Technikfeindliches Postulat

11.09.2012
Manfred Spitzer langweilt mit der immer gleichen These: Computer und soziale Netzwerke machen krank. Er gibt sich gewohnt technikfeindlich, bietet keine konstruktiven Vorschläge, wie soziale Benachteiligung bei der Computernutzung abgeschafft werden kann.
Er ist einer der üblichen Verdächtigen, wenn es um Medienkritik geht. Der viel schreibende Psychiater Manfred Spitzer hat schon 2005 in seinem Buch "Vorsicht Bildschirm" vor der krank machenden Wirkung des Fernsehens gewarnt. Das sorgte für Aufsehen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Spitzer nachlegte. "Digitale Demenz" ist gewissermaßen eine Fortsetzung seines Feldzuges. Seine populistische Grundthese fasst der Titel bereits zusammen: Die Nutzung von Computern schädigt das kindliche Gehirn nachhaltig, so dass die Generation der "digital natives" mit hoher Wahrscheinlichkeit im Alter zur "Generation Demenz" mutieren wird. Das ist nicht metaphorisch gedacht. Gemeint ist hier tatsächlich die besagte Krankheit. Spitzer behauptet, dass - weil am Computer Inhalte nur oberflächlich konsumiert werden - das Gehirn eine geringere Komplexität ausbildet als beim traditionellen Lernen, die "Verarbeitungstiefe" sinkt. Und das macht Gehirne anfälliger für Demenz.

In dreizehn Kapiteln arbeitet sich Manfred Spitzer durch seine These. Laptops in der Kita, Tablets in der Schule, Computerspiele im Kinderzimmer, soziale Netzwerke, Multitasking, googeln - all das klopft er auf sein Gefahrenpotential hin ab. Sein Rüstzeug sind Ausführungen über die Funktionsweise des Gehirns, eine Unzahl wissenschaftlicher Studien, jede Menge Grafiken und - das darf nicht fehlen - ein Fazit. Das fällt freilich immer gleich aus, denn Spitzer geht es nicht um das fundierte Abwägen von Fakten und Argumenten, sondern einzig um die Wiederholung seines technikfeindlichen Postulats. Das ist nicht nur langweilig und drückt den Erkenntnisgewinn des Lesers gen Null. Und: Es ist unseriös, denn die Ausschließlichkeit, mit der er zum Beispiel Facebook als sozial schädlich brandmarkt, weil es zur Schrumpfung "sozialer Gehirnbereiche" führe, negiert jegliche gegenteiligen Forschungsergebnisse.

Dennoch: Das Buch - über das gerade lebhaft diskutiert wird - trifft offenbar einen Nerv. Die Frage, wie eine Gesellschaft sachgemäß mit neuen Technologien umgehen soll, ist virulent. Und sicher stellt Spitzer zu Recht fest, dass es Kindern aus sozial schwachen Schichten schwerer fällt, Computer vielfältig für sich zu nutzen. Doch um eine solche Debatte oder gar um soziale Gerechtigkeit im Internet-Zeitalter geht es ihm gar nicht. Spitzers Buch entbehrt jeglicher konstruktiver Vorschläge. Stattdessen endet es im letzten Kapitel mit sechzehn Wohlfühl-Tipps a la "Verbringen Sie Zeit in der freien Natur" und "Meiden Sie die digitalen Medien".

Das alles wäre nur ärgerlich und kaum der Rede wert, wenn nicht - wie schon im Falle der Autoren Sarrazin und Höhler - eine fragwürdige Allianz aus Verlagen, Fernsehtalkshows und Populisten solche reaktionären und zugleich populistischen Katastrophen-Thesen begeistert aufnehmen würden. Glücklicherweise hat sich im Netz eine kleine Gegenbewegung formiert. Unter gibro.de/studiengegenspitzer werden Dokumente gesammelt, die genau das Gegenteil von dem belegen, was Spitzer uns weismachen will.

Besprochen von Vera Linß

Manfred Spitzer: "Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen"
Droemer, München 2012
368 Seiten, 19,99 Euro
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