Syrien und Iran wollen Westen "in den Krieg locken"

07.05.2013
Syrien und der Iran versuchen, westliche Mächte in den Syrien-Konflikt hineinzuziehen, warnt der Direktor des Aspen-Instituts in Deutschland, Charles King Mallory. Beide Mächte legten immer wieder Köder, um die USA und Israel zu provozieren.
Korbinian Frenzel: Man kann die Geschichte, die sich in Syrien in den letzten Tagen abgespielt hat, so erzählen: Endlich, endlich nach all diesem Blutvergießen greift eine Macht von außen ein, fliegt Angriffe auf Ziele des Assad-Regimes und hilft so den Rebellen. Man kann, und wahrscheinlich sollte man das auch eher tun, die Geschichte so erzählen: Das Land, das die Bomber in die Luft über Syrien geschickt hat, Israel nämlich, betreibt Machtpolitik im ganz eigenen Sinne, in dem Vakuum, das sich im Nachbarland auftut. Israel zerstört Waffen, die am Ende auf Israel zielen könnten. So oder so, es ist eine brenzlige Situation, die viele Fragen aufwirft. Ich freue mich, dass Charles King Mallory zu uns ins Studio gekommen ist, er ist der Direktor des Aspen Institute in Deutschland. Guten Morgen, Herr Mallory!

Charles King Mallory IV.: Guten Morgen!

Frenzel: Ist das, was Israel da macht, ein Akt der Selbstverteidigung oder ist das eine gefährliche Grenzüberschreitung, im wahrsten Sinne des Wortes?

Mallory: Ich glaube, vor allem will Israel vermeiden, dass Iran über Syrien hochentwickelte Raketen an die Hisbollah liefert. Wir haben schon gesehen in der Vergangenheit, dass die Hisbollah starke Angriffe auf Israel ausgeführt hat. Und man muss auch sagen, es ist – es kommen immer wieder von syrischer und iranischer Seite Köder auf, um Israel und die USA in diesen Konflikt reinzulocken.

Frenzel: Also durchaus legitim, was Israel getan hat?

Mallory: Ich würde es als legitime Selbstverteidigung sehen. Das haben sie vorher gemacht. Sie haben auch klar und deutlich gesagt, dass es kein Versuch war, auf ihrer Seite, sich aufseiten der Rebellen einzumischen.

Frenzel: Nun kann es legitim sein, aber dennoch brandgefährlich. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass das vielleicht zu einem größeren Konflikt wird, zu einem neuen Nahostkonflikt vielleicht sogar?

Mallory: Das ist, glaube ich, was die syrische Seite und die iranische Seite möchten. Sie versuchen, Ereignisse zu schaffen, die ausländische Mächte dazu bewegen würden, sich in diesen Konflikt einzumischen, um diesen Konflikt umzumünzen in einen Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam, anstatt im Moment einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, finanziert von Saudi-Arabien und Qatar, zu haben.

Frenzel: Und ist es nicht dann genau das, was Israel eigentlich, wahrscheinlich ungewollt, unterstützt, indem sie Syrien angreifen, machen sie daraus einen Konflikt Syrien, die arabische Welt gegen den Westen?

Mallory: Das ist die Gefahr, die da besteht. Das ist auch die Gefahr, die besteht bei der sogenannten Anwendung von chemischen Waffen. Das ist ein Versuch, ohne diese sogenannte "rote Linie" zu sehr zu überschreiten, die USA in diesen Konflikt einzulocken. Und das ist die dünne Linie, die Israel und die Vereinigten Staaten hier bestreiten müssen: sich nicht manipulieren lassen und in diesen Konflikt reingeholt zu werden.

Frenzel: Schauen wir mal auf diese "rote Linie", Sie haben sie genannt. Präsident Obama hat sie auch gezogen, aber es ist ja ein bisschen die Frage, wie ernst er das eigentlich meint, wie sehr er sich wirklich hereinziehen lassen möchte. Hat Israel den USA den Spiegel vorgehalten auch in der Hinsicht, schaut her, wenn man will, kann man?

Mallory: Ich glaube zuerst mal, dieser Begriff "rote Linie" war ein Fehler. Das war nicht in der Rede von Herrn Obama, das hat er gesagt, und das hätte er eigentlich besser nicht sagen sollen, weil man – es ist überhaupt nicht klar. Ich glaube, Israel hat einfach eine niedrigere Grenze, was sozusagen ihre Bereitschaft einzugreifen betrifft. Weil es natürlich an ihrer Vordertür ist, das, was da alles abläuft. Bestimmt werden Leute in Teheran sich mal angucken, wie dieser Angriff durchgeführt wurde und Schlüsse daraus ziehen.

Frenzel: Haben Sie den Eindruck, dass die USA noch irgendeinen direkten Einfluss darauf haben, was in der Region passiert, also gerade mit Blick auf Israel, oder werden sie eigentlich nur noch exklusiv informiert, bestenfalls?

Mallory: Ich glaube, sie wurden im vorhinein informiert, aber nicht Erlaubnis gebeten. Was sich hier abspielt, ist eigentlich ein viel größeres Dilemma, und das ist fehlendes Wachstum in den 90er-Jahren, demografischer Druck, viele junge Leute ohne Arbeit, eine politische Elite, die unfähig war, mit diesem Zustand zurechtzukommen, ein politisches Vakuum, das entstanden ist - und dann überall in der Region, eins nacheinander wie Dominos, fallen die Regime. Und da entsteht ein politisches Vakuum, und das ist im Teil, was sich in Syrien abspielt.

Frenzel: Wie können wir denn jetzt mit diesem Scherbenhaufen, mit diesem politischen Vakuum, das Sie beschreiben, umgehen. Kommt der Westen eigentlich noch umhin, in irgendeiner Form einzugreifen, sei es über Waffen für die Rebellen, sei es über ein direktes militärisches Eingreifen.

Mallory: Ich wäre da sehr, sehr vorsichtig. Es gibt zwei Kriege innerhalb Syriens. Es gibt zuerst einmal einen Sunni-finanzierten Angriff auf ein alawitisch-schiitisches Regime. Von Saudi-Arabien und Qatar mit Mitwirkung von der Türkei. Dann gibt es innerhalb der Opposition in Syrien einen Krieg zwischen Islamisten wie Dschabhat al-Nusra, das ist so eine Al Kaida-Kopie, und säkulare Kräfte. Und sich in diesen Krisenherd jetzt reinzubewegen als Westen, wäre, glaube ich, ein großer Fehler. Man kann vielleicht humanitäre Hilfe geben, man kann vielleicht Ausbildung machen, aber ich würde – es würde nur den Kriegsparteien nutzen, wenn wir uns da aktiv einmischen.

Frenzel: Aber das heißt in der Konsequenz, uns bleibt nichts anderes übrig, als weiter zuzuschauen?

Mallory: Ja, also – es wird uns ja immer vorgeworfen, dass wir als Kolonialisten uns immer in den Nahen Osten einmischen. Schöne neue Botschaft: Ihr müsst eure eigenen Probleme lösen.

Frenzel: Das kann durchaus lange dauern.

Mallory: Ja, absolut.

Frenzel: Wir werden es weiter beobachten müssen. Charles King Mallory, Direktor des Aspen Institute in Berlin, vielen Dank für dieses Gespräch und vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!

Mallory: Gern geschehen!

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