Tagebuch

"Porträts, die beben vor Ironie"

Peter von Matt im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 16.01.2014
Das "Berliner Journal" aus dem Nachlass des Autors Max Frisch enthalte viele pikante Beobachtungen über andere Schriftsteller, sagt der Frisch-Kenner Peter von Matt. Der ironisch-persönliche Blick mache die Notizen erst spannend.
Klaus Pokatzky: Berlin-Friedenau, Februar 1973. Das Ehepaar Max und Marianne Frisch bezieht eine Wohnung in diesem Viertel mit wunderbaren Bauten aus der Kaiserzeit und vielen Nachbarn aus dem literarischen Milieu. Günter Grass wohnt um die Ecke, auch Uwe Johnson und Hans-Magnus Enzensberger. Und mit einem Schweizer Pass lässt es sich leichter nach Ostberlin einreisen als für einen Westdeutschen.
In seinen sieben Berliner Jahren bis 1980 hat Max Frisch fünf Ringhefte voll mit Notizen geschrieben. Über seine Schriftstellerkollegen in der Friedenauer Nachbarschaft und über die in Ostberlin. Nach seinem Willen erst frühestens 20 nach seinem Tod 1991 zu veröffentlichen. Am Telefon ist nun der Schweizer Schriftsteller Peter von Matt, 1981 bis 2012 Stiftungsratsvorsitzender der Max-Frisch-Stiftung. Grüezi!
Peter von Matt: Grüezi!
Pokatzky: Herr von Matt, Sie haben Max Frisch noch persönlich gekannt. 1979 haben Sie ihn persönlich kennengelernt, als es darum ging, die Grundlage für die Stiftung zu legen. Haben auch Sie jetzt das erste Mal im "Berliner Journal" von ihm lesen können?
von Matt: Ja. Also, an dem Tag, an dem wir diese verschlossenen Briefwechsel und anderen Texte in der Bank eben zum ersten Mal öffnen durften, da hab ich zum ersten Mal auch in dieses "Berliner Journal" hineingeschaut.
Pokatzky: Nun ist das ja ungewöhnlich, dass ein Schriftsteller sagt, erst 20 Jahre nach meinem Ableben darf so etwas veröffentlicht werden. Was steht denn da an so Pikantem drin, dass er das nicht zu Lebzeiten veröffentlicht wissen wollte?
von Matt: Also, er hat ja sehr viele, eine ganze Reihe von Briefwechseln gesperrt, und er hat eben diese sehr persönlichen Aufzeichnungen gesperrt, weil er wusste, dass die Leute, von denen da die Rede ist, und zum Teil sehr direkt die Rede ist und sehr unverblümt, eben viel länger, erwartungsgemäß länger leben werden als er, und er wollte, dass eine beträchtliche Zeitspanne dazwischen eben verfließt.
Kritik an Günter Grass, ironische Verbeugung vor Uwe Johnson
Pokatzky: Also er wollte wahrscheinlich Günter Grass nicht persönlich gegenübersitzen, wenn der schon gewusst hätte, dass Max Frisch über ihn geschrieben hat: "Wenn der Kreis größer ist, wenn Fremde zugegen sind, kann er nicht umhin, redet als Instanz, und ich treffe kaum jemand, der mit Sympathie von ihm spricht. Das Freundlichste ist Bedauern." Also das ist verständlich, dass er da nicht - wenn er dem noch mal begegnet wäre, weiß ich nicht, was Günter Grass gesagt hätte. Aber es geht ja auch um noch was anderes, es geht ja auch um seine Witwe Marianne, oder?
von Matt: Ja, also seine Witwe ist sie ja nicht. Er hat sich ja von ihr getrennt, geschieden, Ende der 70er-Jahre. Also es ist die ehemalige Frau, die heute noch lebt, und diese letzten Jahre dieser Ehe, die waren sehr verquält.
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch und Marianne Oehlers, Studentin der Theaterwissenschaft, aufgenommen bei Dreharbeiten zu einem Film nach Motiven von Frischs Roman "Mein Name sei Gantenbein". (Undatierte Aufnahme). Frisch und Oehlers lernten sich 1962 in Rom kennen und waren von 1969 bis 1979 miteinander verheiratet.
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch und die Studentin Marianne Oehlers bei Dreharbeiten zu einem Film nach Motiven von Frischs Roman "Mein Name sei Gantenbein". Sie lernten sich 1962 in Rom kennen und waren von 1969 bis 1979 verheiratet.© picture alliance / dpa / Undatierte Aufnahme
Pokatzky: Aber sie konnte ja vorher das jetzt Veröffentlichte zumindest lesen, und sie hatte keine Einsprüche dagegen. Gibt es vielleicht etwas, was sie nicht lesen konnte – es ist ja nicht alles veröffentlicht aus diesem Journal – und wogegen sie Einspruch erhoben hätte?
von Matt: Wir haben gewusst, dass diese sehr persönlichen Aufzeichnungen, dass man die jetzt nicht veröffentlichen darf. Es gibt ja auch Briefe, die wir schon gesperrt haben in diesem Zusammenhang. Das sind persönlichkeitsrechtliche Dinge, die auch ein Verlag nicht riskieren darf. Und wir haben gesehen, dass dieser erste Teil des "Berliner Journals" so interessant ist und so reich und auch so hervorragend geschrieben, dass es wichtig ist, dass diese Teile jetzt sichtbar werden, dass man sie lesen kann. Was mit dem Rest passiert, das muss man dann zuschauen, das werden die Verantwortlichen der Stiftung zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden müssen.
Die Brisanz der Texte – die heute vorgelegten Texte sind eigentlich literarisch und inhaltlich viel brisanter. Die anderen sind, sagen wir, von einem privaten Gesichtspunkt aus, können die anstößig sein, aber eigentlich aufregend sind die nicht.
Pokatzky: Aber sie könnten möglicherweise doch in zehn Jahren veröffentlicht werden. Wenn vielleicht der eine oder andere, dessen Persönlichkeitsrechte jetzt betroffen sein könnten, verstorben ist.
von Matt: Das ist durchaus denkbar. Das ist ja – diese Situationen trifft man ja bei allen großen Nachlässen und auch bei Briefwechseln – auch Briefwechsel können nicht alle gleichzeitig veröffentlicht werden. Es gibt immer Briefwechsel, die man längere Zeit unter Verschluss halten muss. Das hängt von den Umständen ab und eben von juristischen Dingen. Und in jüngerer Zeit sind ja im Bereich der Literatur verschiedene Prozesse gelaufen. Und die Verlage sind heute sehr vorsichtig geworden in dieser Hinsicht.
Besonders Aufregend: Notizen über seine Besuche in Ostberlin
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Peter von Matt, der schweizerische Schriftsteller über das "Berliner Journal" von Max Frisch. Herr von Matt, was sind denn die wirklich neuen, die aufregenden Erkenntnisse für uns Leser, wenn wir dieses "Berliner Journal" uns zur Hand nehmen?
von Matt: Also die privaten Dinge. Frisch ist ja immer auch ein Selbsterforscher, und diese Wege der Selbsterforschung, die er auch hier in diesem "Berliner Journal" wieder einschlägt, die sind zum Teil sehr interessant, sie sind aufschlussreich. Sie sind auch bedrückend insofern, als er als 61-Jähriger sich schon praktisch am Rande des Lebens vorkommt – kann man sich ja eigentlich gar nicht recht vorstellen. Aber das ist nicht das wirklich Aufregende an diesem neuen Buch.
Das Aufregende sind seine Porträts von Schriftstellerkollegen oder anderen Schriftstellern und vor allem seine Besuche in Ostberlin. Die Art, wie er dort das Milieu der dortigen Schriftsteller, aber auch der offiziellen Literaturverwalter studiert, wie er mit einem extrem forschenden Blick das Verhalten dieser Leute registriert. Der Versuch, sich nie eine Blöße zu geben, sich dem West-Menschen gegenüber als tolerant zu zeigen, aber immer Angst zu haben, irgendwo dann einen Fehler zu machen, der einem selber wieder Schwierigkeiten bereiten kann, das sind soziale und soziologische Studien, die heute hinreißend zu lesen sind. Vor allem, weil er dann in diese Welt hinein der ostdeutschen Schriftsteller und Literaturmacher, Verleger auch und Literaturverwalter, weil er dann diese Figur Wolf Biermann hineinstellt –
Pokatzky: Wenn ich kurz sagen darf: "Poet, Kämpfer, Clown" hat er ihn genannt.
von Matt: Ja. Aber es ist noch mehr als das. Er schildert ihn als den einzigen wirklich freien Menschen. Einen, der völlig unbekümmert über das, was ihm passieren könnte, macht, was er will. Und das ist schon faszinierend. Ich weiß nicht, wie weit das zutrifft, das wissen wir ja nicht. Aber die Art, wie er ihn da schildert und wie er mit dem Kontrast Biermann und den anderen operiert, das ist schon sehr faszinierend. Ich glaube nicht, dass es etwas Ähnliches gibt.
Pokatzky: Er hat ja sehr unterschiedlich über Menschen geurteilt, also, dieses sehr negative Urteil über Günter Grass habe ich ja schon zitiert. Ganz anders hat er etwa über Uwe Johnson geschrieben. "Ein Puritaner", "alles andere als kleinkariert", "ein Nordmann, der nichts auf die leichte Schulter nimmt", "hart und herzlich". Wie hat Max Frisch Menschen beobachtet, und wie hat er, auf welcher Basis Menschen beurteilt?
von Matt: Also, in diesem Werk, das ja weniger strikt geformt ist als die früheren Tagebücher, ist es auffällig, dass er bei den Porträts meistens dreimal ansetzt. Also die gleiche Person kommt oft zwei-, drei-, vier- oder fünfmal vor. Auch bei Günter Grass. Wenn wir nur dieses eine sehr scharfe Porträt nehmen, ist das nicht die ganze Arbeit an Grass, die Frisch in diesem Buch vornimmt. Es hat ganz andere Stellen, wo er völlig anders erscheint, viel menschlicher, viel näher, viel herzlicher auch, freundlicher, kameradschaftlich – also, man muss dann diese Einzelporträts wieder übereinander blenden. Und das ist schon wichtig, da sieht man auch etwas von der Gerechtigkeit, um die Frisch bemüht ist.
Am großartigsten ist das bei Uwe Johnson, den er ja einerseits verehrt und in einer verblüffenden Weise respektiert. Er ist ja viel jünger. Er respektiert ihn, er akzeptiert ihn sogar als Autorität in Sachen Literatur. Aber dann gibt es daneben wieder Porträts, die wirklich beben vor Ironie. Wo er diese moralische Selbstinszenierung Johnsons höchst ironisch darstellt und fast karikiert. Aber nie, ohne dann am Schluss doch wieder eine Verbeugung zu machen und zu sagen, aber daneben ist das andere. Man hat hier eigentlich eine Porträtkunst vor sich, bei der es nie auf ein definitives Resultat hinausläuft, sondern bei der selbst das verhältnismäßig scharfe und pointierte Porträt immer noch eine Offenheit hat und den Betreffenden Möglichkeiten belässt.
Pokatzky: Und nachlesen können wir das alles in dem Band "Aus dem Berliner Journal" von Max Frisch, herausgegeben von Thomas Strässle unter Mitarbeit von Margit Unser im Suhrkamp-Verlag, mit 236 Seiten zu 20 Euro. Ich sage ganz herzlichen Dank an Peter von Matt in Zürich. Danke und uf Wiederluege.
von Matt: Uf Wiederluege.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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