Syrien

"Es wäre toll, wenn Deutschland hier eine aktive Rolle spielen würde"

16.11.2013
Der Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Ewald Böhlke, sieht die Kooperation russischer und amerikanischer Spezialisten beim Chemiewaffenabbau als "Riesenschritt" bei der Konfliktlösung. Russlands Rolle in Syrien bleibe aber ambivalent. Er fordert die zukünftige Bundesregierung auf, in Konfliktgebieten zu kooperieren.
Korbinian Frenzel: Es gibt einen Rückschlag für die Lösung der Dinge in Syrien. Albanien ist nicht bereit, die syrischen Chemiewaffen aufzunehmen und zu zerstören. Die Expertise und die räumliche Nähe, die wären da, der Wille in Tirana, der fehlt aber. Das ist die schlechte aktuelle Nachricht. Die Verhandlungen darüber, wie die syrischen Chemiewaffen nun wirklich vernichtet werden können, sie gehen aber weiter. Bei den Vereinten Nationen geht es um einen Zeitplan, aber es geht darüber hinaus natürlich weiterhin vor allem um die große Frage, wie kann der Frieden wiederhergestellt werden in dem Bürgerkriegsland, mit wem im Land, und mit wessen Hilfe von außen? Russland spielt dabei eine zentrale Rolle als einer der letzten Unterstützer von Präsident Assad. Nur, wie spielt Moskau diese Rolle? Wirklich im Sinne einer Lösung? Fragen an Ewald Böhlke, er ist Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Ewald Böhlke: Einen wunderschönen guten Morgen!
Frenzel: Ist Präsident Putin, ist die Regierung in Moskau Teil des Problems in diesem Konflikt oder Teil der Lösung?
Böhlke: Das ist ambivalent. Beides. Und zwar Teil der Lösung insofern, als dass natürlich mit dem Abbau der Chemiewaffenbestände in Syrien ein Riesenschritt getan wurde und mit diesem Abbau verbunden ja auch eine intensive Kooperation amerikanischer und russischer Spezialisten ist. Das betrifft sowohl die Spezialisten im Chemiewaffenbereich, es betrifft aber auch Spezialisten im Auswärtigen und bis hinein zu sicherheitspolitischen Spezialisten, wo natürlich die Frage ansteht, wer sichert welche Wege beim Rückzug dieser Chemiewaffen. Das ist positiv, muss man auch so sehen.
Das Zweite: Es ist natürlich durch die Verbindung zwischen Russland und Iran eine ganz verrückte Situation in Syrien entstanden. Die Opposition sagt natürlich zu Recht, der Iran ist ja auch Teil des Problems, weil er auf der Seite Assads kämpft. Russland möchte aber, dass der Iran bei der Frage, wie beenden wir den Bürgerkrieg in Syrien, natürlich eine aktive Rolle spielt. Das heißt, hier sind noch viele Aufgaben, um aus der eigentümlichen Situation einer Kriegspartei dann auch wirklich eine neutrale Position zu machen. Und Russland ist, denke ich, da auf dem Weg, um diese neutrale Position auch beim Iran zu erzeugen.
Frenzel: Das heißt also – das klingt alles, dass es in Richtung konstruktive Rolle geht. Wenn wir mal auf die Hintergründe schauen – was motiviert denn Putin, was motiviert die russische Regierung? Sind das Machtinteressen alleine, oder stecken dahinter auch Prinzipien, Werte möglicherweise sogar? Das unterstellen wir ihnen ja immer, dass das nicht der Fall ist.

"Marathon des wechselseitigen Aufeinanderzugehens"

Böhlke: Man muss zunächst einmal wirklich die Pragmatik nehmen. Und eines der großen pragmatischen Themen, die Russland seit zwei Jahren beschäftigt, ist, dass sie merken, sie kommen mit der Europäischen Union, sie kommen mit dem Westen in große Schwierigkeiten, weil der Abstand zum Westen, technologisch, aber auch gesellschaftlich, viel zu groß ist. Und gleichzeitig natürlich der Abstand nach Asien aus, sagen wir mal, Preisgründen, aus Arbeitsgründen, aus Gesellschaftsgründen auch zu groß ist. Das heißt, sie haben begriffen, sie müssen Russland alleine entwickeln. Und dieses Alleinentwickeln führt natürlich auch dazu, die Frage zu stellen, wo kann ich eigentlich Russland international ins Spiel bringen. Und der Middle-East-Konflikt ist natürlich einer dieser großen Konflikte, wo Russland seine Selbstständigkeit beweisen kann. Unabhängig vom Westen, aber auch unabhängig von China und vielen anderen Großmächten. Das ist, glaube ich, die große Linie, die dahinter liegt, und das sieht man auch deutlich. Deutlich daran, dass ein regelrechter Konferenzmarathon gegenwärtig stattfindet. Putin ist permanent in Gesprächen mit Regierungschefs unterschiedlicher Länder, ob mit Saudi-Arabien, Katar, Iran, Syrien, Libanon et cetera, et cetera. Es ist ein regelrechter Marathon des wechselseitigen Aufeinanderzugehens.
Frenzel: Erklärt sich daraus das Festhalten auch an Assad? Denn das ist ja schon interessant: Putin hat gerade erst wieder mit dem Präsidenten in Damaskus telefoniert, hat ihn gelobt, hat ihn unterstützt. Aber man fragt sich ja, warum hält Moskau so stark fest an Assad?
Böhlke: Weil ich denke, dass die Überzeugung da ist, dass der Assad diesen Bürgerkrieg im Kern gewinnen wird. Er hat iranische Revolutionsgarden, er hat aus dem Libanon die Hisbollah-Milizen dazu genommen, und es scheint so zu sein, dass er das Patt, das gegenwärtig ist, für sich nutzen kann. Und das ist natürlich die Frage, dass Russland aktivst denkt: Wenn wir diesen Assad gemeinsam mit dem Iran unterstützen, dann also praktisch eine schiitische Achse in diese Welt des Middle East mit einbauen, die auch Stabilität im Süden Russlands bringt. Und das ist das Grundprinzip, was dahinter ist, das ist nicht „nett“.
Frenzel: Wenn wir das mal auf unsere Außenpolitik zurückspiegeln, die ja immer für sich in Anspruch nimmt, werteorientiert zu sein und nicht interessengeleitet – da haben wir uns natürlich relativ schnell festgelegt, Assad muss weg, insgesamt, die USA, aber auch die Europäer waren da mit dabei. Sehen wir vielleicht bei den Russen, dass in der internationalen Politik diese werteorientierte Außenpolitik nicht immer hilfreich ist, weil man sich am Ende Optionen verbaut?
Böhlke: Ich würde die Frage etwas anders beantworten wollen, wenn ich darf, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens, wir sehen an der Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, dass man, unabhängig von Interessendivergenzen, aber auch Wertedivergenzen sehr, sehr intensiv miteinander umgehen kann und natürlich die Kooperation vorantreiben kann. Stichwort Chemiewaffen, da sehen wir es ja deutlich. Zweitens, wir sehen es deutlich, wenn wir in Zusammenarbeitsformen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland in Ägypten mit den neuen Militärmachthabern. Also hier gibt es mehrere Punkte, wo also die großen Mächte dieser Welt dieser Welt sehr eng kooperieren. Deutschland ist hier in einer anderen Rolle. Deutschland, und das ist die Aufgabe des nächsten Außenministers und der nächsten Bundesregierung natürlich: Deutschland muss sich die Frage stellen, ob es wirklich bereit ist, mit Russland oder den Vereinigten Staaten und anderen Ländern in Konfliktregionen gemeinsam Lösungen zu suchen. Und das wird natürlich zunächst wirklich die große Fragestellung. Ich höre aus den großen Koalitionsgesprächen, dass man zumindest global seine Verantwortung wahrnehmen möchte. Es wäre toll, wenn Deutschland hier eine aktive Rolle spielen würde.
Frenzel: Wenn wir mal auf diese Rolle Deutschlands schauen: Die ist ja durchaus wechselhaft, wenn wir auf Russland schauen. Da gab es die Schröder-Jahre, wo es eine sehr viel größere Nähe gab. Würden Sie sagen, wir brauchen wieder diese größere Nähe, weniger Distanz? Deutschland vielleicht als Brückenkopf zwischen dem Westen und dem Osten?
Böhlke: Auch da würde ich sagen, die Schröder-Jahre sind vorbei, sie sind Geschichte, die können wir den Historikern überlassen. Wir brauchen sowohl Distanz, weil wir natürlich unterschiedliche Gesellschaftsmodelle haben, das ist ganz, ganz klar, das sieht man an vielfältigsten Auseinandersetzungen um individuelle Werte, um Menschenrechte et cetera. Und diese Auseinandersetzungen sind normal. Wir brauchen aber auch gleichzeitig Kooperation, und diese Kooperation bedeutet, sich in Konfliktgebieten gemeinsam zu überlegen, wie man Konflikte entschärfen kann. Und beides ist notwendig, da muss man nicht das eine oder das andere – wir leben nicht im Zeitalter des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch. Beides können wir tun.
Frenzel: Auf der Suche nach Auswegen aus der Syrien-Krise. Über die Rolle Russlands habe ich gesprochen mit Ewald Böhlke, er leitet das Berthold-Beitz-Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Böhlke: Ganz herzlichen Dank, Ihnen auch!
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