Tanz

Vom Leben in den Städten

Der Intendant des Kunstfestivals "Ruhrtriennale"
Der Intendant des Kunstfestivals "Ruhrtriennale", Heiner Goebbels © AFP / John MacDougall
Von Christiane Enkeler · 20.09.2014
Wie klingt das urbane Leben? Wie fühlt es sich an? Heiner Goebbels spürt dem mit seiner Komposition "Surrogate Cities Ruhr" nach. Nun wird sie in Duisburg aufgeführt - mit zahlreichen Laiendarstellern aus den Großstädten im Pott.
"Dann bitte Ruhe, wir machen das jetzt erst mal ohne Musik, Sarah, Auftritt."
Die Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg Nord ist seit 2002 Spielort fürs Theater. Nur ein paar Schritte weiter kann man einen Hochofen besteigen und aus 70 Metern Höhe das Gelände überblicken. Auch die Kraftzentrale ist eine riesige Halle, 50 Meter lang und über zwölf Meter breit.
In der Produktion "Surrogate Cities Ruhr" ist fürs Orchester eine runde Fläche in der Mitte vorgesehen. Darum herum bewegen sich die über hundert Performer. Auf beiden Längsseiten steigen die Zuschauerreihen auf.
Eine junge Frau steht weit hinten im Raum und pendelt langsam hin und her. Alle anderen, die jetzt die Bühne betreten, richten sich nach ihr aus. Sehen in dieselbe Richtung, pendeln sacht mit ihren Körpern.
Die französische Choreografin Mathilde Monnier inszeniert hier den einzigen Moment, in dem alle auf der Bühne Versammelten eine Gemeinschaft bilden. Denn Thema ihrer Choreografie ist vor allem das Allein- und Klein-Sein innerhalb einer großen, wachsenden Zukunftsstadt. 2008 hat sie bereits in Berlin ein "Surrogate-Cities"-Projekt auf die Bühne gebracht.
Eine Menge Kinder gehören zum Konzept, dazu eine HipHop- und eine Martial-Art-Gruppe. Außerdem die "Golden Ager" – Standardtänzer. Zehn Paare eines Amateur-Clubs werden jeweils in den Vorstellungen tanzen.
Der Vorsitzende des Tanzsportclubs Dortmund, Klaus Meng, beschreibt seine erste Reaktion auf die Musik:
"Aber ich muss sagen, wenn man sich jetzt einige Wochen damit beschäftigt, dann lernt man die Musik doch mögen und man kann sie sich viel besser erschließen."
Mythisch anmutende Texte gehören zur Inspirationsquelle
Ein "Surrogate" ist ein Stellvertreter, ein Ersatz. Heiner Goebbels will mit der Komposition aus den 90er Jahren das Leben in den großen Städten nicht illustrieren. Sie soll "strukturelle Gemeinsamkeiten“ erfassen - in Mechanik, Industrie, unserem Geist und auch in der Organisation eines Orchesters zum Beispiel. Mythisch anmutende Texte gehören zur Inspirationsquelle. Ein Sampler ruft Hörtraditionen auf. Es geht um eine überindividuelle "urbane Erfahrung".
Klaus Meng und die anderen Beteiligten bieten ihr ureigenes Bewegungsrepertoire an. Mathilde Monnier arbeitet dann damit.
Mit kleinen Holzsticks in den Händen verwandeln sich alle in Soli, deren Längen sie selbst bestimmen, in Fechter, Toreros, aber auch Fluglotsen, Schwäne, Schlagzeuger. Mathilde Monnier geht es darum, über die eigene Position gegenüber der Stadt nachzudenken. Dabei verkörpern die Standardtänzer für sie "humanity", Menschheit und Menschlichkeit. Menschlich sind die Menschen hoffentlich nicht nur im Ruhrgebiet.
Allerdings lässt Bühnenbildnerin Annie Tolleter in der Probe eine junge Performerin eine Projektion gestalten. Bildschirme auf der Bühne zeigen nun Städtenamen aus dem Ruhrgebiet auf Papierschnipseln – auch Dortmund, der Stadt des Tanzsportclubs.
"Irgendwo ist es ja auch so, dass wir diese Musik verarbeiten, irgendwo, auch wenn wir 'nur' Statisten sind, interpretieren wir ja mit diese Musik."
So kann man sich die Musik zu eigen machen, die Heiner Goebbels in "Surrogate Cities" anbietet. Indem man selbst erfährt und interpretiert. Etwas, das ihm grundsätzlich wichtig ist.
"’Golden Age’-Gruppe ist fertig, ihr dürft euch umziehen und zu eurem Bus gehen, vielen Dank!“
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