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Solodebüt von Ex-Wild-Beats-Musiker Tom Fleming
"Die Platte verurteilt Großbritannien"

Nach der Zeit mit seiner Indie-Band Wild Beasts widmet sich der Brite Tom Fleming dem desolaten Zustand seines Heimatlandes. Auf seinem ersten Album als Solomusiker "One True Pairing" will er dem guten Geschmack trotzen - und liefert dennoch ein zugängliches Album.

Von Marlene Küster | 21.09.2019
Jenna Foxton
Tom Fleming hat sein erstes Soloalbum veröffentlich: "One True Pairing" (Jenna Foxton)
"Diese Platte verurteilt Großbritannien: Dort haben sich gerade so viel Wut, Ärger und Fatalismus breitgemacht. Wo sind wir eigentlich, wo stehen wir, frage ich. Es geht nicht um vergangene, romantische Erlebnisse. Im Fokus steht was sich hier und jetzt abspielt. Das treibt mich um. Das muss ich zur Sprache bringen."
Gegen den guten Geschmack
Ein Statement von Tom Fleming, ehemaliger Sänger und Multiinstrumentalist der britischen Band "Wild Beasts", über sein gerade erschienenes Soloalbum "One True Pairing". Nach der Auflösung der Indierock-Formation macht Fleming eine Solokarriere und hat ein Werk mit elf Songs vorgelegt: Disharmonische Gitarren und aggressive Synthesizer spielen darin eine dominante Rolle. Sie drücken die Unzufriedenheit und Verunsicherung im heutigen Großbritannien aus. Hintergrund sind endlose Debatten um den Brexit, keine klaren Ansagen, niemand weiß, was aus Großbritannien wird. Das lähmt die Bevölkerung. Im Song "Blank Walls" beispielsweise kommen das Gefangensein und die Perspektivlosigkeit zum Ausdruck. Da heißt es "starring down in a big hole" - ich starre nach unten in ein tiefes Loch.
"Im Fokus steht, was sich hier und jetzt abspielt."
Der Titel des Albums "One True Pairings" stammt aus der Welt der Fanfiction. Wenn Fans ihre Lieblingsgeschichten weiterschreiben, dann ist für sie das "One True Pairing" das einzig wahre Liebespaar. Fleming will mit diesem Titel provozieren und über das reale Leben sprechen. Er setzt der idealen Romantik des perfekten Pairings, die harte Realität Großbritanniens 2019 entgegen: Klassenfrustration sowie Selbstzweifel.
Der Titelsong ist eigentlich ein Liebessong, in dem Hoffnung, aber auch depressive Momente, Unsicherheit, Zweifel und eine Art Desillusion zum Vorschein kommen. "Dieser Song kommt bedrohlich rüber mit Drum Machines, Synthesizern und einem Part von verzerrten Gitarren, da setze ich Fingerpicking und die Folk-Spielweise ein. Hier sollte ein Rock-Einfluss zu hören sein: direkt und aggressiv."
Fleming wählt die passende musikalische Ausdrucksform, um das kranke Großbritannien zu charakterisieren. "Ich wollte eine Art Rockalbum machen, das etwa Bruce Springsteen oder Tom Petty wieder aufleben lässt – sehr direkt. Der Sound reflektiert die aggressiven und sehr persönlichen Aussagen und Inhalte der Songs. Er ist keineswegs sanft, sondern eckig, kantig und brüchig."
Unsicherheit, Zweifel, Desillusion
"One True Pairing" hat durchaus diese rockigen und kantigen Seiten. Aber geschmacklos, wie der Brite das Album haben wollte, ist es nicht. Es ist keine Imitation der achtziger Jahre, sondern Flemings Interpretation eines Rockalbums mit vielen synthetischen Elementen, die zeitgemäß klingen. Am besten hat Fleming seine musikalische Vision im Song "Weapons" umgesetzt – ein kritischer Blick in eine einfache britische Familie.
"Hier geht es darum, wie sich die Gewalt eines bösen Vaters oder der Zorn eines aufgebrachten Bruders unaufhaltsam Bahn brechen, weil es keine richtigen Vorbilder und Perspektiven gibt. Verstärkt wird diese aggressive Stimmung durch viele Synthesizer und so laute Gitarren, dass mein Gesang zeitweise dahinter verschwindet." Beim Singen geht Fleming sensibel vor und transportiert mit seiner Stimme etwas Brüchiges und Verletzliches.
Laute Gitarren und viele Synthesizer
Fleming hat sich weiterentwickelt. Sein Soloalbum ist fokussierter, klingt eingängiger und reduzierter als der Sound der Wild Beasts. Dem Briten ist es aber nicht gelungen, vollkommen aus den Konventionen der alten Band auszubrechen. "One True Pairing" ist keine so rotzige Platte, wie Fleming sie angekündigt hat. Den Anspruch, Großbritannien zu verurteilen und einen sozialkritischen Beitrag zu leisten, hat der Ex-Wild-Beasts-Musiker nicht wirklich umgesetzt. Aber seine Songs sind gelungene Momentaufnahmen, die starke Emotionen einfangen und einen Einblick in die derzeitige Gefühlswelt vieler Briten geben.