Syrienkonferenz

Kulturerbe in Trümmern

Ein zerstörtes Haus in Aleppo im Jahr 2013
Ein zerstörtes Haus in Aleppo im Jahr 2013 © dpa / picture-alliance / Thomas Rassloff
Von Cornelia Wegerhoff · 21.01.2014
Der Bürgerkrieg in Syrien tötet nicht nur Menschen, sondern zerstört auch Kulturdenkmäler. In Aleppo zum Beispiel wurde die Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, zur Frontlinie zwischen den Rebellen und den Soldaten des Assad-Regimes.
Es ist eines der typischen verwackelten Handy-Videos aus dem syrischen Bürgerkrieg. Zu sehen sind bewaffnete, junge Männer in Tarnanzügen, die sich hektisch in Deckung bringen. Hinter Mauervorsprüngen und Sandsäcken, mit denen sie zwischen alten Säulengängen Stellungen gebaut haben. Die Rebellengruppe hat sich in der berühmten Umayyaden-Moschee von Aleppo verschanzt. Soldaten der syrischen Regierungsarmee nehmen sie unter Beschuss.
"Sie schießen mit Raketen auf die Moschee! Auf das Minarett von Aleppo! Film das!"
… ruft einer der Kämpfer seinem Kameraden mit dem Handy zu. Sekunden später schleudern auf der anderen Seite der Moschee plötzlich tonnenweise Trümmer in den Innenhof. Eine riesige, graue Staubwolke wirbelt hoch. Das knapp 45 Meter hohe Minarett der Umayyaden-Moschee ist eingestürzt.
Die Kämpfer verfluchen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad. Das Video geht an diesem 24. April 2013 schon kurz darauf rund um die Welt. Auch Mamoun Fansa sieht die Bilder noch am gleichen Tag bei sich zu Hause in Berlin:
"Ich habe mit dem Bürgerkrieg angefangen, fast jeden Abend im Internet die Bilder zu sehen, die von verschiedenen Leuten eingesetzt worden sind. Und an dem Tag, wo das Minarett zu Erdboden gemacht worden ist ‒ ich konnte dann nicht mehr glauben, weil für mich war das wirklich ein Symbol der Altstadt. Ich hab angefangen zu heulen."
Dr. Mamoun Fansa ist auch jetzt wieder den Tränen nahe. Der Archäologie-Professor ist in Aleppo geboren. Doch schon seit über 40 Jahren lebt er in Deutschland, war vor seiner Pensionierung Direktor des Landesmuseums in Oldenburg. Er habe seine Heimat verlassen, weil er schon damals kein Soldat werden wollte, sagt Fansa. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges dokumentiert der 67-Jährige die Zerstörungen in seiner Heimat:
"Die Umayyaden in Damaskus und auch in Aleppo zählen zu den frühesten Moscheen der islamischen Geschichte und gehen auf etwa das 8. Jahrhundert zurück. Das Minarett ist eines der ältesten im vorderen Orient. Sie geht in etwa auf das 12. Jahrhundert, auf die Ayyubiden-Zeit, also auf die Kreuzfahrer-Zeit zurück. Und sie hatte eine wunderbare Verzierung und verschiedene Schriftarten, die wirklich auch singulär ist."
Nach der Zerstörung des Minaretts behauptet die Assad-Regierung, nicht ihre Panzer, sondern die Rebellengruppe selbst hätte das Minarett gesprengt. Sie seien Terroristen der Al Kaida. Die Kriegsparteien schieben sich bei der Zerstörung wertvoller Kulturdenkmälern immer gegenseitig die Schuld in die Schuhe, meint Mamoun Fansa. Vor kurzem hat er einen Bildband über Aleppo herausgegeben, in denen Fotos aus friedlichen Tagen aktuellen Aufnahmen aus dem Bürgerkrieg gegenüber stehen. Die bittere Bilanz:
"Man kann sagen, dass in etwa 50 Prozent der Altstadt zerstört und teilweise auch so zerstört ist, dass es nicht wiederaufgebaut werden kann ohne weiteres."
Raubgräber nutzen die Situation aus
Doch nicht nur die Gefechte zerstören Syriens Kulturerbe, weiß Dr. Rainer Schreg vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz:
"Was tatsächlich sehr dramatisch ist, sind die Raubgrabungen, die dort stattfinden. Das heißt, es geht nicht nur um Kriegskollateral-Schäden, darum, dass durch den Akt der kriegerischen Zerstörung die Identität der Leute vernichtet werden soll, sondern es geht auch darum, dass die Situation ausgenutzt wird von Raubgräbern, die sich an diesen Artefakten bereichern wollen und die landen höchstwahrscheinlich im Westen auf dem Markt."
Rainer Schreg, eigentlich Experte für das europäische Mittelalter, widmet sich in seinem Wissenschaftsblog "Archaeologik" den Folgen des Bürgerkriegs. Seine Quellen sind die spärlichen Informationen, die die syrischen Kollegen im Kriegschaos noch ins Internet stellen können:
"Das ist für Syrien vor allem Facebook, was dort als wichtige Quelle sich dort herausgestellt hat. Es gibt dort mehrere Gruppen, die Informationen absetzen, oppositionelle Gruppen vielleicht eher. Aber auch die staatliche Denkmalpflege ist dort aktiv. So dass dort sehr viele unterschiedliche, zum Teil schwer zu bewertende Informationen auflaufen."
Die Unesco sei im Fall Syrien erst sehr spät aktiv geworden, kritisiert Rainer Schreg. Erst im August vergangenen Jahres gab es in Jordanien eine Krisenkonferenz. Die Weltkulturorganisation sei ein "Debattierclub", ärgert sich Mamoun Fansa. Um den Handel mit den syrischen Kulturschätzen zu verhindern, hat der internationale Museumsrat ICOM, eine Unterorganisation der Unesco, im vergangenen Herbst jedoch ähnlich wie während des Irak-Krieges eine rote Liste veröffentlicht.
Dr. Astrid Nunn, Vorderasien-Archäologin an der Uni Würzburg, war mit im Expertenteam. Seit Beginn des Krieges sei das Geschäft mit geplünderten Altertümern aus Syrien regelrecht explodiert, sagt sie:
"Originale sind immer in Umlauf. Gerade in Syrien gibt es unendlich viele kleine Objekte, die zwischen 10.000 vor Christus und 1500 nach Christus stammen, also eine sehr große kulturelle Bandbreite. Und darin gibt es Gruppen, die besonders begehrt sind, zum Beispiel Tontafeln mit Keilschriften oder aus Palmyra zum Beispiel diese Büsten, die ja noch in situ sind und abgeschlagen und verkauft werden. Dafür gibt es immer Käufer."
Wo Syriens Kulturerbe also nicht in die Schusslinie gerät, wird es stattdessen stückweise verscherbelt. Und in dem Fall schaut der Westen nicht nur tatenlos zu, sondern gehört durch den illegalen Kunsthandel zu den Tätern.

Buchtipp:
Mamoun Fansa (Hrsg.): Aleppo – Ein Krieg zerstört Weltkulturerbe
Nünnerich-Asmus Verlag, Mainz 2013
128 Seiten, 29,90 Euro

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