaltung, klickt auf 'vermitteln' und sieht als erstes den Gast, der als Letztes keine Karten mehr bekommen hat."
Das System zeigt dem Mitarbeiter also sofort, wer als nächstes auf der Warteliste steht. Ein sehr demokratisches Prinzip. Karten horten - unmöglich. Wenn sich ein Gast anmeldet, kann er dabei seine Interessen und Vorlieben angeben - so wie Carolina Motta, die besonders das Kinderprogramm schätzt. Wichtig ist aber auch, dass die Kulturloge jede Form von Missbrauch unterbindet.
"Wir müssen ja auch gegenüber den Kulturveranstaltern sicher gehen, dass die Menschen tatsächlich über ein geringes Einkommen verfügen. Allerdings funktioniert der Nachweis nicht direkt über uns, nur in manchen Fällen. Aber die Ursprungsidee und das ist auch, worüber 90 Prozent der Gäste zu uns kommen, ist über unsere Sozialpartner. Da arbeiten wir inzwischen sicher mit 200 Einrichtungen zusammen, vom Caritas Altenzentrum bis zum Waisenhaus oder den Sozialbürgerhäusern. Und diese Sozialpartner bestätigen auf unseren Anmeldebogen, dass die Gäste berechtigt sind."
Carolina Motta war von Anfang an die treibende Kraft, was das Kulturprogramm in der Familie betrifft. Sie hat sich um die Anmeldung bei der Kulturloge gekümmert, sie sorgt dafür, dass ihre Kinder etwas abbekommen vom großen Kulturangebot der Stadt München.
"Diese Fantasie und dieses Miteinanderspielen oder auf andere Art sich zu unterhalten und zu interagieren, ich glaube, das ist für Kinder besonders wichtig, weil die auch mit diesem Leistungsdruck aufwachsen und der Ausgleich ist noch wichtiger woanders, wo sie nicht so viel Druck haben."
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