Tarifverhandlungen

Kinderstiftung unterstützt Forderungen der Erzieherinnen

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Die Zeiten, in denen die Kinder in Kitas nur verwahrt wurden, seien längst vorbei, betont Heike Kahl. © Uli Deck/dpa
Heike Kahl im Gespräch mit Nana Brink · 23.03.2015
Eine höhere gesellschaftliche Anerkennung und mehr Gehalt für Kita-Erzieherinnen fordert Heike Kahl. Diese leisteten "in der Tat mehr, als sie bezahlt bekommen", sagte die Geschäftsführerin der Kinder- und Jugendstiftung.
Vor dem Hintergrund der Tarifverhandlungen für die kommunalen Kindergärten hat die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Heike Kahl, eine deutlich höhere Entlohnung für Erzieherinnen und Erzieher gefordert. Im Deutschlandradio Kultur sagte Kahl, die Erzieherinnen leisteten eine "Unmenge an Arbeit". Sie seien inzwischen "umzingelt von Ansprüchen", gingen in der Freizeit zu Fortbildungen und müssten manchmal sogar Fundraising betreiben, weil nicht genügend Geld da sei, um beispielsweise Bastelmaterialien zu kaufen. Zugleich werde viel Bildungsarbeit in den Kitas geleistet. Die Zeiten, in denen die Kinder dort nur verwahrt worden seien, seien längst vorbei, betonte sie. Die Forderungen nach mehr Lohn seien deswegen berechtigt, sagte Kahl. Kita-Erzieherinnen leisteten "in der Tat mehr, als sie bezahlt bekommen". Die gesellschaftliche Anerkennung für diese Arbeit sei nicht hoch genug.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Haben Sie schon mal nachgefragt in der Kindertagesstätte, wenn Sie denn ein Kind dort haben, was die Erzieher so verdienen? Sie werden sich wundern angesichts der Tatsache, dass wir ihnen das Kostbarste anvertrauen, was wir haben, nämlich unsere Kinder! Gerade läuft die zweite Runde der Tarifverhandlungen für Erzieher in kommunalen Einrichtungen, und die Gewerkschaften fordern mehr Geld und vor allem eine größere Wertschätzung.
((Bericht))
Was ist uns eigentlich die frühkindliche Bildung wert? Seit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige wurden ja die Stellen ausgebaut, insgesamt kamen 128.000 dazu, zwischen 2006 und 2013, und die Frage ist ja: Sind die alle vorbereitet auf das, was sie tun? Heike Kahl ist Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Frau Kahl, ich grüße Sie, guten Morgen!
Heike Kahl: Guten Morgen!
Brink: Vielleicht klären wir das erst einmal: Wie viel Bildungsarbeit wird denn in den Kitas geleistet? Oder kann man das als Bildungsarbeit bezeichnen?
Der Rechtsanspruch ist da - jetzt muss an der Qualität gearbeitet werden
Kahl: Man muss es als Bildungsarbeit bezeichnen. Die Zeiten, in denen wir einfach sozusagen das Kind früh abgegeben haben und es ist eine Art Verwahrung und Aufbewahrung gewesen, die sind ja wirklich längst vorbei. Und ich finde, man muss aber trotzdem schon noch mal sagen, dass es ja eigentlich ein wunderbares Zeichen ist, dass wir auf dem rechten Weg sind, wenn wir wissen, dass von 2008 bis 2014 die Plätze - also die Quantität, das ist eine Dimension - um 300.000 Plätze zugenommen haben.
Also, dieser Rechtsanspruch auf einen Kindertagesplatz, dass der da ist, das ist ganz wunderbar. Und da haben sich die Kommunen und die Länder und der Bund wirklich sehr angestrengt, um das hinzukriegen. Die Plätze allerdings dürfen nicht eine Legitimationsfassade dafür sein zu sagen, nun haben wir ja eigentlich genug getan. Denn die Qualität in den Kitas ist ja der entscheidende Punkt und da müssen wir auch wirklich drangehen. Denn wenn man sich das Leben einer Kita-Erzieherin vorstellt, dann leisten die in der Tat im Alltag mehr, als sie bezahlt bekommen. Das ist ganz klar.
Brink: Das möchte ich mir jetzt mal gerne vorstellen, das Leben. Also, wer es nicht aus eigener Erfahrung weiß, es wird ja nicht mehr verwahrt, das haben Sie selber gesagt, das heißt, die Ansprüche und Erwartungen sind ja stetig gestiegen. Und ich meine jetzt nicht den Geigen- oder den Chinesisch-Unterricht!
Die Erzieherinnen sind "umzingelt" von Ansprüchen
Kahl: Na, und zwar der Anspruch von allen Seiten! Also, die Erzieherinnen sind ja sozusagen umzingelt von Ansprüchen. Das sind die Eltern, die hohe Ansprüche haben – berechtigterweise – die Erzieherinnen haben eine emotionale Arbeit zu leisten in der Kita, sie haben sozusagen eine soziale Arbeit zu leisten, sie haben eine Unmenge Verwaltung, sie haben mit den Eltern zusammenzuarbeiten, sie haben mit der Familienbildung zusammenzuarbeiten, sie müssen an Fortbildungen teilnehmen, denn die meisten von ihnen wissen selber, dass sie auch da was tun müssen. Und das meiste müssen sie fast außerhalb der Arbeitszeit machen, weil sie es gar nicht mehr anders schaffen.
Manche Kitas sind auch finanziell nicht gut ausgestattet, da geht es schon damit los, dass sie Papier fürs Malen besorgen müssen und dass sie Klebstoff besorgen müssen, dass sie Fundraising-Initiativen machen müssen! Es ist sozusagen eine komplexe Angelegenheit, eine Kita-Erzieherin zu sein.
Und wenn Sie dann noch bedenken, dass das ja nicht erst ab drei losgeht, sondern ein Kind auch schon mit einem Jahr da ist, das muss gewindelt werden, das muss gewaschen werden und so weiter und so fort. Da ist eine Unmenge an Arbeit da. Ich glaube, das Problem ist, dass diese Gesellschaft immer noch eher auf Intervention ausgelegt ist denn auf Prävention.
Brink: Ich bin gerade gestolpert über Ihren wunderbaren Begriff: Fundraising in der Kita! Ich glaube, das bringt die ganze Komplexität ganz gut irgendwie mal auf den Punkt! Schätzen wir das nicht wert oder schätzen auch Eltern das nicht wert, was dort geleistet werden muss?
Die Forderung nach mehr Lohn ist berechtigt
Kahl: Ach, ich glaube, man kann so pauschal nicht antworten. Wenn ich in unsere Praxis gucke, dann hat man alles. Dann hat man wertschätzende Eltern, die sehr wohl anerkennen, wie sehr das Personal diese beiden wichtigsten Ressourcen sozusagen – Bindung aufzubauen und Beziehung zu den Kindern aufzubauen – die das sehr wertschätzen und die das auch honorieren mit kleinen Aufmerksamkeiten, mit der Teilnahme an Veranstaltungen und so weiter und so fort.
Aber die individuelle Zuwendung zu einer Kita-Erzieherin ersetzt natürlich nicht sozusagen den professionellen Blick und den gesellschaftlichen Blick auf die Kita-Erzieherin. Und da, muss man sagen, sind auch die Verhandlungen um mehr Lohn durchaus berechtigt. Weil die gesellschaftliche Anerkennung – mein Gott, was machen die da, die spielen da ein bisschen mit den Kindern rum – nicht hoch genug ist. Und wie gesagt, wenn das Fundament nicht gut ist, wenn wir nicht investieren ... Und Professorin Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin, Anm. der Redaktion) ... Ich weiß nicht, ob das nicht einen Hauch übertrieben ist, aber die sagt: Bis zur Grundschulzeit kann man reparieren und kann man gestalten. Alles danach, danach werden die Defizite im Höchstfall verwaltet, sie werden nicht mehr abgebaut. Also, was wir versäumen in den ersten Jahren, das ist im Grunde nicht mehr aufzuholen.
Brink: Wie kommen wir denn zu mehr Wertschätzung? Die Leute müssen ja dann auch professioneller werden. Oder müssen sie professioneller werden?
Auch die Erzieherinnen müssen noch professioneller werden
Kahl: Sie müssen professioneller werden an einigen Stellen, aber sie müssen auch ... Sie müssen mehr Geld bekommen, die Gesellschaft hat dafür die Verantwortung, dieses auch herzustellen, und da ist Geld eine Möglichkeit. Aber es muss auch ... Das Kita-Gesetz, das kommen soll, ist, glaube ich, eine Formalie oder ein Weg, das hinzukriegen, aber wir müssen auch in allen Bereichen ... Wenn wir sagen, Bildung ist Gemeinschaftsaufgabe, nicht mehr allein der Staat, nicht nur die Eltern, da kann man nun beklagen, dass die Eltern nicht mehr in der Lage sind, das herzustellen, aber es ist unser aller Anliegen, dass unsere Kinder, die wenigen, die wir haben, gut aufwachsen und dass sie gute Startbedingungen haben.
Und da geht es um Haltung der Erzieherin, auch da muss gearbeitet werden, es reicht nicht mehr zu sagen, ich habe das mal gelernt und ich weiß schon, was ich tue; es ist eine gesellschaftliche Frage, wie wir – Medien, Staat, Verwaltung – mit den Kita-Erzieherinnen umgehen, es ist eine Frage des Geldes und der gesamten Kultur in unserem Land, welche Wertschätzung wir diesem Beruf und dieser Aufgabe, die damit verbunden ist, beimessen.
Brink: Sie haben das Kita-Gesetz erwähnt, was ja kommen soll. Was muss dann da drinstehen, um dieses Ziel (zu erreichen), was Sie jetzt formuliert haben, diese Wertschätzung, vielleicht auch da befördert werden kann?
Kahl: Ich glaube, ein Gesetz kann keine Mentalität ändern. Aber ein Gesetz kann die Rahmenbedingungen schaffen, damit sozusagen sowohl in der Ausbildung, in der Fortbildung, in der Art und Weise, wie in Formulierungen ausgesprochen wird, was wir von dieser ganzen Sache halten, da können die Rahmenbedingungen gegeben werden. Aber die Kommunen, die Städte, der Bund, das Land, alle, und die Eltern haben gemeinsam die Aufgabe, sozusagen das Ganze zu untersetzen.
Und ein wichtiger Punkt scheint mir dabei zu sein, das merken wir in unseren Programmen: nicht alles vorgeben! Wir haben ein Programm, das wir gemeinsam mit dem Familienministerium durchführen, das heißt "Anschwung". Also, Sie erinnern sich, alle, die Kinder haben, wissen, die Kinder haben auf der Schaukel gesessen und man wurde immer gefragt: Kannst du mal Anschwung geben?
Brink: Ach so, anschubsen!
Kahl: Anschubsen, kannst du mich mal anschubsen? – Anschubsen konnten wir nicht nehmen, weil das nicht in allen Landesteilen gleichermaßen verstanden wird, das Wort! Und da haben diejenigen, die wir in den Kommunen angesprochen haben, als erstes gefragt: Was, ihr kommt nicht mit einem fertigen Konzept, das wir einfach umsetzen müssen und dann bekommen wir Geld, sondern ihr kommt mit Beratung und wir können definieren, was wir vor Ort brauchen! Also, Bedarfs- und Bedürfnisorientierung muss möglich sein. Nicht alles vorgeben, denn die Leute vor Ort wissen meistens sehr genau, was sie haben wollen.
Brink: Also, Wertschätzung bedeutet nicht immer nur Geld, sondern auch Zuwendung, "anschubsen" im wahrsten Sinne des Wortes! Heike Kahl, danke schön, Frau Kahl, für Ihre Zeit!
Kahl: Ganz gerne, schönen Tag für Sie!
Brink: Danke, Ihnen auch! Heike Kahl ist Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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