Syrische Flüchtlinge in Ägypten

Gestrandet in Alexandria

Flüchtlinge aus Syrien in einem Aufnahmelager
Flüchtlinge aus Syrien in einem Aufnahmelager © imago stock&people
Von Elisabeth Nehmann · 27.05.2015
Etwa 140.000 Syrer leben derzeit in Ägypten - über die Hälfte von ihnen in Alexandria. Doch für die meisten ist die Stadt nur eine Zwischenstation. Denn sie sind nicht willkommen, das Leben dort ist für die meisten unerträglich.
Wenn Abu Bara bei Mohammed El Kashef im Büro vorbeikommt, sucht er meistens Rat. Er ist Flüchtling und kommt aus Syrien. Im Moment hat Abu Bara ein Problem mit einer kirchlichen Hilfsorganisation in Alexandria:
Abu Bara: "Die stellen so komische Fragen. Wie viel Hühnchen ich in der Woche esse oder ob ich ein normales Handy habe oder ein Smartphone. Und sie kürzen mir immer das Geld. Sie sagen, ich solle arbeiten. Aber wenn ich frage, was ich machen kann, heißt es, es gibt keine Arbeit für mich."
El Kashef: "Aber zahlen sie nicht jedem Flüchtling jeden Monat eine feste Summe aus?"
Abu Bara: "Nein, das hat noch nie funktioniert in den zweieinhalb Jahren."
Zweieinhalb Jahre. So lange lebt Abu Bara schon in Alexandria. Er ist hier quasi gestrandet, wie etwa 85.000 seiner Landsleute, schätzt Mohammed El Kashef. Er arbeitet für die "Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte", eine Nichtregierungsorganisation, die Flüchtlingen im Alltag hilft. Die meisten von ihnen, so sagt El Kashef, wollen einfach nur weg.
Mohammad El Kashef, Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte EIPR: "Am Anfang des Krieges haben wir die Syrer als Araber willkommen geheißen. Aber seit dem politischen Umsturz in Ägypten im Jahr 2013 haben die Syrer große Probleme. Nicht nur mit den Behörden und der Regierung, sondern auch mit normalen Menschen auf der Straße."
Mediale Kampagne gegen die Syrer
Die ägyptischen Medien haben nach dem Sturz des Muslimbruders Mohammad Mursi eine Kampagne gegen die Syrer gestartet, ihnen vorgeworfen, auch sie seien Islamisten. Seitdem kommt es immer wieder zu Angriffen gegen sie.
"Die meisten sehen einfach keinen anderen Weg als das Mittelmeer."
Auch Abu Bara sieht das im Moment als einzige Möglichkeit, um zu seiner Familie nach Deutschland zu kommen. Er nimmt uns mit in den Hafen von Alexandria. Er will uns zeigen, wie die Reise nach Europa normalerweise abläuft. Mit einem kleinen Motorboot bringen die Schlepper die Flüchtlinge aufs Meer. Sobald sie internationale Gewässer erreicht haben, steigen sie um auf ein hochseetaugliches Boot. Abu Bara hat es schon elf Mal versucht. Elf Mal ist er gescheitert.
Abu Bara, syrischer Flüchtling: "Einmal waren wir sieben Tage auf See. 260 Menschen waren an Bord. Am Tag war es heiß, in der Nacht haben wir gefroren. Dann haben sich die Schlepper gestritten und wir sind umgekehrt. Sie haben uns der Polizei übergeben."
Abu Bara hat den Schleppern lange Zeit geholfen. Für zehn Flüchtlinge, die er ihnen gebracht hat, bekam er einen Platz auf dem Boot umsonst. So haben es seine Frau und die fünf Kinder mittlerweile bis nach Stuttgart geschafft. Seine Kinder sind der Grund, warum er all das auf sich nimmt.
"Das ist doch kein Leben hier. Es gibt keine Arbeit. Wir bekommen keine Hilfe. Wir können eigentlich nur essen und trinken. Die Wohnungen sind zu teuer. Und es gibt quasi keine Schulen."
"Das Meer ist barmherziger als Bashar al-Assad"
Das staatliche Bildungssystem in Ägypten ist schlecht. Privatschulen kann sich kein Flüchtling leisten, erzählt Abu Nabil. Der Familienvater hat neun Töchter und sechs Söhne. Jedes Familienmitglied bekommt 18 Euro im Monat vom UN-Flüchtlingshilfswerk. Doch einen Teil seiner Kinder hat er schon nach Europa geschickt. Erst vor drei Wochen ist seine Frau mit zwei Töchtern aufgebrochen. Mit dem Boot.
Abu Nabil, syrischer Flüchtling: "Sie waren sieben Tage auf dem Wasser. Ich habe hier zu Hause gesessen voller Angst und Sorge. Aber Gott sei Dank haben sie Italien erreicht."
Doch wirklich beruhigt ist Abu Nabil nicht. Immer wenn das Handy klingelt, zuckt er zusammen. Er hat Angst, dass den Frauen auf dem Weg nach Deutschland etwas zustößt. Trotzdem sammelt er im Moment Geld bei Freunden, um auch den Rest seiner Kinder übers Mittelmeer nach Europa zu schicken.
"Die Leute fragen mich immer, warum schmeißen sich die Syrer alle ins Meer? Es ist die Ungerechtigkeit, die Ausweglosigkeit. Wenn man sagt, woher man kommt, sagen die Ägypter 'Du bist Syrer'. Sie sagen das, als wären wir eine Plage. Und es stimmt. Es ist ihr Land. In unserem Land aber herrscht Terror."
Abu Nabil hat schwere Verletzungen vom Krieg in Syrien, kann selbst nicht in ein Boot steigen. Er hofft deshalb auf die offizielle Familienzusammenführung.
Auch Abu Bara hat einen Antrag bei den deutschen Behörden gestellt. Sollte der legale Weg zu seiner Familie nicht klappen, wird er es wieder über das Meer versuchen. Zum zwölften Mal.
"Nein, Angst habe ich keine. Wir haben den Tod gesehen in Syrien. Und das Meer ist barmherziger als Bashar al-Assad."
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