Tambora

Ein Vulkanausbruch, der Geschichte machte

Dunkle Rauchwolken über einem Vulkan
Wolfgang Behringers schildert die Tambora-Krise als Katalysator für die Neuordnung der Welt. © picture alliance / dpa
Von Edelgard Abenstein · 24.10.2015
Der Ausbruch des Vulkans Tambora vor 200 Jahren war der größte seiner Art in der Geschichte der Menschheit. In "Tambora und das Jahr ohne Sommer" erzählt Wolfgang Behringer von den weitreichenden Folgen für unseren Planeten und bereichert damit auch die aktuelle Klimadebatte.
Frankenstein und die Sparkasse – das literarische Monster und das Modell für die Daseinsvorsorge haben eines gemeinsam. Sie verdanken ihre Entstehung einem Vulkanausbruch vor 200 Jahren, dem größten seiner Art in der Geschichte der Menschheit.
Am 10. April 1815 explodierte auf einer indonesischen Insel der 4500 Meter hohe Tambora mit verheerenden Folgen weltweit.
Asche und Schwefelgase wurden in die Atmosphäre geschleudert und verbreiteten sich um den Erdball. Sie blockierten das Sonnenlicht und sorgten für Dunkelheit und Kälte. Das Folgejahr 1816 schrieb als "das Jahr ohne Sommer" Geschichte.
Von April bis September gingen auf der Nordhalbkugel ohne Unterlass Regen-, Graupel- und Schneeschauer nieder. Das Korn verschimmelte, Kartoffeln verfaulten, Äpfel und Trauben reiften nicht. Ernteausfälle, Seuchen und Hungersnöte rafften Hunderttausende Menschen in Europa, Asien und Amerika dahin.
Um der wirtschaftlichen Not zu entfliehen, machten sich in großen Wellenbewegungen Auswanderer nach Amerika auf. Doch auch an der Ostküste der USA waren die Sommermonate eisig, die Zeit der großen Trecks nach Westen begann. Weil Reis nicht mehr gedieh, schlug in China die Stunde des Opiumanbaus; in Indien brachten verheerende Regenfälle Jahrhunderthochwasser, die eine weltweit wütende Cholera-Epidemie auslösten.
"Der Tambora-Ausbruch wirkte wie ein großes Experiment in Bereichen, in denen wir normalerweise nicht experimentieren können … der Wirtschaft, der Kultur und der Politik ... Fast alle Gesellschaften der Welt mussten gleichzeitig zeigen, wie sie mit der Krise umzugehen imstande waren. Manche ... mühelos. Andere schlitterten ... in einen unaufhaltsamen Niedergang."
Wolfgang Behringer hat vor acht Jahren das Standardwerk über die Kulturgeschichte des Klimas geschrieben. Während er dort von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung eine tour d'horizon unternimmt, ist das neue Buch eine zeitlich eng begrenzte Fallstudie.
Naturkatastrophe beeinflusste Politik und Erfindungen
Im Sinne einer Globalgeschichte richtet er den Blick einerseits aus der Vogelschau, andererseits in regionalgeschichtlichen Nahaufnahmen auf das Geschehen vom Beginn der Klimakatastrophe bis zur Schlussakte des Wiener Kongresses.
Er schildert den Preis, der in Teilen Afrikas, auch in Indien bezahlt wurde, nachdem einheimische Reiche unter das Joch des britischen Empire gerieten oder wie württembergische Auswanderer dazu benutzt wurden, Türken und Tataren zu vertreiben.
Aber er zeigt auch plastisch auf, wie erfinderisch die Not damals machte. Weil Zugvieh rar wurde, tüftelte ein schwäbischer Junker an der Idee der selbsttätigen Fortbewegung; er entwarf eine Art Prototyp des Fahrrads, der 70 Jahre später zur Erfindung des Automobils führen sollte.
Der Chemiker Justus von Liebig, dem sich das Hungerjahr unauslöschlich eingebrannt hatte, entwickelte kompakte Nährlösungen, den Suppenwürfel sowie den Phosphatdünger, der bis heute in der Landwirtschaft verwendetet wird.
Zur Absicherung der Geldeinlagen kleiner Leute wurden zuerst in England Sparkassen gegründet, die ihren Siegeszug über die nördliche Hemisphäre antraten, wie überhaupt erste Ansätze von öffentlicher Sozialvorsorge spürbar wurden.
"Denn ohne das 'tägliche Brot' ist die Gefahr groß, dass die Menschen sehr, sehr ärgerlich werden. In dieser Situation wird selbst in 'absoluten Monarchien' oder Diktaturen deutlich, wer der Souverän ist."
Vom Hunger freilich bekam die Künstlergruppe um Lord Byron am Genfer See wenig mit. Umso mehr von der Weltuntergangsstimmung jenes Jahres ohne Sommer, das die junge Engländerin Mary Wollstonecraft zur wirkmächtigsten Figur der Unterhaltungsindustrie inspirierte, dem Horror-Frankenstein.
Cover von Wolfgang Behringers "Tambora und das Jahr ohne Sommer"
Wolfgang Behringer: "Tambora und das Jahr ohne Sommer"© C.H. Beck
Solcherart Aha-Erlebnisse machen das Lesen immer wieder spannend. Genau wie das schillernde Credo Behringers, das ihn die Tambora-Krise als Katalysator für die Neuordnung der Welt deuten lässt.
Geschichte ist keine Fortschrittserzählung
Hart ins Gericht geht er mit denjenigen seiner Kollegen, die Geschichte zuverlässig als Fortschrittsgeschichte sehen, denen das Klima als allzu wetterwendischer Faktor nicht in den Kram passt.
"Revolutionen werden in dieser Perspektive gewissermaßen als Strafe für bestehende Ungerechtigkeiten gedeutet ... Im Vergleich dazu schien die Hungerkrise von 1816/17 sinnlos, wenn nicht gar sinnwidrig. Denn war nicht gerade mit der bürgerlichen Revolution von 1789 und ... ihrer Reformen ein neues Zeitalter angebrochen? Nach dem Ende der (napoleonischen) Kriege sollte eine goldene Zeit beginnen ... Stattdessen kam die Tambora-Krise ... Viele Historiker retuschierten sie daher einfach weg."
Nicht zuletzt kommt Behringers Studie einem Bedürfnis nach Reduktion, nach Vereinfachung entgegen. Statt sich der Komplexität der Geschichte auszusetzen, fällt es ja allemal leichter, den historischen Wandel an klare Umschlagsmomente in der Ereigniskette zu knüpfen. Das birgt zwar die Gefahr monokausaler Argumentation, doch diese Momente liefern einfach die besseren 'stories', was der Autor mit erzählerischer Kraft zu nutzen weiß.
Indem es zeigt, wie der Planet sich vor 200 Jahren den Wetterattacken gestellt und neu ausgerichtet hat, bereichert das Buch durchaus originell die aktuelle Klimadebatte. Und es beweist, dass der Blick zurück keinesfalls Schnee von gestern ist.

Wolfgang Behringer: Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte
C.H. Beck Verlag, München 2015
398 Seiten, 24,95 Euro

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