Tarifeinheitsgesetz

Fesseln für die kleinen Gewerkschaften

Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) demonstrieren mit Transparenten und Trillerpfeifen in Berlin vor der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz
Die GDL kämpft gegen ihre Marginalisierung, denn das neue Gesetz könnte sie überflüssig machen. © picture alliance / dpa/ Sören Stache
Von Gerhard Schröder · 22.05.2015
Seine unheilvolle Wirkung hat das Gesetz zur Tarifeinheit schon entfaltet, bevor es überhaupt in Kraft ist. Es spaltet statt zu einen. Es verschärft Tarifkonflikte, statt sie zu befrieden.
Eindrucksvoll zu beobachten ist das im aktuellen Tarifkonflikt bei der Bahn, den die Große Koalition mit ihrem Gesetzesvorstoß entscheidend verschärft hat. Wer will es der Lokführergewerkschaft GdL verübeln, dass sie ihrer Marginalisierung nicht tatenlos zusehen mag. Und nachvollziehbar ist auch, dass die Bahn es nicht eilig hat mit einem Tarifabschluss, wenn der Gesetzgeber sich anschickt, die renitenten Lokführer per Gesetz kaltzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es eine kleine Meisterleistung des früheren Arbeitsrichters Klaus Bepler, dass er die Tarifparteien wieder an ihre eigene Kernkompetenz erinnern und zurück an den Verhandlungstisch beordern konnte.
Da mag die Arbeitsministerin noch so lange um den heißen Brei herumreden, von Kooperation und Zusammenarbeit der Gewerkschaften schwadronieren, die sie mit dem Gesetz stärken will. Das Gegenteil ist der Fall. Welchen Anreiz hat zum Beispiel die Eisenbahngewerkschaft EVG in Zukunft, mit der kleineren GdL zu kooperieren, wenn sie doch allein den Ton angeben kann. Denn das ist der Kern des Gesetzes: Im Konfliktfall gilt nur ein Tarifvertrag, nämlich der, den die mitgliederstärkere Gewerkschaft abgeschlossen hat. Die kleinere Organisation hat nichts mehr zu melden.
Eine Gewerkschaft aber, die keine Tarifverträge mehr abschließen kann, ist keine Gewerkschaft mehr. Sie kann vielleicht noch Folkloretänze beim Betriebsfest organisieren. Dem Arbeitgeber auf Augenhöhe begegnen kann sie nicht. Mit dem Tarifeinheitsgesetz greift der Gesetzgeber zwar nicht direkt in das Streikrecht ein. Aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, dass Arbeitsgerichte in Zukunft zu dem Schluss kommen werden, dass ein Arbeitskampf einer Minderheitengewerkschaft nicht zulässig ist, weil er auf ein Ziel gerichtet ist, das nicht erreichbar ist – nämlich ein eigener Tarifvertrag.
Welcher Notstand soll eigentlich beseitigt werden?
Dass ein derart massiver Eingriff in das grundgesetzlich fixierte Recht auf Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich bedenklich ist, liegt auf der Hand. Und es bleibt völlig unklar, welcher Notstand damit eigentlich beseitigt werden soll. Droht Chaos in den Betrieben? Werden Unternehmen künftig reihenweise lahmgelegt, wenn den kleinen Berufsgewerkschaften nicht Fesseln angelegt werden? Ist gar der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr?
Sicher, wenn die Züge mal nicht fahren, oder die Flieger nicht starten, dann ist das ärgerlich. Aber verkraftbar. Von den vielbeschworenen englischen Verhältnissen – der nachhaltigen Zerrüttung der Wirtschaft durch streiklustige Gewerkschaften – jedenfalls sind wir meilenweit entfernt. In Deutschland wird im Vergleich zu den übrigen Industrieländern ziemlich selten gestreikt. Kein Grund also zur Panik. Kein Grund, gewerkschaftliche Grundrechte so rabiat einzuschränken, wie die Bundesregierung das nun tut. Besser wäre es gewesen, sie hätte die Finger davon gelassen. Bleibt zu hoffen, dass die Verfassungsrichter in Karlsruhe das Schlimmste verhindern.
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