Syrien-Krieg

Die wichtige Rolle der Kurden

Syrische Kurden demonstrieren am 4.2.2016mit der Flagge der Partei der Demokratischen Union (PYD) in der Stadt Qamischli.
Syrische Kurden demonstrieren mit der Flagge der Partei der Demokratischen Union (PYD) in der Stadt Qamischli. © AFP / Delil Souleiman
Kenan Engin im Gespräch mit Nana Brink  · 16.08.2016
Der kurdischstämmige Politologe Kenan Engin betont die zentrale Rolle der Kurden im Syrien-Konflikt: Sie stellten die einzige Kriegspartei dar, die bereit sei, mit den USA, Russland und der EU zusammenzuarbeiten.
"Ich finde die Rolle der Kurden aus mehreren Gründen sehr, sehr wichtig", sagte der kurdischstämmige Politologe Kenan Engin im Deutschlandradio Kultur. Sie seien die einzige Macht, die in der syrischen Gesellschaft eine breite Legitimität genießen und nicht als Besatzer wahrgenommen würden. "Die Kurden sind die einzige Macht in Syrien, die gegen den IS einen tatsächlichen Kampf führen", sagte der Lehrbeauftragte an der Universität Mainz. Außerdem seien die Kurden dazu bereit, mit den USA, Russland und der EU zusammenzuarbeiten.
Engin sprach sich dafür aus, dass auch Deutschland mit der der Partei der Demokratischen Union (PYD) zusammenarbeiten sollte. "Ich verstehe, dass man dann dadurch natürlich nicht die Türkei ärgern möchte", räumte der Politologe allerdings ein. Er verstehe, dass Deutschland deshalb gewisse Berührungsängste mit der PYD habe, die als PKK nah eingestuft sei, aber nicht auf der Terrorliste stehe.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Auch gestern gingen ja die Bemühungen weiter, den Menschen in der eingeschlossenen syrischen Stadt Aleppo dringend notwendige Lebensmittel, Wasser und Medikamente zu bringen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte seinen russischen Kollegen Lawrow getroffen, aber leider gab es natürlich kein positives Ergebnis, die Feuerpause, die ja vor allem Russland angekündigt hat, das ja mit dem Assad-Regime verbunden ist, das Assad-Regime stützt und wohl Einfluss üben kann, das ist ja bislang nicht zustande gekommen. Die Einzigen, die am Boden gegen die IS-Kämpfer vorgehen, das sind kurdische Milizen, unterstützt von der US-geführten Allianz und vermutlich US-amerikanischen Spezialeinheiten. Ihnen kommt eine besondere Rolle zu in diesem Krieg. Der Politikwissenschaftler Kenan Engin von der Hochschule Mainz beschäftigt sich seit Langem mit dem syrischen Bürgerkrieg, einen schönen guten Morgen!
Kenan Engin: Ja, hallo, guten Morgen!
Brink: Welche Rolle spielen denn die Kurden vor allem im Norden Syriens?
Engin: Also, ich finde, die Rolle der Kurden ist aus mehreren Gründen sehr wichtig. Und zwar wenn ich zwei, drei oder vier wichtige Punkte erwähnen würde. Erst mal: Die Kurden sind die einzige Macht, die in der Gesellschaft eine gewisse oder breite Legitimität genießen. Sie sind mehr oder weniger die Söhne und Töchter der Region und die werden nicht von der Gesellschaft als Besatzer oder als Fremde gesehen, wie wir ja zum Beispiel im Irak-Krieg gesehen haben. Im Irak, die USA, natürlich militärisch gesehen diesem Land überlegen, die haben auch besiegt. Aber weil sie in der Gesellschaft keine Legitimität hatten, konnten sie nicht das Problem genau lösen, heute haben wir immer noch das Problem sozusagen, dass die Iraker im Irak ein "Nation building" kontinuierlich aufbauen.
Und der zweite Punkt … Also, die Kurden sind die einzige Macht in Syrien, die gegen den IS einen tatsächlichen Kampf führen. Also, tatsächlich muss ich dann genau unterstreichen. Bei sehr vielen Organisationen haben wir gesehen, also, bei der syrischen Armee, bei anderen Organisationen, die von den USA ausgebildet wurden sozusagen, damit konnte man nichts erreichen, weil wir heute koalierten mit den USA oder mit den westlichen Truppen oder Organisationen, und am nächsten Tag haben wir diese Kräfte beim IS gesehen oder bei Assad gesehen.
Brink: Sie haben es erwähnt, sie sind eigentlich diejenigen, die am Boden ja sozusagen vorankommen, sie waren es, die kurdischen Milizen, die die nordsyrische Stadt ja, Manbidsch auch vor ein paar Tagen befreit haben. Wenn Sie sagen, sie sind ein Stabilitätsfaktor, dann müssen wir natürlich auch darüber sprechen, wie sie organisiert sind, nämlich in der PYD zum Teil auch, also, die Milizen sind der militärische Arm, die stehen ja der PKK nahe, in der EU wird sie ja nach wie vor als Terrororganisation angesehen, vor allem auch ihr militärischer Arm, sie werden aber auch von den USA unterstützt, das habe ich ja auch erwähnt.
Engin: Richtig, ja.

Verlässliche Partner in der Region

Brink: Ist das nicht ein Problem? Wie beurteilen Sie das?
Engin: Also, das finde ich also doch ein bisschen problematisch, aber ein bisschen nicht. In dem Sinne … Also, erst mal, sie sind der eigentliche verlässliche Partner in der Region, also ich meine, in Syrien, die bereit sind, sowohl mit Russland als auch mit den westlichen Staaten, USA, auch mit den europäischen Staaten zu kooperieren. Das finde ich sehr, sehr wichtig. Und in Syrien werden Sie keine andere Macht finden, die bereit sind, mit den USA, mit den westlichen Staaten zu kooperieren. Also, so eine Macht werden Sie nicht finden außer Kurden oder kurdische Organisationen. Aber wenn ich dann von Kurden spreche, spreche ich nicht nur von PYD, sondern von den gesamten kurdischen Organisationen.
Brink: Welches Interesse hat denn die PYD, da auch an Einfluss zu gewinnen?
Engin: Also, die haben erst mal klar … Also, PYD hat dann bestimmte Ambitionen, die möchten jetzt zunächst an ihr Gebiet, wo sie gerade regieren, oder die Gebiete, die sie unter Kontrolle gebracht haben, die sind hauptsächlich im Norden von Syrien … Also, fast die gesamte türkische Grenze wird ja von PYD kontrolliert und sie wollen erst mal da eine Stabilität aufbauen. Plus natürlich auch dann ihr Volk oder die Menschen, die in dieser Region leben, in diesem Gebiet leben, gegen den IS schützen. Das sind zwei wichtige Gründe sozusagen, warum die PYD da einen bewaffneten Kampf führt sozusagen, sowohl gegen den IS als auch dann gegen andere kleine … Also, klein auch nicht, kleine Organisationen wie Ahrar al-Scham oder Jabhat al-Nusra und so weiter.
Brink: Und das ist ja genau das Problem. Also, die USA kooperieren ja mit ihnen, sie werden gestützt, das weiß man auch von US-amerikanischen Spezialeinheiten. Aber wenn wir jetzt ein bisschen weitergucken in die Türkei, dann wissen wir auch, dass die Türkei enorme Probleme natürlich hat und fürchtet, dass die Kurden zu viel Einfluss gewinnen. Gibt es da überhaupt einen Weg, wie man zu Lösungen kommen kann?
Engin: Ich glaube, da sind genügend Wege, die uns dann zu Lösungen führen. Also, erst mal, wenn wir über PYD sprechen, also Unterstufe von PYD sprechen, die wird ja von den USA unterstützt, auch von Russland koaliert sozusagen. Also, was spricht denn gerade die Weltgemeinschaft? Seit zwei, drei Jahren dominieren zwei Elemente oder zwei wichtige politische Diskussionen unsere gesamte Diskussion in der Welt: Flucht, Fluchtbewegung aus Syrien und dann IS-Gefahr, IS-Terror, nicht? Das sind zwei Punkte, worüber wir seit zwei, drei Jahren intensiv diskutieren.
Wenn Sie diese zwei Probleme, die für die Welt so viel Schrecken verbreiten, lösen wollen, dann müssen Sie mit den Kurden kooperieren. Warum? Also, die Kurden sind die einzige Macht, wie ich vorhin gesagt habe, die gegen den IS einen tatsächlichen Kampf führt. Also, ohne die Kurden können Sie den IS nicht, also militärisch zumindest nicht zerstören.

Beziehungen zwischen Deutschland und der PYD

Brink: Sind Sie dann der Meinung, also zum Beispiel im Hinblick auf Deutschland, das ja immer noch es ablehnt, Beziehungen zur PYD – also Partei der demokratischen kurdischen Union – aufzunehmen, müssen solche Beziehungen aufgenommen werden?
Engin: Also, ich finde hochproblematisch, dass … Warum nicht? Also, was steht im Wege, das will ich fragen? Okay, Fakt ist natürlich, PYD ist eine PKK-nahe Organisation, aber auch das andere muss man ja auch dann sehen, dass die PYD nicht auf der Terrorliste als Terrororganisation eingestuft ist. Punkt eins. Und Punkt zwei: Die haben auch syrische Identität bei PYD noch stärker, also, sie sind mehr oder weniger, wie ich vorhin gesagt habe, Söhne und Töchter von Syrern sozusagen, nicht irgendwelche nach irgendwelchen Ideologien aufgebaute Organisationen. Und der dritte Punkt ist: Die haben mehrmals erwähnt, dass sie bereit sind, mit dem Westen zusammen zu kooperieren, sogar mit der Türkei. Also, warum sollen wir nicht mit denen kooperieren? Also, insbesondere Deutschland. Ich verstehe, dass man dann dadurch natürlich nicht die Türkei ärgern möchte. Ich verstehe, dass Deutschland gewisse Berührungsängste hat. Und natürlich, davor wurde auch die Rolle der Kurden ein bisschen unterschätzt.
Brink: Vielen Dank! Vielen Dank, der Politikwissenschaftler Kenan Engin von der Hochschule Mainz über die Rolle der Kurden im Syrien-Konflikt. Vielen Dank, Herr Engin, für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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