Technikforscher hält Kritik an ACTA für "massiv übertrieben"

Moderation: Susanne Führer · 10.02.2012
Nach Polen, Tschechien und Lettland will auch Deutschland das Urheberrechts-Abkommen ACTA nicht unterzeichnen. Sandro Gaycken von der FU Berlin dagegen meint: Mit ACTA würde illegales Downloaden von Musik und Filmen bekämpft und sei kein Einfallstor für Internetzensur.
Susanne Führer: Deutschland wird das internationale Handelsabkommen ACTA zunächst nicht unterzeichnen. Das hat das Auswärtige Amt heute bekannt gegeben, allerdings handle es sich damit nicht um eine Entscheidung in der Sache. Um ACTA gab es ja schon einigen Wirbel: Polen, Tschechien und Lettland haben die Ratifizierung bereits ausgesetzt, dabei handelt es sich ja um ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und zehn anderen Staaten, wie zum Beispiel den USA und Japan.

Warum ist ACTA so umstritten? Das wird uns Sandro Gaycken erklären, er ist Technikforscher an der Freien Universität Berlin. Guten Tag, Herr Gaycken!

Sandro Gaycken: Guten Tag!

Führer: ACTA ist ja eine Abkürzung, zu Deutsch hieße dieser Vertrag Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Das klingt nicht schön, aber vernünftig. Wo liegt das Problem? Was steht in ACTA drin?

Gaycken: Das Problem ist eigentlich, dass man sich im Moment noch nicht so genau geäußert hat, früher aber genau seine Absichten schon mal zu erkennen gegeben hat. ACTA ist natürlich relativ breit aufgespannt, man will also jede Art von Markenrechtsverletzungen damit umfassen und das Gesetz international harmonisieren, es ist aber vor allem abgestimmt, um Internetpiraterie zu bekämpfen, also das illegale Downloaden von Musik und Filmen.

Das war schon früher ein Kernpunkt bei ACTA, und früher wusste man halt, dass ACTA schon sehr darauf gedrängt hat, das Internet sehr viel intensiver zu überwachen. Man hatte so Vorschläge, dass Leute, die dreimal erwischt werden beim Klauen von Musik oder Filmen, aus dem Internet rausgeschmissen werden, also verbannt werden richtig, und solche Dinge – das waren so die frühen Sachen –, das ist jetzt heute alles nicht mehr …

Führer: Das war ja mal auch in Frankreich geplant. Aber was steht denn jetzt in ACTA drin, Herr Gaycken?

Gaycken: Das ist also heute alles nicht mehr drin, heute steht nur noch drin, dass man sich darauf einigt, dass Markenrechtsverletzungen schlecht sind, und dass man das irgendwie durchsetzen will, dass man was dagegen tut. Das ist aber halt eben alles sehr diffus. Da steht halt eben nur drin, quasi als Letter of Intents, man will dagegen etwas tun, und da befürchten dann halt eben viele aufgrund dieser Vorgeschichte auch, dass man da doch relativ rigorose Einschnitte vorhat.

Führer: Trotzdem ist ja doch die Frage, was sozusagen jetzt tatsächlich geplant ist. Also ich habe mal geguckt: Die EU-Kommission zum Beispiel sagt, durch Markenpiraterie – also wir kennen alle diese gefälschten Gucci-Taschen oder Nike-Schuhe – würden in Europa Schäden im Jahr von acht Milliarden Euro entstehen, das ist doch kein Pappenstiel, da hängen auch Arbeitsplätze dran und so weiter. Ist es nicht vernünftig, dagegen vorzugehen?

Gaycken: Es ist absolut vernünftig, dagegen vorzugehen, und man muss auch der Internetcommunity dringend vorhalten, dass sie nicht diese Copyrightverletzungen dauernd in Schutz nehmen sollte. Das machen die ja richtig en masse, das ist natürlich nicht legitim, und da muss man auch dagegen vorgehen. Das Problem ist nur, wie soll man das machen? Es gibt nicht viele Wege, das zu tun. Entweder man sperrt diese Seiten – das ist eine Variante, die wahrscheinlich noch am verträglichsten wäre –, oder man überwacht halt das Internet sehr rigoros …

Führer: Moment, Gucci-Taschen werden ja jetzt nicht im Internet hergestellt.

Gaycken: Nein, es geht jetzt ja speziell um diese Internetgeschichten, bei den Anderen ist es natürlich unproblematischer. Bei den anderen Markenrechtsverletzungen geht es mehr um eine Harmonisierung der internationalen Gesetzgebung.

Führer: Der Deutsche Kulturrat hat sich jetzt heute auch schon geäußert, die sagen, sie finden das vernünftig, es soll eine öffentliche Diskussion geben, im Deutschen Bundestag, im EU-Parlament, in allen europäischen Parlamenten, sagen aber auch: Wer künstlerische Inhalte im Netz haben will, muss auch dafür bezahlen. Wer sein Geschäft mit dem Datentransport im Internet macht, muss endlich auch bereit sein, Verantwortung für die Einhaltung des Urheberrechts im Netz zu übernehmen.

Gaycken: Ja, das ist zum Beispiel schon, dass da von der Formulierung, die ein bisschen in die Richtung geht, dass die Internet-Service-Provider auch sehen können müssen, dass keine illegalen Dienste über sie abgewickelt werden. Das ist eine Forderung, die jetzt zum Beispiel von den Aktivisten sehr kritisch aufgenommen wurde, weil man das im Grunde genommen nur dann gewährleisten kann, wenn man auch speichert, was da alles passiert, und das aufnimmt. Und das ist natürlich eine Diskussion, die wir schon hatten, das wäre dann die Vorratsdatenspeicherung, und so was wollten wir ja eigentlich nicht haben.

Führer: Aber Heer Gaycken noch mal zurück, so richtig habe ich es noch nicht verstanden: Was ist denn nun genau in welchem Paragrafen – also in welchem Paragrafen muss ich jetzt gar nicht wissen –, aber was steht denn nun wirklich genau in ACTA drin, dass die Internetgemeinde jetzt so aufgescheucht ist?

Gaycken: Na, es steht eigentlich nicht viel drin. Sie ist eigentlich nur deswegen aufgescheucht, weil drin steht, dass man das jetzt rigoroser angehen will und dass die Mitgliedsstaaten verpflichtet sein sollen, das umzusetzen. Mehr steht da jetzt eigentlich nicht drin, also keine konkreten Maßnahmen, und genau darüber regt sich dann die Internetgemeinde auf, weil sie halt jetzt natürlich das schlimmste befürchten und damit rechnen, dass es halt eben dann als Einfallstor für Internetzensur und Überwachung dienen kann.

Führer: Das Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie, also kurz ACTA, ist unser Thema im Gespräch mit Sandro Gaycken von der FU Berlin. Die Betreiber der Plattform "stopp-acta" zum Beispiel sagen ja auch – malen also wirklich ein Horrorszenario an die Wand: Wenn ACTA in Kraft träte, dann gäbe es massive Eingriffe in die Privatsphäre, Reisende müssten anlasslos ihre Laptops und MP3-Player durchsuchen lassen, die Musikkonzerne könnten mit Internetprovidern vereinbaren, dass den Nutzern der Zugang zu Tauschbörsen verwehrt wird und so weiter. Sehen Sie das auch so?

Gaycken: Nein, das ist alles Unsinn. Man muss auch leider sagen, dass die Aktivisten da sehr, sehr unsauber argumentieren. So eine ganze Reihe von Argumenten, wie zum Beispiel, dass Netzsperren Zensur wären, und so was, die lassen sich natürlich nicht halten. Einmal ist es ganz maßlos übertrieben, da werden garantiert keine Durchsuchungen von irgendwelchen Laptops stattfinden, und dann sind auch natürlich Sperren von Internetseiten, die illegale Dienste anbieten, keine Sperren von Wissen und Meinen, also keine Zensur, sondern Sperren von illegalen Produkten.

Das sind so Sachen, wo die Diskussion ganz massiv übertrieben wurde. In anderen Bereichen, wo es dann aber halt eben um die anlasslose Überwachung von Internetdiensten geht und Internettraffic geht, das ist dann natürlich schon ein bisschen schwieriger.

Führer: Und ist das geregelt in ACTA?

Gaycken: Nein, leider eben nicht. Man hat sich ja mit allen konkreten Regelungen zurückgehalten, um jetzt erst mal so eine maximal konsensfähige Version zu formulieren, wo man also möglichst nur die Absicht formuliert, dass also alle sagen, ja, da stimmen wir überein. Und das ist dann halt eben gerade der Punkt, wo sich alle aufregen, weil dann natürlich die Umsetzung schwierig werden wird.

Führer: Die Europäische Kommission wiederum argumentiert aber, dass das Abkommen überhaupt nicht dazu führen würde, dass sich die nationalen Gesetze in den EU-Staaten ändern würden. Dann verstehe ich die Aufregung nicht.

Gaycken: Na, das weiß man halt eben nicht genau, wie es dann umgesetzt wird. Wir hatten es auch schon mehrfach erlebt, dass dann versucht wurde, über die EU diese nationalen Gesetzgebungen doch irgendwie aufzuweichen, und gerade solche Sachen wie Netzsperren sind ja jetzt auch noch nicht endgültig ad acta gelegt, sondern durchaus noch in der Schwebe. Und wenn da jetzt also zusätzliche Vektoren angebracht werden, um zu sagen, wir brauchen diese Netzsperren, dann würde es natürlich auch diese Diskussion in dieser Richtung noch mal befeuern.

Führer: Eine häufig geäußerte Kritik lautet ja auch, dass die Industrie an diesem ACTA-Abkommen maßgeblich mitgewirkt hat. Können Sie das ein bisschen erläutern? Welche Industrie ist gemeint und welche Interessen werden da verfolgt?

Gaycken: Das sind vor allem die großen Hersteller von Musik und Film – Disney und Sony zum Beispiel sind zwei ganz starke Vertreter in diesem Bereich, die sich aber versuchen sehr stark im Hintergrund zu halten, weil sie nicht uncool sein wollen in der Öffentlichkeit. Man versteckt sich da so ein bisschen hinter speziell kreierten Lobbyorganisationen, aber die haben diese Diskussion in den USA ganz maßgeblich angeschoben, haben auch sehr aggressiv dafür gesorgt, dass da in den USA schon sehr rigorose Gesetze zur Einhaltung von Copyrights im Internet losgetreten wurden …

Führer: … geplant waren, muss man ja korrekterweise sagen.

Gaycken: … ja, das ist ja jetzt erst mal wieder vom Tisch, …

Führer: Genau.

Gaycken: … allerdings aus anderen Gründen, als die meisten denken –, und die …

Führer: Nämlich?

Gaycken: Na, der Grund, was ich gehört hatte aus Sicherheitskreisen, war, dass die Nachrichtendienste gesagt hatten, wenn jetzt die USA rigoros diesen Internetfluss kontrollieren, dann würde ja der ganze Internetfluss aus dem Ausland nicht mehr über die USA geleitet werden und dann könnten die Nachrichtendienste den nicht mehr mitschneiden. Also das war sozusagen ein mondäner nachrichtendienstlicher Grund, der da auch eine Rolle gespielt hat.

Führer: Okay, kommen wir zurück zu ACTA und der Industrie, also Sony et cetera?

Gaycken: Sony und Disney und solche Großkonzerne haben das ganz massiv betrieben, und die haben es halt zuerst in den USA sehr massiv betrieben, weil es da natürlich einfacher ist, über die Lobbyisten dann in die Politik zu kommen, und versuchen jetzt halt über die US-Politik nach Europa und nach Asien zu dringen.

Führer: Jetzt haben ja drei EU-Staaten sich schon geweigert, ACTA zu ratifizieren, und Deutschland macht zumindest heute einen ersten Rückzieher. Das Auswärtige Amt sagt: Ja, also zunächst unterschreiben wir nicht. Das Justizministerium hat noch Diskussionsbedarf. Was schließen Sie daraus?

Gaycken: Das wird sich präzise an diese schwammigen Formulierungen halten, dass man halt eben nur reingeschrieben hat, man will das machen, und jeder muss das umsetzen. Wenn natürlich da nicht detailliert beschrieben ist, was man denn genau tun soll und wie genau man das umsetzen kann, wenn also viele der Maßnahmen, die in der Vergangenheit vorgeschlagen sind, sehr problematisch sind, dann ist es natürlich ganz richtig, dass das Justizministerium sagt, wir wollen das gerne konkretisiert haben, weil man nur dann kompetent sagen kann, ob man da auch zustimmen will oder nicht.

Führer: Das heißt, wenn ACTA jetzt umformuliert werden würde mit klaren Regeln, für wen was gilt, dann wären Sie gar nicht unbedingt dagegen?

Gaycken: Dann wäre ich nicht dagegen, nein, dann könnte man ja gucken, ob sie, die deutschen Grundrechte da befangen, problematisiert werden, ob es da irgendwelche Probleme gäbe. Und wenn das nicht der Fall ist, ich hätte überhaupt nichts dagegen. Man muss auch das Copyright sicherlich irgendwie schützen, aber es muss halt natürlich auf eine grundrechtsverträgliche Art und Weise sein.

Führer: Das heißt, Sie sehen jetzt auch die Chance, dass ACTA noch mal neu verhandelt und neu formuliert wird?

Gaycken: Auf jeden Fall, ja, das wird definitiv passieren.

Führer: Vielen Dank, das war Sandro Gaycken, er ist Technik- und Sicherheitsforscher am Institut für Informatik der FU Berlin. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Gaycken!

Gaycken: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema