Syrien-Vereinbarung

"Letzter Strohhalm"

Menschen warten in der belagerten syrischen Stadt Madaja auf die Hilfskonvois mit Nahrungsmitteln und Medikamenten.
Menschen warten in der belagerten Stadt Madaja auf Hilfskonvois mit Nahrungsmitteln und Medikamenten © AFP - Marwan Ibrahim
Elias Perabo im Gespräch mit Ute Welty · 13.02.2016
An der in München verabredeten Waffenruhe in Syrien binnen einer Woche gibt es große Zweifel. Elias Perabo, Initiator der Organisation "Adopt a Revolution", sieht die Vereinbarung zwiespältig. Nur eine sofortige humanitäre Hilfe für die Menschen in belagerten Städten könne den Grundstock für eine Feuerpause legen.
Elias Perabo, Initiator der Organisation "Adopt a Revolution", hat die Vereinbarung der Syrien-Kontaktgruppe begrüßt, die humanitäre Hilfe und eine Feuerpause innerhalb von einer Woche vorsieht.
"Es ist hoffungsvoll, insofern immerhin ein Schritt nach vorne getan wurde", sagte Organisations-Sprecher Elias Perabo im Deutschlandradio Kultur über das Münchner Abkommen der Syrien-Kontaktgruppe. In der Vereinbarung hatten sich die USA, Russland und wichtiger Regionalmächte auf eine Waffenruhe in Syrien binnen einer Woche, humanitäre Hilfe und sowie die baldige Wiederaufnahme der Friedensgespräche verständigt.
Humanitäre Hilfe für die Menschen in den belagerten Städten
Die Forderung humanitärer Hilfe für die Menschen in den belagerten Städten bestehe bereits seit den Friedensverhandlungen von 2014 und sei erneut von den syrischen oppositionellen Kräften als Vorbedingung für Friedensgespräche vor zwei Wochen genannt worden. Angesichts des seitdem erfolgten massiven Bombardements von Aleppo, hunderten von Toten und weiteren 30.000 bis 50.000 Flüchtlingen bestehe das Dilemma der Syrienpolitik der internationalen Gemeinschaft aber darin "dass man zwei Schritte zurückgeht und einen nach vorne." Sollte es jetzt gelingen, humanitäre Hilfe zu den Menschen zu bringen, könne dies zumindest der Grundstock für Gespräche über Feuerpausen werden, so der Sprecher der Initiative Adopt a Revolution, die seit Anfang 2012 zivilgesellschaftliches Engagement in Syrien unterstützt und Alternativen zur Gewaltherrschaft in Syrien sucht.
Letzter Strohhalm und Kennzeichen einer gescheiterten internationalen Syrienpolitik
"Ich glaube, München ist der letzte Strohhalm, den die internationale Gemeinschaft gerade noch sozusagen ergriffen hat. Und der auch leider ein Kennzeichen ist für eine unglaublich gescheiterte internationale Syrienpolitik" , sagte der Politikwissenschaftler und Mitbegründer der Organisation Adopt a Revolution, eine Initiative, die in Deutschland Informationen aus der syrischen Demokratiebewegung vermittelt und zivile Initiativen in Syrien mit bisher mit fast 900.000 Euro finanziell unterstützt hat.

Ute Welty: Wie sagte der amerikanische Außenminister in München? "Den Worten auf Papier müssen jetzt Taten auf dem Feld folgen."
John Kerry: What we have here are words on paper. What we need to see in the next few days are actions on the ground, in the field.
Welty: Die sogenannte Syrien-Kontaktgruppe hatte sich in einer langen Nacht vor Beginn der eigentlichen Sicherheitskonferenz auf sofortige humanitäre Hilfe und baldige Waffenruhe geeinigt. Da mutet es fast schon zynisch an, dass es noch am selben Tag wieder zu schweren Kämpfen kommt mit mindestens 16 Toten. Jets der russischen Luftwaffe hätten Orte nördlich der Stadt Homs bombardiert, erklärte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Informationen aber auch nicht immer überprüfbar sind. Elias Perabo beobachtet die Verhandlungen in München mit besonderer Aufmerksamkeit. Der Aktivist von "Adopt a Revolution" unterstützt den Kampf gegen den syrischen Machthaber Assad. Herzlich willkommen in "Studio 9", guten Morgen, Herr Perabo!
Elias Perabo: Guten Morgen!
Welty: Wie viel Hoffnung verbinden Sie mit dem, was in München besprochen und dann womöglich in Genf weiter verhandelt wird?
Perabo: Ich glaube, München ist sozusagen der letzte Strohhalm fast, den die internationale Gemeinschaft gerade noch sozusagen ergriffen hat, und der aber leider auch ein Kennzeichen ist für eine unglaublich gescheiterte internationale Syrien-Politik. Wir müssen uns einfach mal vorstellen: Vor genau zwei Wochen ist man in Genf zusammengekommen zu den UN-Friedensverhandlungen. Nach einem ganz langen Zögern der syrischen Opposition hat sie sich bereiterklärt, an diesen Verhandlungen teilzunehmen mit der Forderung, der ganz primären Forderung sozusagen, es muss endlich Zugang zu den belagerten Städten geben, es muss humanitäre Hilfe geben, damit Hunger als Waffe sozusagen ein Ende in Syrien findet. Und jetzt sind wir zwei Wochen später, und genau diese Forderung wird bearbeitet. Das ist erst mal sehr positiv, aber, und das ist auch die Realität, wir sind zwei Wochen später, es gibt ein massives Bombardement auf Aleppo, es gab Hunderte Tote in diesen zwei Wochen. Wir haben 30.000 bis 50.000 neue Flüchtlinge, die an der Grenze zur Türkei sind. Wir stehen kurz davor, dass Saudi-Arabien in diesen Krieg interveniert. Und ich glaube, das ist sozusagen das syrische Dilemma momentan, dass die internationale Politik, so positiv das ist, was in München rausgekommen ist, doch eigentlich davon gekennzeichnet ist, dass man eigentlich zwei Schritte zurückgeht und einen Schritt nach vorn.
Welty: Wollte ich gerade sagen. Das, was Sie sagen, klingt ja eher hoffnungslos denn hoffnungsvoll.
Perabo: Es ist hoffnungsvoll insofern, indem immerhin ein Schritt nach vorn getan wird hier. Ich glaube, es ist nicht zu verkennen, dass, wenn man es wirklich schafft, nun humanitäre Hilfe an diese Gebiete zu bringen, dass das überhaupt nur Grundstock dafür sein kann, über Feuerpausen oder ähnliche Maßnahmen zu reden. Vielleicht noch mal, einfach, um das zu verdeutlichen: Forderungen, die seit Langem im Raum stehen, seit den UN-Friedensverhandlungen schon im Jahr 2014 wird gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass in Syrien nicht Hunger als Waffe eingesetzt wird. Das wird hauptsächlich vom Regime eingesetzt, nicht nur, es gibt auch einige Dörfer, die von islamistischen Rebellengruppen belagert werden, aber dass man sozusagen eine künstliche Hungersnotsituation schafft, wie etwa in Madaya oder im südlichen Damaskus, das ist etwas, wo gesagt werden muss, das muss sofort ein Ende finden, dass hier Hunger als Waffe eingesetzt wird. Die internationale Gemeinschaft hat es nicht geschafft, diesem Punkt sich anzunähern, hat es immer wieder verschleppt. Wir haben vier von fünf UN-Vetomächten, die in Syrien bombardieren, aber Brot konnte man zu diesen Regionen nicht bringen. Das war nicht vermittelbar, und das ist sozusagen etwas, wo es eine Chance jetzt gibt, das vielleicht zu ändern.
Welty: Wir sprechen von Hunger, wir sprechen von Bomben, aber wir müssen auch sprechen über die Terroristen von IS und Al-Nusra, die sich ja kaum an irgendwelche Vereinbarungen halten werden. Was ist denn dann eine Aussicht auf Waffenruhe überhaupt wert?
Perabo: Ich glaube, das muss man noch mal sehr getrennt sehen. Der IS und Al-Nusra sind nicht Teil der syrischen Opposition. Sie sind auch nicht Teil dieser Verhandlungsdelegation...
Welty: Aber sie sind ein Player in diesem ganzen Konflikt.
Perabo: Sie sind ein Player, so wie auch sehr viele andere Player natürlich in diesem Gebiet unterwegs sind. Das sind die schiitischen Milizen aus dem Irak, es ist die Hisbollah unterwegs, es sind inzwischen sozusagen globale Dschihadisten, die sich in Syrien bewegen, die noch einmal auf ihr eigenes Ticket dort kämpfen. Natürlich sind sie ein Player. Ich glaube, das ist aber gar nicht so – das ist für unser Sicherheitsinteresse natürlich der primäre Player, und das ist auch etwas, was im syrischen Sicherheitsinteresse ein ganz primärer Player ist. Ich glaube, da sind sich das syrische Regime und die syrischen Oppositionsgruppen, die es noch gibt, gar nicht so weit auseinander, insbesondere beim Kampf gegen den IS.
Welty: Was raten Sie denn jetzt an dieser Stelle, auch in dieser verfahrenen Situation? Mehr Militär führt immer mehr zu Gewalt und noch mehr Leid. Die syrische Opposition ist wenig einheitlich, um das mal vorsichtig auszudrücken, und Assad und Putin sind keine verlässlichen Partner. Wer oder was kann da den gordischen Knoten durchschlagen?
Perabo: Ich glaube in der Tat, hier ist zu allererst die internationale Gemeinschaft selbst gefragt. Ich glaube, so hart das klingen mag, es muss nun irgendein Zeichen kommen. Das Zeichen, das kommen muss, ist endlich diese humanitären Güter reinzubringen. Das mag vor den ganzen Bomben etwas irrelevant erscheinen, aber das ist ganz zentral und wichtig, dass dieser kleine Schritt zumindest nun stattfindet. Und ich habe soeben ja schon angedeutet: Wir stehen momentan vor einer massiven Eskalation dieses Konfliktes. Wenn man sich anguckt, was Saudi-Arabien angekündigt hat, auch die Türkei in ihren rhetorischen Formulierungen immer wieder wiederholt, dass sie stärker in diesem Konflikt intervenieren werden, dann braucht es nun irgendetwas, damit wir wieder zurückkommen zur Richtung Verhandlungen. Das heißt, was wir erwarten auch von der internationalen Gemeinschaft: Ihre Schutzverantwortung ernst zu nehmen und notfalls auch militärisch diese Hilfsgüter nach Syrien, in diese Städte, etwa durch Lufttransporte reinzubringen.
Welty: Elias Perabo von "Adopt a Revolution" unterstützt den Kampf gegen den syrischen Machthaber Assad, und er beobachtet sehr aufmerksam, was auf der Sicherheitskonferenz in München dazu besprochen wird. Vielen Dank für das Interview hier in "Studio 9"!
Perabo: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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