"Systemwettbewerb" der Ratingagenturen befördern

Markus Krall im Gespräch mit André Hatting · 20.07.2011
Die geplante europäische Ratingagentur soll nach den Worten des Unternehmensberaters Markus Krall nach einem Stiftungsmodell aufgebaut werden. Dies ermögliche, dass die zukünftige Agentur im Gegensatz zur Konkurrenz nicht gewinnorientiert arbeiten müsse. Zugleich biete dies ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Transparenz.
André Hatting: Stellen Sie sich einen Richter vor, der für fast alle Verfahren der Welt zuständig ist, dessen Urteile nie angezweifelt werden, obwohl er sie gar nicht begründet, und Justizirrtümer hätten für ihn keinerlei Folgen, und bezahlt würde er übrigens von den Angeklagten. Das klingt absurd? Genau das aber machen Ratingagenturen, bezahlt von dem, den sie bewerten sollen und über alle Zweifel erhaben, trotz krassester Fehlurteile. Bislang zumindest. Das Oligopol der drei US-Firmen, Moody's, Fitch und Standard & Poors, soll jetzt gebrochen werden durch ein europäisches Pendant. Das plant die EU-Kommission. Aufbauen soll die europäische Ratingagentur die Unternehmensberatung Roland Berger. Der dortige Seniorpartner Markus Krall hat dafür den Hut auf. Guten Morgen, Herr Krall!

Markus Krall: Guten Morgen!

Hatting: Wenn uns die amerikanischen Ratings nicht gefallen, dann schaffen wir uns europäische – löst man so die Finanzkrise?

Krall: Ganz sicher nicht. Die Finanzkrise hat tiefere Wurzeln als die Ratings, und insofern ist es teilweise nicht ganz gerechtfertigt, die Ratingagenturen für die Ratings der Länder verantwortlich zu machen. Es ist allerdings durchaus auch so, dass die Verhaltensweisen der Ratingagenturen ihren Beitrag geleistet haben zum Entstehen der Krise und auch zum Entfalten der Länderkrise, weil viele Probleme der einzelnen Länder von den Ratingagenturen sehr spät erkannt worden sind oder gar nicht erkannt worden sind, und man jetzt andererseits über das Ziel hinausschießt. Und insofern ist es nicht ganz nur so, dass die Botschaft und der Botschafter quasi identisch gesetzt werden.

Hatting: Was würde eine europäische Ratingagentur besser machen?

Krall: Eine europäische Ratingagentur würde vor allem an den Punkten ansetzen, die institutionell zu den Problemen geführt haben, also mehr Wettbewerb schaffen, mehr Transparenz schaffen und vor allen Dingen das emittentenbasierte Bezahlsystem abschaffen und durch ein investorenbasiertes Bezahlsystem ersetzen, also dass in Zukunft nicht mehr sozusagen, wie Sie es ausgedrückt haben, der Angeklagte den Richter bezahlt, sondern dass derjenige bezahlt, der die Wertpapiere kauft und damit auch die Ratings für seine Entscheidungen benutzt.

Hatting: Lassen Sie mich diese beiden Punkte hervorholen, die Sie gerade angesprochen haben. Der eine Punkt betrifft den Wettbewerb: Ich dachte immer, Ratingagenturen würden nach strengen wirtschaftlichen Kriterien urteilen. Pleite ist pleite, oder?

Krall: Nun, pleite ist pleite, aber Ratingagenturen stellen ja nicht fest, wenn jemand pleite ist, das ist nicht ihre Hauptaufgabe, sondern Ratingagenturen sollen eine Aussage darüber treffen, mit einer Wahrscheinlichkeit versehen, ob ein Schuldner seine Schulden zurückzahlen kann oder nicht und ob das in der Zukunft passiert. Das ist immer eine Wahrscheinlichkeitsaussage, und die Frage der Güte der Ratings bezieht sich dann letzten Endes nicht auf die Frage, ob jemand pleite ist, sondern wie gut sie in der Lage sind, das zu prognostizieren. Das ist schon eine komplexere Angelegenheit, und da kann es auch Wettbewerb geben um die Methoden und auch um die Frage, wie man das überhaupt ermittelt.

Hatting: Aber die Daten, die die Ratingagenturen benutzen, die sind doch die gleichen. Warum sollte da was anderes bei rauskommen?

Krall: Nun, die Daten sind zum großen Teil die gleichen, sie sind nicht immer identisch. Viele der Daten, die den Ratingagenturen von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, werden auch gar nicht veröffentlicht, was ein wesentlicher Kritikpunkt ist, weil es natürlich quasi eine Blackbox in einer Blackbox schafft, und zum anderen ist auch die Methodik durchaus für Variationen offen.

Man kann beispielsweise eher analytisch da rangehen im Sinne von, man setzt jemanden dran, einen Experten, der ein Expertenurteil bildet, oder man kann eher mit quantitativ-mathematisch-statistischen Verfahren da rangehen, oder man kann diese kombinieren, und hier gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden, und auch in der Frage, wie transparent ein Rating überhaupt gemacht werden kann, gibt es Unterschiede, je nachdem, welche Wahl der Methode man hier trifft.

Hatting: Also mehr Transparenz, die Methoden sollen öffentlich gemacht werden. Einen zweiten Punkt, den haben Sie schon angesprochen, betrifft die Struktur dieser Ratingagentur: Sie soll nicht privatwirtschaftlich sein, sondern eine Stiftung, unabhängig, nicht kommerziell, sondern gemeinnützig. Was bringt das?

Krall: Das bringt zunächst mal eine Minderung des Interessenkonflikts, die auch in der Gewinnerzielungsabsicht einer Ratingagentur liegt. Die Ratingagentur ist nicht nur eine wirtschaftliche Unternehmung im jetzigen Status quo, sondern sie soll gleichzeitig ein öffentliches Gut, nämlich die Information über die Ratings beziehungsweise über die Kreditwürdigkeit der Schuldner herstellen, und damit soll sie die sogenannte Informationsasymmetrie im Markt abbauen, das heißt also den unterschiedlichen Informationsstand zwischen Schuldnern und Gläubigern.

Und dieses öffentliche Gut, was da zur Verfügung gestellt wird, verträgt sich aus unserer Sicht nur bedingt mit privatwirtschaftlich orientierten beziehungsweise gewinnorientierten Ratingagenturen, und deswegen schlagen wir als Alternative eine privatwirtschaftlich organisierte Stiftungslösung vor, die nicht gewinnorientiert ist. Das muss nicht bedeuten, dass es keine gewinnorientierten Ratingagenturen mehr geben darf in Zukunft, aber auch, dass ein Systemwettbewerb hier eintritt.

Hatting: Diese zukünftige europäische Ratingagentur ist politisch gewollt. Wie vertrauenswürdig ist das für einen Markt, wenn da etwas politisch gewollt ist? Wäre diese Ratingagentur nicht befangen?

Krall: Nun, der politische Wille ist eine Sache, der politische Einfluss eine andere. Was wir hier anstreben, ist ja, die Privatwirtschaft dazu zu bewegen und ein Konsortium zu bilden für diese Stiftung. Die Politik gibt hier quasi Schützenhilfe, zum Teil freiwillig, zum Teil unfreiwillig, durch die im Moment äußeren Bedingungen an den Finanzmärkten, aber letzten Endes wird es nicht so sein, dass der Staat oder staatliche Organisationen Einfluss nehmen können auf die Ratings. Dafür werden wir dieses Konstrukt zu unabhängig aufbauen und die ganze Governance, also die ganze Organisationsstruktur wird so eingerichtet werden, dass äußere Einflüsse weitestgehend ausgegrenzt werden.

Hatting: Wann wäre diese Ratingagentur einsatzbereit frühestens?

Krall: Nun, wir gehen davon aus, dass wir zum Jahresende das Konsortium stehen haben und auch die Finanzierung, und dass dann Anfang nächsten Jahres zunächst die Länderratings entwickelt werden, mit denen wir dann Mitte 2012 an den Markt gehen, im zweiten Halbjahr 2012 dann die Bankenratings, und in 2013 und 2014 die Unternehmensratings, strukturierten Finanzierungen und alles, was sonst noch geratet werden kann.

Hatting: Eine Möglichkeit, mit der Kritik an den Ratingagenturen umzugehen, ist eben, ein Gegengewicht zu schaffen, das ist das, was Sie im Augenblick versuchen, die zweite Möglichkeit ist, ihre Macht zu ignorieren beziehungsweise sie nicht ganz so ernst zu nehmen. Das macht EZB-Chef Trichet zum Beispiel. Er erkennt weiterhin Portugals Staatsanleihen als Sicherheiten an, obwohl Portugals Anleihen auf Ramschniveau abgestuft worden sind.

Krall: Nun, ich glaube, dass das, was die EZB hier tut, sicher richtig ist. Sie muss sich ihr eigenes Urteil bilden, und das sollten eigentlich die anderen Teilnehmer am Markt auch tun. Es ist nur leider illusorisch, anzunehmen, dass wir die Ratings so schnell durch eigene Urteile in der ganzen Breite beispielsweise der Investoren und der institutionellen Investoren ersetzen könnten, weil sehr viele kleine und mittlere institutionelle Investoren gar nicht über die Infrastruktur verfügen, um das durchführen zu können, um die Analyse durchführen zu können und sich wirklich eine eigene Meinung bilden zu können.

Und das Ausmaß, in dem Ratings quasi in die Entscheidungsfindung dieser Unternehmen verankert sind, ist sehr viel tiefer verdrahtet, als die meisten sich vorstellen können, und man kann es am ehesten vergleichen mit der Situation der Banken vor 15 Jahren, als Basel II eingeführt wurde und die Banken plötzlich gehalten wurden, interne Ratings zu entwickeln. Es hat mehr als ein Jahrzehnt gedauert und ist eigentlich immer noch nicht abgeschlossen.

Hatting: Markus Krall war das, Seniorpartner der Unternehmensberatungsgesellschaft Roland Berger. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Krall!

Krall: Sehr gerne!

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