Syrien

"Assad ist ein Kriegsverbrecher"

Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbeks
Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbeks © Deutschlandradio / Torben Waleczek
Samar Yazbek im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 16.09.2015
Samar Yazbeks Syrien-Berichte "Schrei nach Freiheit" und "Die gestohlene Revolution sind Nahaufnahmen aus einem zerstörten Land. Die Schriftstellerin wirft darin unter anderem dem Westen Tatenlosigkeit angesichts der Brutalität des Assad-Regimes vor: Nur wenn Assad gestoppt werde, sei ihre Heimat zu retten.
Alle Welt macht die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) für das Scheitern der syrischen Revolution verantwortlich. Doch für die syrische Journalistin und Schriftstellerin Samar Yazbek ist nicht allein der IS, sondern auch die Tatenlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft verantwortlich.
Samar Yazbek, die gerade zu Gast beim Internationalen Literaturfestival in Berlin war und 2012 das viel beachtete Buch „Schrei nach Freiheit" veröffentlichte, sagte im Deutschlandradio Kultur, es sei zu einfach zu sagen, der IS habe die Revolution gestohlen.
Viele Ursachen für das Syrien-Desaster
"Zum einen ist da die grausame Brutalität des Assad-Regimes, das alles ausgelöscht hat. Dazu kommt das Schweigen der internationalen Weltgemeinschaft angesichts dieser Verbrechen des Assad-Regimes. Dann kommt noch hinzu der Konfessionalismus, der durch die Intervention Irans und der Hisbollah entstanden ist. Und die Gewalt, die natürlich eine Gegengewalt erzeugt."
Zudem seien viele Dschihadisten über die türkische Grenze geströmt und hätten vor allem die Oppositionsbewegung gegen Assad bekämpft.
Yazbek, die 2011 mit ihrer Tochter aus Syrien floh, heute in Frankreich lebt und mehrmals heimlich für ihre Recherchen wieder einreiste, kritisiert, die westlichen Staaten konzentrierten sich zu sehr auf den IS. So gut wie niemand rede mehr von den Taten des Assad-Regime. Die Vorstellung einer vom Westen unterstützten Übergangsregierung unter Mitwirkung Assads, die gemeinsam den IS bekämpfe, sei "absolut unrealistisch". Assad sei ein Kriegsverbrecher. "Wie kann man gemeinsam mit einem Kriegsverbrecher andere Verbrechen bekämpfen? Das ist unlogisch."
Assad aus der Welt schaffen
Der IS sei vielmehr ein Ergebnis der Gewalt durch das Assad-Regime. "Wenn man an eine politische Lösung glaubt - und ich glaube daran - muss man erstmal den politischen Ursprung aus der Welt schaffen." Das heiße: Man müsse Assad dazu zwingen, mit den Bombardierungen aufzuhören. Der Kampf gegen den Terror werde lange dauern - man müsse Schritt für Schritt vorgehen.


Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: 2012 erregte der "Schrei nach Freiheit" international Aufsehen – ein Bericht der syrischen Schriftstellerin und Aktivistin Samar Yazbek über die Zustände in ihrem Land im Jahr 1 nach Beginn der Aufstände gegen Baschar al-Assad. Yazbek musste damals aus ihrer Heimat fliehen, sie ist aber immer wieder zurückgekehrt, heimliche Reisen, die sie jetzt dargestellt hat in einem gerade auf deutsch erschienen Kriegstagebuch, "Die gestohlene Revolution: Reise in mein zerstörtes Syrien". Samar Yazbek ist zurzeit in Deutschland unterwegs, unter anderem auch beim Literaturfestival in Berlin, und sie ist jetzt bei uns zu Gast in "Studio 9". Samar Yazbek, herzlich Willkommen, ich grüße Sie!
Samar Yazbek: Vielen Dank!
Frenzel: Und ich begrüße Larissa Bender – Sie selbst sind mit Syrien bestens vertraut, die Übersetzerin der Bücher von Samar Yazbek und auch hier in diesem Interview ihre deutsche Stimme. Guten Morgen!
Bender: Guten Morgen!
Frenzelk: "Reise in mein zerstörtes Syrien" – Frau Yazbek, was haben Sie erlebt bei diesen heimlichen Reisen?
Yazbek: Ich habe wirklich sehr viel gesehen, ich kann es zusammenfassen in folgenden Punkten: Ich habe gesehen, wie Syrien zerstört wurde, zerstört wird vom Himmel, aus dem Himmel heraus durch die Bombardierungen durch das Assad-Regime, wie die dschihadistischen extremistischen Gruppierungen in das Land kommen und wie aber die Zivilbevölkerung und die zivilen Aktivisten immer noch vor Ort sind und immer noch dagegen ankämpfen.
Frenzel: Gibt es so etwas wie ein Alltag im Bürgerkrieg, ein ganz normales Leben? Sie haben viele Menschen getroffen, sie auch porträtiert in Ihren Büchern – gibt es da diese Momente?
Yazbek: Es ist sehr schwierig, von einem Alltag zu sprechen. Es gibt viel zu wenig Lebensmittel, es gibt oft keinen Strom, es wird ununterbrochen bombardiert, das Leben ist einfach wahnsinnig schwierig. Das ist zum einen der Fall, aber dazu kommt natürlich, dass die Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Es ist Krieg und man kann dann nicht in die Schule gehen. Das zivile Leben kann fast nicht mehr stattfinden. Es ist eine neue Art von Leben entstanden, eine neue Art von Alltag natürlich entstanden. Das Leben der Frauen ist wirklich sehr, sehr schwer geworden. Kinder greifen zu den Waffen und fangen an zu kämpfen. Männer werden getötet, Brutalität greift um sich, und natürlich ist ein großer Teil der Bevölkerung seelisch völlig zerstört und traumatisiert.
Die Menschen fliehen vor Assad und vor dem IS
Dazu kommt natürlich das Problem der Flüchtlinge: Es wird ununterbrochen bombardiert, und das hat zur Folge, dass es ganz viele Menschen gibt, die ihre Häuser verlassen müssen, die Häuser werden zerstört, die Leute fliehen, und ein großer Prozentsatz der Bevölkerung ist Flüchtling im eigenen Land geworden oder ist ins Ausland geflüchtet. Dazu kommt natürlich, dass das Leben unter der Besatzung des IS noch schwieriger geworden ist. Sie haben neue Gesetze erlassen, und die Leute fliehen natürlich auch vor dem IS aus dem Land.
Frenzel: Sie haben den IS angesprochen, im Buchtitel heißt es "die gestohlene Revolution". Wer hat sie gestohlen aus Ihrer Sicht – die Islamisten, der IS?
Yazbek: Nein, das kann man so nicht sagen, sondern der IS ist ein Ergebnis, eine Konsequenz aus der Situation und es wäre zu einfach zu sagen, der IS hätte die Revolution gestohlen. Zum einen ist da die grausame Brutalität des Assad-Regimes, das sozusagen alles ausgelöscht hat. Das auf der einen Seite. Dazu kommt das Schweigen der internationalen Weltgemeinschaft angesichts dieser Verbrechen des Assad-Regimes. Dann kommt dazu der Konfessionalismus, der entstanden ist durch die Intervention Irans und der Hisbollah und natürlich die Gewalt, die eine Gegengewalt erzeugt. Dazu kommt auch noch, dass eben die Grenzen zur Türkei geöffnet waren und auf diese Art und Weise Ströme von ausländischen Kämpfern ins Land kommen konnten, und so ist der IS erstmal entstanden. Diese vielen Dschihadisten, die über die Grenze gekommen sind, haben dann die Aktivisten bekämpft. Sie haben nicht das Assad-Regime bekämpft, sondern die Aktivisten, die noch die Revolution fortgesetzt haben, sie haben sie getötet, verhaftet, vertrieben. Dazu kam, dass diese dschihadistischen Gruppierungen finanziert worden sind, und das alles unter den Augen der Weltgemeinschaft.
Tausende Syrer und Palästinenser bei einem Marsch durch Damaskus.
Tausende Syrer und Palästinenser bei einem Marsch durch Damaskus.© picture alliance / dpa / Youssef Badawi
Man hat zugeschaut, wie sie immer stärker geworden sind und hat nichts dagegen getan, und das betrifft Amerika und Russland und Iran. Es gibt einmal den Terror des IS, das ist ein öffentlicher Terror, der in den Medien auch erwähnt, der in den Medien vorkommt, aber der Terror des Assad-Regimes wird eigentlich überhaupt nicht erwähnt, der Terror des Assad-Regimes durch die täglichen Bombardierungen, die Aktivisten vor Ort, von beiden Seiten werden sie in die Zange genommen, vom Regime und vom IS. Man muss dazu sagen, dass es nach wie vor, wenn auch kleine, aber immerhin, Gruppen gibt, die immer noch an die Ideale der Revolution glauben, die immer noch an die Friedfertigkeit und an Demokratie glauben. Sie sind allerdings sehr schwach, sie werden, wie gesagt, vom IS bekämpft auf der einen Seite, auf der anderen Seite bombardiert durch das Assad-Regime, und sie erhalten auch keine Finanzierungen.
Syrien als solches existiert nicht mehr
Es ist natürlich sehr unterschiedlich, die Situation in den einzelnen Regionen Syriens, weil Syrien als solches gibt es gar nicht mehr. Syrien ist aufgeteilt, in den verschiedenen Regionen herrschen unterschiedliche Kräfte und Mächte: Es gibt einmal die Region, in dem das Assad-Regime herrscht mit Unterstützung von Russland und Iran, und dann gibt es die Region, wo die dschihadistischen Milizen herrschen, also Syrien als solches gibt es als Land nicht mehr.
Frenzel: Die Opposition, die eigentliche, die ursprüngliche Opposition gegen Assad ist sehr schwach. Viele kommen zu dem Ergebnis: Besser mit Assad, besser gegen den IS als einen dauerhaften Bürgerkrieg. Ist das eine Möglichkeit, eine Option für Sie, zu sagen, eine Übergangsregierung könnte auch mit Assad stattfinden?
Yazbek: Meiner Meinung nach ist die Vorstellung, dass die Regierungen der internationalen Weltgemeinschaft zusammen mit Assad den IS bekämpfen, das ist absolut unrealistisch, das hat mit der Realität nichts zu tun. Der IS ist ein Ergebnis der unglaublichen Gewalt durch das Assad-Regime. Man muss, wenn man an eine politische Lösung glaubt – und ich glaube daran –, muss man erst mal den Ursprung ausmerzen, aus der Welt schaffen, und der Ursprung ist das Assad-Regime. Das heißt, man muss als ersten Schritt für eine politische Lösung, muss man Assad dazu zwingen, aufzuhören zu bombardieren.
Assad-Regime bekämpfen
Wenn man sich überlegt, dass man jetzt den IS bekämpft und dass die Weltgemeinschaft den IS bekämpft, aber Assad an der Macht lässt, dann ist sozusagen der Grund für das Entstehen des IS nicht bekämpft. Ich meine, dass man als allererstes Assad bekämpfen muss, denn wenn man Assad nicht bekämpft, wenn Assad weiter an der Macht bleibt und man hat den IS bekämpft oder den IS ausgemerzt, dann wird aufgrund der Brutalität des Assad-Regimes ein neuer IS, eine neue dschihadistische Gruppierung entstehen. Ich möchte noch einen Punkt hinzusetzen: Das Assad-Regime hat furchtbare Massaker begangen, das Assad-Regime hat Chemiewaffen eingesetzt, geächtete Waffen – Fassbomben –, Kinder getötet, Zivilisten getötet. Das sind Kriegsverbrechen. Wie kann man mit einem Kriegsverbrecher zusammen gemeinsam andere Verbrecher bekämpfen, das ist einfach unlogisch, das kann nicht funktionieren.
Frenzel: Was muss der Westen tun? Sie sagen, Assad bekämpfen. Was bedeutet das konkret?
Yazbek: Es ist einfach eine sehr, sehr komplizierte Situation und man muss mehrere Punkte beachten, und es sind viele verschiedene Interessen im Spiel. Ich muss das sozusagen Punkt für Punkt versuchen zu erklären. Es muss Druck auf Assad ausgeübt werden und zwar insbesondere durch seine Alliierten, seine Verbündeten – Russland und Iran. Das Allerwichtigste ist, dass die Bombardements aufhören. Es muss sichere Zonen für die Bevölkerung geben. Natürlich muss die politische Opposition auch Gespräche mit Assad führen, und es muss der IS, und die anderen dschihadistischen Gruppierungen müssen bekämpft werden.
Die Frage ist allerdings, will der Westen den Krieg in Syrien wirklich stoppen. Das ist noch nicht so ganz klar. Auf jeden Fall müsste es einen Schritt nach dem anderen geben, also man kann jetzt nicht von einer Lösung insgesamt sprechen, sondern man muss Schritt für Schritt vorgehen. Ich als Syrerin kann nur sagen, dass natürlich der Kampf gegen den Terror ein langer Kampf ist und ein langer Kampf werden wird. Wichtig ist, dass Assad abtritt, dass Assad gezwungen wird, abzutreten, dass der IS und die anderen Gruppierungen bekämpft werden, und dass es eine Übergangsphase gibt, mit einer Gerechtigkeit, in der es staatsbürgerliche Rechte gibt für die Bevölkerung, das ist sozusagen der erste Schritt hin zu einem Friedensprozess.
Frenzel: Die Autorin Samar Yazbek – ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Yazbek: Danke schön!
Frenzel: Und danke schön auch an die Übersetzerin Larissa Bender!
Bender: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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