Tagung zu Verschwörungstheorien

Einfache Erklärungen für komplexe Phänomene

Astronaut Buzz Edwin Eugene Aldrin (USA) neben der amerikanischen Fahne auf dem Mond während der Mission Apollo 11.
Bei Anhängern von Verschwörungstheorien sehr beliebt: die Behauptung, die Mondlandung habe nie stattgefunden. © Imago Stock & People
Von Vanja Budde · 02.03.2015
Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur, denn in Krisenzeiten liefern sie handhabbare Deutungen von abstrakten Sachverhalten. Wie sie wirken und politisch benutzt werden, diskutieren derzeit Wissenschaftler in Potsdam.
Eva Kimminich: "Seit 2008, seit Beginn der europäischen Finanzkrise, kursieren verstärkt Verschwörungstheorien, auch in Europa."
Vor allem in Südeuropa, weswegen Eva Kimminich vom Institut für Romanistik der Universität Potsdam Kollegen aus Zypern, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland eingeladen hat. Denn immer in Krisenzeiten machen sich verunsicherte Menschen auf die Suche nach einfachen Erklärungen für komplizierte Sachverhalte.
Die Finanzkrise diente den Teilnehmern der Tagung als typisches Beispiel: Selbst Experten haben zum Schluss nicht mehr begriffen, wie genau und warum die Banken ganze Volkswirtschaften in den Abgrund rissen.
Eva Kimminich: "Das Vereinfachende, das Wiederherstellen eines Weltbildes, das Risse bekommen hat, das ist das, was Verschwörungstheorien machen, und deshalb werden sie auch ganz gerne geglaubt."
Wirtschaftskrise hat Verschwörungstheorien vermehrt
Explosionsartig hätten sich diese Legenden und Mythen seit der massiven Wirtschaftskrise in seinem Land vermehrt, berichtete Evangelos Kourdis von der Universität Thessaloniki. Doch entgegen landläufiger Annahmen stünden nicht die Deutschen im Zentrum. Die würden in den griechischen Massenmedien mit stereotypen Vorurteilen verfolgt, nicht aber in der Bevölkerung, betonte Kourdis.
"Die Verschwörungstheorien, die zurzeit in Griechenland kursieren, glauben eine globale Absprache ausgemacht zu haben, die verhindern soll, dass Griechenland sich wieder erholt. Denn dann würden wir eine sehr starke Nation sein, die anderen Ländern, Russland zum Beispiel, dabei helfen könnte, zu dominieren. Denn die griechische Denkweise sei die Grundlage der europäischen Zivilisation"
Verschwörungstheorien geben abstrakten Erscheinungen ein Gesicht
Verschwörungstheorien bedienten seit alters her unser archaisches Bedürfnis danach, abstrakten Erscheinungen ein Gesicht zu geben, meint Massimo Leone aus Turin, der mit Kimminich gemeinsam die Tagung organisiert hat. Der Vulkanausbruch als Zorn der Götter; die angebliche jüdische Weltverschwörung; die Wirtschaftskrise als Tiger, der Märkte und Arbeitsplätze vernichtet.
Bis heute seien auch uralte narrative Strukturen tief in uns verwurzelt, betont Leone.
"Man könnte sagen, dass wir immer noch versuchen, sehr komplexe Phänomene wie die Finanzkrise mit homerischen Versen zu erzählen. Wir wollen Helden sehen und Schurken. Wir bräuchten aber eigentlich moderne Blickwinkel, um solch subtile Strukturen und dynamische Entwicklungen zu analysieren. Statt Homer eine Herangehensweise wie die von James Joyce in 'Ulysses' oder 'Finnegans Wake'."
Gemeinsame Strukturen von Verschwörungstheorien
Eine Ausstellung am Rand der Tagung zeigt auf Bild- und Texttafeln die gemeinsamen Strukturen von Verschwörungstheorien. Ein Beispiel ist die derzeit im Internet wild diskutierte Annahme, dass das Attentat auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris von Rechtsextremisten begangen worden sei, um den Islamhass weiter anzuheizen. Kurator Saman Hamdi:
"Grundsätzlich orientieren sich Verschwörungstheorien immer an zwei Fragen, oder zwei Bedeutungsgrundsätzen: Nämlich einmal die Frage cui bono, also wer profitiert? Es gibt immer jemanden, der von einem bestimmten Event profitiert. Und dann gibt es den Grundsatz pars pro toto: Alles deutet auf das Größere hin, alles ist ein Zeichen, was auf die Verschwörung hinweist."
Daran hat sich seit dem Deuten des Vogelflugs und den Hexenverbrennungen nichts geändert. Dabei knüpfen erfolgreiche Verschwörungstheorien immer an bereits vorhandene Vorurteile an und vereinigen in sich zwei eigentlich widersprüchliche Logiken:
Saman Hamdi: "Nämlich einmal eine mythologische Logik, wo Gut und Böse gegeneinander kämpfen und da wird an alte Mythen oder religiöse Traditionen angeknüpft. Und auf der anderen Seite haben wir eine pseudowissenschaftliche Argumentation, die versucht alles rational zu begründen."
Das Internet hat das Entstehen moderner Verschwörungstheorien natürlich ungemein befeuert: Es bietet Verschwörern wie Wahrheitssuchenden einen endlosen Kosmos.
Rattenfänger nutzen VT für ihre Zwecke
Das ist gefährlich, denn eben so alt wie die Verschwörungstheorie selbst ist der Versuch von Rattenfängern, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Die Pegida und der sogenannte Islamische Staat sind aktuelle Beispiele: Die einen fantasieren von einer "Islamisierung des Abendlandes", die anderen rekrutieren verunsicherte junge Muslime mit einem angeblichen neuen Kreuzzug des Westens gegen ihre Religion.
Eva Kimminich: "Immer dann, wenn ein Feindbild mit ins Spiel kommt, dann sind Verschwörungstheorien wirklich eine Gefahr, gerade was das Beispiel IS zeigt. An diesem Beispiel sieht man auch, wie wichtig Worte und Bilder sind: Damit kann man extrem manipulieren."
Eva Kimminich, die auch Kulturwissenschaftlerin ist, hofft darum:
"Dass wir durch unsere Analysen zumindest mal deutlich machen wollen, wie Verschwörungstheorien funktionieren, wie sie verbreitet werden, welche Reaktionen in sozialen Netzwerken zu beobachten sind. Um daraus dann ableiten zu können, wie man mehr aufklärt."
Dabei sei es wichtig, die Anhänger solcher Verschwörungstheorien nicht auszugrenzen und den Dialog zu verweigern, meint der junge Wissenschaftler Saman Hamdi.
"Man sollte die nicht stigmatisieren, sondern eher schauen, wie kann man deren Leben ändern und vielleicht auch unser gesellschaftliches Zusammenleben ändern, damit diese Erleichterung durch Verschwörungstheorien gar nicht mehr nötig ist."
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