Tanzende Puppen

Von Tobias Armbrüster · 17.05.2005
Bekannt geworden ist Jim Henson durch Kermit, Miss Piggy und Fozzie Bär aus der Muppet Show. Mittlerweile wird unter Hensons Namen eine Puppenwerkstatt in London betrieben, die ungewöhnliche Figuren für Film- und Bühnen-Shows produziert.
Im "Theater des Westens in Berlin" läuft seit wenigen Tagen das Musical "Die Drei Musketiere". Dieses Schauspiel lebt vor allem von kühnen Degenkämpfen und ritterlicher Romantik. Eine der interessantesten Rollen spielt dabei allerdings kein richtiger Schauspieler, sondern ein Pferd - nämlich das von D’Artagnan. Bei dem Pferd handelt es sich um eine große Puppe, die von zwei Schauspielern gesteuert wird. Diese Konstruktion auf vier Beinen stammt aus der berühmten Londoner Puppenwerkstatt von Jim Henson.

In Jim Henson’s Creature Shop hört es sich an wie in einer Schreinerei - oder wie in einem Computer-Labor. Je nachdem durch welchen der Werkstatträume man gerade läuft. Bis zu 160 kreative Köpfe arbeiten hier an Ausstattungen für Filme, Musicals und Theaterstücke. In dem Fabrikgebäude im Londoner Stadtteil Camden ist auch das Pferd von D’Artagnan entstanden, das zurzeit jeden Abend in Berlin auf der Bühne steht. Sharon Smith, die Chefdesignerin hat sich lange damit beschäftigt, wie Pferde sonst auf einer Bühne dargestellt werden - und sie fand die meisten dieser Ideen unbrauchbar für ein Musical.

"Wir wollten von Anfang an, dass die Zuschauer die beiden Tänzer sehen können, die diese Pferdefigur vorne und hinten bewegen. Immerhin handelt es sich hier um trainierte Schauspieler mit einem schönen Körper. Aber die beiden Menschen im Pferd sollen auch nicht sofort auffallen, deshalb haben wir das Pferd so gebaut, dass sich die beiden Körper dem Kostüm anpassen. Bei vielen anderen Theater-Pferden gibt es dagegen einfach ein Pferdekostüm, das über zwei Statisten geworfen wird. Bei unserem Pferd bilden Schauspieler und Kostüm eine Einheit."

Der Creature Shop im Londoner Stadtteil Camden hat eine jahrzehntelange Tradition in der Entwicklung von ungewöhnlichen Figuren für Film- und Bühnen-Shows. Der Amerikaner Jim Henson hat diese Werkstatt 1979 gegründet, zunächst nur, um neue Figuren für seine damals schon legendäre Muppets Show zu entwickeln.

Jim Henson ist 1990 gestorben. Jamie Courtier, heute einer der Leiter des Creature Shops, hat jahrelang mit ihm zusammengearbeitet. Auch wenn die Muppets Show mittlerweile dem Disney-Konzern gehört, lebt sie in dem Unternehmen weiter, sagt er.

"Jim Henson hatte einfach eine kreative Ausstrahlung, die sich durch alle Räume in dieser Werkstatt ausgebreitet hat. Henson war ein Mann voller Witz und Charme, und voller Zuneigung zu anderen Menschen. Das hat uns hier zusammengeschweißt wie eine große Familie. Sie finden hier menschliche Wärme und gleichzeitig eine regelrechte Muppets-Verrückheit - eine Mischung, die alle Mitarbeiter hier bei guter Laune hält."

Fernsehshows wie die Muppets waren für Jim Henson aber nur der Anfang. Eigentlich wollte er ins Filmgeschäft. In den 80er und 90er Jahren sind im Creature Shop deshalb Ausstattungen für Filme wie "Die Unendliche Geschichte" und "Ein Schweinchen namens Babe" entstanden. Und auch bei der Verfilmung von "Der Englische Patient" hatten die Designer vom Creature Shop ihre Hände im Spiel.

"Beim Englischen Patienten waren wir für die Maske von Ralph Fiennes zuständig. Er spielt darin ja einen Patienten mit völlig verbranntem Gesicht. Wir haben dazu ein eigenes Verbrennungs-Make-up entwickelt. Das bestand aus Silikon, was damals noch sehr ungewöhnlich war. Diese Make-up-Herstellung im Labor war auch deshalb sehr aufwendig, weil Ralph Fiennes in der Lage sein musste, das Silikon im Gesicht auch während sehr langer Drehtage zu tragen. "

Wer in diesen Tagen das Büro von Jamie Courtier betritt, der steht erstmal einem zwei Meter hohen Geschöpf gegenüber, das ein bisschen so aussieht wie ein Nilpferd auf zwei Beinen, mit Nickelbrille über der Schnauze. Dieses komisch-unheimliche Wesen ist ein Vogone, ein Außerirdischer aus der Verfilmung von "Per Anhalter durch die Galaxis", der Film kommt im Juni in die deutschen Kinos. - Jamie Courtier hat mit seinen Mitarbeitern für die Dreharbeiten eine ganze Armee von Außerirdischen entwickelt, aber die Vogonen waren die aufwendigsten. Jede dieser Figuren wiegt 50 Kilo, gesteuert werden sie von zwei Personen, eine muss in dem Kostüm drinstecken und damit herumlaufen. Die zweite Person steuert per Fernbedienung die Mund- und Gesichtsbewegungen.

"So ein Vogon muss am Dreh-Set außerdem ständig von einem Assistenten begleitet werden. Der ist dafür zuständig, dass der Schauspieler in dieses Kostüm rein- und wieder rauskommt. In diesem Anzug wird es aber auch unglaublich heiß, deshalb brauchen die Schauspieler darin ständig Wasser und frische Luft. Sobald es eine Drehpause gibt, muss man den Kopf von diesen Kostümen von außen runternehmen, Wasser reichen und Ventilatoren einschalten."

In der Filmproduktion hat sich durch die digitale Bildbearbeitung in den letzten Jahren eine Menge geändert. Was früher mit Hilfe von Puppen, Masken und Drahtseilen am Filmset gemacht wurde, das lässt sich heute oft mit Hilfe von Computer-Programmen nachträglich in einen Film einbauen. Der Creature Shop in London hat sich dieser Entwicklung angepasst, eine ganze Abteilung dieser kreativen Werkstatt befasst sich inzwischen ausschließlich mit der digitalen Bearbeitung von Kinofilmen. Aber trotzdem, sagt die Design-Chefin Sharon Smith, herrscht in der Filmindustrie immer noch eine große Nachfrage nach echten Puppen, die vor der Kamera kämpfen, fliegen, rennen und komische Laute von sich geben.

"Die elektronische Filmbearbeitung wird natürlich immer besser, aber trotzdem gibt es immer noch ein Maß an Perfektion, das sie mit einer Computer-Animation nicht erreichen. Viele Produzenten und Regisseure wollen am Drehset einfach ein richtiges Wesen, das anderen Schauspielern gegenübersteht. Einen Alien zum Beispiel, den man anfassen, und mit dem ein Schauspieler kämpfen kann. Sie brauchen oft einfach eine Figur, die wirklich vor der Kamera steht."

Werkstätten so wie Jim Henson’s Creature Shop gibt es nicht allzu viele auf der Welt. Die Mitarbeiter hier sind hoch spezialisiert und wenn ein Deadline naht, dann wird in dem zweistöckigen Fabrikgebäude oft Tag und Nacht gearbeitet. Aber egal ob es sich um ein Musical in Berlin oder um einen Hollywood-Film handelt - die Figuren, die hier entstehen sind Unikate - und an viele dieser konstruierten Gesichter kann man sich auch dann noch erinnern, wenn man viele echte Schauspieler längst wieder vergessen hat.