Tachomanipulation bei Autos

Aufmöbeln ohne Schraubendrehen

Der Tachometer eines Autos zeigt eine sehr hohe Fahrgeschwindigkeit an
Der Tachometer eines Autos zeigt eine sehr hohe Fahrgeschwindigkeit an © imago/chromorange
Von Po Keung Cheung  · 31.03.2016
Es klingt nach einem Schnäppchen: Gut erhaltener Gebrauchtwagen mit 40.000 km auf dem Tacho. Doch was, wenn die Kilometerangabe gefälscht ist? Tachomanipulationen sind mittlerweile kommen immer häufiger vor – und sind meistens illegal.
Wolfgang Wendt liegt im Fahrer-Fußraum einer Mercedes A-Klasse. Der Chef einer Berliner Autowerkstatt klappt unter dem Armaturenbrett einen Deckel auf, hinter der sich eine Steckverbindung verbirgt.
Wendt: "Da wird hier an der 16-poligen OBD-Steckdose der Stecker reingesteckt und dann über das Diagnosegerät alles auslesen hier."

"Keine lange Fehlersuche, kein Raten"

OBD, das Kürzel für die so genannte "On-Board-Diagnose". Gesetzlich vorgeschrieben und eine wichtige Schnittstelle für Werkstätten. Sie soll auch die Fehlersuche vereinfachen, schließlich sind moderne Autos bis unters Dach mit Elektronik vollgestopft.

"Das bringt uns als Werkstatt natürlich den Riesenvorteil, dass der Kunde weniger Geld bezahlt, weil wir die Fehlersuche viel konzentrierter bezüglich des Fahrzeugs finden und eben und nicht jetzt wirklich raten müssen, sondern ziemlich explizit gesagt bekommen: Also hier ist, sagen wir mal, der Leerlaufsteller kaputt oder hier eine Zündspule defekt und da hat der Monteur natürlich große Vorteile."
Die OBD-Schnittstelle ist aber keine Einbahnstraße. Daten können gelesen und auch gesendet werden. Etwa einen neuen Kilometerstand?
"Mit (lacht) den entsprechenden Geräten selbstverständlich. Klar, man muss im Internet gucken, das ist ja ganz schnell, wo sie ein solches Gerät herkriegen."
Dieses gibt es bereits für knapp 300 Euro und sieht aus wie ein zu groß geratener Taschenrechner. Wer nicht selbst Hand anlegen möchte, findet im Internet auch so genannte "Tacho-Doktoren". Sie kommen vorbei, schließen ihre Geräte ans Auto an, drücken ein paar Knöpfe, schon ist der Wunschwert eingestellt. Kassiert wird bar.
Dabei sind Tacho-Veränderungen nur in bestimmten Fällen erlaubt. Etwa wenn eine kaputte Anzeige durch ein anderes Instrument ersetzt wurde. Dieses wird dann – ganz legal - mit der ursprünglichen Kilometerzahl programmiert. Dubios wird es aber, wenn die Anpassung zur digitalen Verjüngungskur wird.
Björn Hinrichs von "Arvato Financial Solutions" nennt ein Beispiel. Seine Firma betreibt die Schadensdatenbank HIS der Autoversicherer. Es geht um einen Audi RS6, Tachostand 375.000 Kilometer, Wert: Rund 5.700 Euro – noch.

ADAC: Jährlich 6 Milliarden Schaden durch Tachomanipulationen

Hinrichs: "Dieses Fahrzeug wurde dann erworben und baute drei Wochen später einen Unfall. Und bei der Versicherungsgesellschaft kam dann ein Tachometerstand von nur 106.000 Kilometern an und wurde dementsprechend reguliert und wie relativ offensichtlich klar war, betrug der Wert dann bereits 16.700 Euro, das heißt, allein durch die Tachomanipulation ist ein Wert von mehr als 10.000 Euro geschaffen worden, den die Versicherung dann leider auch zu viel entschädigt hat."
Sechs Milliarden Euro, so hoch schätzt der ADAC den jährlichen Schaden durch Tachomanipulationen in Deutschland, ein großer Teil durch Banden verursacht. Jeder dritte Gebrauchtwagen ist laut Polizei betroffen. Opfer sind nicht nur Versicherungen, sondern auch private Autokäufer. Die "Arvato Financial Solutions" will künftig Betrügern das Handwerk legen. Björn Hinrichs:
"Der Ansatz ist, eine Datenbank aufzubauen, die es dem Halter eines Fahrzeuges ermöglicht, anzufragen und dann dort bestätigt zu bekommen, wie viele Kilometer der Wagen an verschiedenen Zeitpunkten hatte, sodass dann der Verkäufer dem Käufer ein Zertifikat mit aushändigen kann, auf dem dann der aktuelle Kilometerstand als plausibel bestätigt wird."
Reparaturen, Hauptuntersuchungen, Versicherungsschäden: Hier wird der Kilometerstand eines Autos regelmäßig dokumentiert. Das soll künftig auch die Quelle für die Datenbank sein. Björn Hinrichs hofft auf einen ähnlichen Erfolg wie in Belgien. Dort sei die Zahl der festgestellten Manipulationen nach Einführung einer Datenbank von jährlich mehr als 60.000 Fällen auf weniger als 800 gesunken. In Deutschland soll der Start 2017 erfolgen – sobald die Datenschutzfragen geklärt sind.
Angesichts scheinbar leichter Manipulationsmöglichkeiten stellt sich die Frage, warum die Hersteller nicht mehr tun, um ihre Fahrzeuge stärker zu schützen.

"Das Manipulationsgewerbe lernt die Hürden zu überwinden"

Der Sprecher des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie VDA, Eckehart Rotter versichert: Man baue immer die modernsten Systeme ein. Und spricht von einem technischen Wettlauf.
"Auf der anderen Seite sind natürlich auch die neuen Fahrzeuge dann im Markt verfügbar und das Manipulationsgewerbe, um es mal euphemistisch auszudrücken, kann und lernt natürlich auch, die Hürden zu überwinden. Das heißt, es wird kaum einen Zustand geben, bei dem man sagen kann: So, diese Aufgabe ist für die nächsten zehn Jahre gelöst."
Eckehart Rotter sieht ein großes Problem darin, dass Geräte frei verkäuflich sind, mit denen Tachos manipuliert werden können. Dass autorisierte Werkstätten solche Technik brauchen, sei nachvollziehbar, aber nicht beim Privatmann, so der VDA-Sprecher.
In der Berliner Auto-Werkstatt von Wolfgang Wendt steht ein Mercedes, bei dem die Bremsen erneuert werden müssen.
Nicht immer sind Sicherheitsmängel so offensichtlich wie hier. Abgefahrene Beläge erkennt man mit dem Auge. Dass der Zahnriemen im Motor längst überfällig, die maximale Kilometerleistung überschritten ist, dagegen nicht. Eine weitere Gefahr durch Tachomanipulationen. Fingierte Kilometerdaten, für Wolfgang Wendt längst Alltag.

"Ja, wir haben öfter schon einmal so Fahrzeuge, wo wir feststellen: Der war mal vor einem Jahr bei uns, hatte dort, sagen wir mal, 210.000 Kilometer und jetzt ist ein neuer Besitzer und dann haben wir auf einmal, oh man wundert sich, 110.000 Kilometer runter."

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