Szenen voller Roheit und Poesie

17.09.2007
Im Jahr 1971 wird der portugiesische Arzt António Lobo Antunes in den Krieg nach Angola geschickt. Fast täglich schreibt der junge Mann seiner Frau. Der Briefwechsel ist in "Leben, auf Papier beschrieben" dokumentiert und stellt als eine Mischung aus Lovestory, Kriegsberichterstattung und Reisebericht ein faszinierendes Zeitzeugnis dar.
Was hat der Dichter im Krieg getan? Er hat getötet, vermutlich. Ab Januar 1971 ist António Lobo Antunes in Angola gewesen, ein Arzt und Offizier aus aristokratischem Haus, gut aussehend, jung und hochbegabt, in einem Feldzug der Kolonialmacht Portugal gegen die schwarzen Rebellen. Knapp dreißig Jahre später sagt der Psychiater Lobo Antunes im Interview: "Ich frage mich, wieso ich keine Schuldgefühle habe, wo ich doch an grauenhaften Dingen teilgenommen habe." Und er ergänzt: "Nun, ich möchte nicht über den Krieg sprechen; ich rede nie vom Krieg, weil er zu entsetzlich war..."

Er spricht nicht davon, doch er schreibt darüber, immer wieder, meist verschlüsselt, in Andeutungen seiner Protagonisten. Gedankenblitze, Erinnerungsschübe, jähe Rückschau auf Szenen voller Roheit und Poesie – das ist Afrika im Werk von Lobo Antunes. Nun kommt man etwas näher heran, an den Mann und seine Zeit im Krieg. Wir hören seine Stimme aus einem dicken Stapel Briefe, lesen seine Gedanken, pur, noch nicht codiert durch den Romancier.

Rückblende: Im Sommer 1966 lernte Antunes am Strand eine auffallend hübsche Frau kennen, Maria José. 1970 (ein Jahr, nachdem er das Medizinstudium beendet und den Militärdienst angetreten hatte) heirateten die beiden. Kurz darauf war Maria José schwanger. Und nur fünf Monate nach der Hochzeit, Anfang 1971, musste António Lobo Antunes nach Angola. Mehr als zwei Jahre lang war der junge Mann im Krieg. Fast täglich schrieb er seiner Frau (abgesehen von den Phasen, in denen er daheim oder in Afrika mit der Familie zusammen war). Antunes’ Töchter (Maria José, wie die Mutter, und Joana Lobo Antunes) haben die Korrespondenz des Vaters nach dem Tod der Mutter nun herausgegeben. Sie erfüllten damit, so schreiben sie im Vorwort, einen mütterlichen Wunsch.

Das erste Schreiben datiert vom 7. Januar 1971, das letzte vom 30. Januar 1973. Wir lesen die Dokumente unzensiert, in vollständigen Transkriptionen; ergänzt um Faksimiles und Fotos (Antunes in Uniform vor Strohhütten, im Dschungel, Antunes mit schwarzen Kämpfern, schwarzen Kindern; Maria José mit Baby) wird das Werk zu einem faszinierenden Zeitzeugnis. Die Sammlung ist Tagebuch und Lovestory, Kriegsreport und Reisebericht. Wir finden Familienklatsch, Geständnisse, Notrufe (manchmal sind es Schreie der Verzweiflung), auch einen regen Austausch über Bücher. Maria José schickte Belletristik, Neuerscheinungen. Für ihren Mann, einsam in der Ferne, öffnete sich mit einigen Titeln ein unbekanntes Universum – die Literatur Lateinamerikas. Antunes, kürzlich in einem Gespräch: "Damals habe ich angefangen, Cortázar, Lezama Lima, Cabrera Infante, Sábato, Vargas Llosa, García Márquez, Bioy Casares zu lesen, den ich lieber mag als Borges. Denn die Zensur war dumm: Die Briefe lasen sie, aber die Bücher ließen sie durch."

Die Lovestory in vorliegendem Briefband: António vermisst seine Maria José ("meine geliebte Gazelle, mein liebster Diamant, meine Perle und mein Stern") und ihre ordnende Hand. In seinen "Beuteltiertaschen" herrsche Unordnung, klagt der Offizier. "Ansonsten fehlst Du mir bei allem, ein ständiges, entsetzliches Fehlen, das den Alltag als Leere im Magen, als Vakuum im Raum herausstreicht, ein ehrliches Schwindelgefühl mitten im Kopf: ich liebe Dich. Die Sehnsucht ist unendlich, die Einsamkeit riesig. Millionen Küsse..."

Der Autor als Kriegsberichterstatter: "Was für eine grauenhafte Stadt", schreibt Antunes an einem unerträglich heißen Sonntag des Jahres 71 aus Luanda. "Ein paar verletzte Schwarze schleppen sich herum, ohne zu betteln, andere bieten Holzaschenbecher an, Zeitungen, Lumpen und Elend. Die Neger schauen uns mit der Neugier von Verschwörern an." An anderer Stelle notiert er: "Das ist das Ende der Welt: Sümpfe und Sand. Das schlimmste Kampfgebiet in Angola: Überall Minen." Wenn es jemanden erwischt, muß der Arzt los, im gepanzerten Wagen stundenlang durch den verminten Busch. Sieben Stunden habe er im Licht von Taschenlampen den Beinstumpf eines Soldaten operiert, vermerkt Antunes einmal, "und der einzige Satz, den er sagte war, wenn mein Vater das erfährt, bringt er sich um, wenn mein Vater das erfährt, bringt er sich um. Ich werde das nie vergessen." Was hat der Dichter im Krieg noch getan? Mußte er töten? Wir erfahren es nicht. Im Jahr 2000 äußert Lobo Antunes: "Als mich ein Journalist einmal fragte, wie viele Menschen ich umgebracht habe, konnte ich ihm keine Antwort geben, weil viele Menschen in dieselbe Richtung geschossen hatten..."

Ansichten eines Literaten: In einem Schreiben vom Januar 1973 erzählt Antunes seiner Maria José von einer noch unfertigen Prosaarbeit, sie werde "ein aufsehenerregendes Feuerwerk, ein Fest aus Worten, Sätzen, Bildern". Und manchmal, etwa am 12.3.72, wird ein Brief selbst zu Literatur. "Viele Menschen sah ich sterben... / Sah welche die langsam Stein für Stein zerfielen trotz des Tuches / das ihr Kinn festdrückte. Sah marmorne Infantinnenlippen / von ihren Gräbern her lächeln. Sah den Regen auf Tränen und Gesten fallen / sah die dunkle Mauer der Nacht die sich um ihre Körper erhob." Kommentar des Autors, an die abwesende Geliebte: "Was hältst Du davon? Ausschweifend süß, nicht wahr?" Die Antwort von Maria José – schade – ist nicht überliefert.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

António Lobo Antunes: Leben, auf Papier beschrieben. Briefe aus dem Krieg
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnenmann
Luchterhand Literaturverlag, München 2007
528 Seiten, 24,95 Euro