Swoboda: Merkel ist konkrete Antworten schuldig geblieben

Hannes Swoboda im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.11.2012
Mit einer Rede im EU-Parlament hat Kanzlerin Merkel die europäische Sparpolitik verteidigt. Doch sozialdemokratische EU-Parlamentarier Hannes Swoboda kritisiert: Die Bundeskanzlerin verlange von anderen EU-Ländern Sparmaßnahmen, die sie sich zu Hause nie trauen würde.
Gabi Wuttke: Angela Merkel erklärt den Europaparlamentariern in Brüssel Grundsätzliches. Keine zwölf Stunden nach dem Wahlsieg von Barack Obama, wenige Stunden vor der Verabschiedung eines weiteren Sparpakets im griechischen Parlament. Ob des harten Spardiktats von den Fraktionschefs in Brüssel heftig attackiert, ließ die deutsche Kanzlerin sich hören wie sonst kaum je:

Angela Merkel: "Es geht daher gegenwärtig um nichts weniger als darum, das Glück der europäischen Einigung für unsere Kinder zu bewahren und fortzuentwickeln."

Wuttke: Angela Merkel gestern in Brüssel, eingeladen vom Parlamentspräsidenten. Zu denen, die kritisch das Wort gegen die deutsche Kanzlerin erhoben, gehörte auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Hannes Swoboda. Jetzt ist er am Telefon, einen schönen guten Morgen!

Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Herr Swoboda, hat Sie Angela Merkels Ton überrascht, ihr Wort vom Glück?

Swoboda: Na ja, überrascht ist vielleicht etwas zu viel gesagt, ich hätte mir vielleicht mehr konkrete Maßnahmen oder konkrete Schritte erwartet von Frau Merkel. Mit dem Glück und mit diesen generellen Aussagen stimme ich ja mit ihr überein, die Frage ist nur – und das war meine Frage an sie – was sie zu dem Glück oder Unglück der vielen Arbeitslosen sagt, die wir in Europa auch produzieren, und die Arbeitslosigkeit steigt inzwischen. Und da wollte ich Antworten haben, die habe ich leider nicht bekommen.

Wuttke: Pathos statt der üblichen Sachlichkeit. Hierzulande, Herr Swoboda, fragt man sich, ob die gerade von Barack Obama beschworene Einheit bei Angela Merkel noch nachhalte, ein Ende der europäischen Krise also so weit weg ist wie ein politischer Konsens in den USA. Wie haben Sie Angela Merkel in diesen knapp zwei Stunden in Brüssel erlebt, wenn Sie sagen, Sie haben auf Ihre Frage keine Antwort erhalten?

Swoboda: Ich habe Frau Merkel – und ich schätze sie als Person, das ist nicht, dass ich da jetzt einen Generalangriff gegen sie führen möchte – … natürlich schon mehr erwartet, dass sie sagt, was heute zu tun ist gegenüber der Arbeitslosigkeit, was heute zu tun ist, um auch Investitionen zu haben vor allem in die Bildung, in die Forschung und die Entwicklung. Denn wenn sie auf der einen Seite bedauert, dass viele Länder gekürzt haben die Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung, dann muss ich entgegenhalten, ja, das ist ja genau die Austeritätspolitik, die sie forciert, die sie betreibt in den anderen Ländern. Nicht zu Hause, aber in den anderen Ländern. Die dazu führt, dass diese Länder alle in Forschung, Entwicklung und Ausbildung immer weniger investieren. Zum Nachteil des Glücks der Kinder in den nächsten Jahrzehnten.

Wuttke: Und bemerkenswerter…

Swoboda: Und da habe ich einen Widerspruch gesehen.

Wuttke: …und bemerkenswerterweise hat ja die deutsche Kanzlerin dann gekontert und hat davon gesprochen, sollte man von dem Weg ablassen, dann wäre es Sünde. Auch so ein großes Wort!

Swoboda: Ja! Ja, die Sünde, die hat mich ebenfalls überrascht. Wobei ich ja gemeint habe – und dabei bleibe ich –, dass Frau Merkel von Griechenland, von Portugal und anderen Ländern das verlangt, was sie nie zu Hause verlangen würde, was sie sich nie trauen würde, zu Hause zu verlangen, nämlich eine Zerstörung sozialer Netze und des Sozialstaates. Dass Reformen notwendig sind, da hat sie absolut recht. Die einzelnen Reformen, die sie aufgezählt hat, gebe ich ihr 100-prozentig recht, aber da wird viel zu weniger Druck ausgeübt. Dass nämlich ein Staat in Griechenland aufgebaut wird, der auch Steuern eintreiben kann, der funktioniert, das ist absolut notwendig, da haben wir ja übereingestimmt, aber nicht dort, wo es um wirkliche Zerstörung von sozialen Netzen geht!

Wuttke: Sie haben jetzt gesagt, wo Sie mit Angela Merkel übereinstimmten, Sie haben aber auch gesagt, dass Sie mehr von ihr erwartet haben. Nun hat sie Sie und Ihre Kollegen in Brüssel direkt als Verbündete angesprochen. Kam das an?

Swoboda: Das kam an, wenn es darum geht, die Rechte des Europäischen Parlaments zu sichern. Und das kam an insofern, als wir übereinstimmen, dass jetzt ein neues Parlament geschaffen wird, wie das in Frankreich vor allem unter Sarkozy als Idee entwickelt worden, dass die Euro-Zone getrennt vom übrigen Parlament agieren sollte: Das ist ein Irrweg! Da haben wir übereingestimmt. Was also die grundsätzlichen Strukturen der Europäischen Union für die Zukunft betrifft, auch die Rolle des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente betrifft, was die Demokratie in Europa betrifft, da gibt es eine weitgehende Übereinstimmung. Und das ist ja auch gut so. Wir wollen ja nicht nur streiten, wir wollen ja auch gemeinsame Wege gehen.

Wuttke: Das heißt, Sie haben ihr abgenommen, das Europa-Parlament weiter stärken zu wollen?

Swoboda: Im Prinzip ja. Wir müssten nur den Druck ausüben jetzt, dass das auch wirklich geschieht. Denn der Fiskalpakt ist etwas, was außerhalb der normalen Verfahren und des Vertrages funktioniert und daher auch dem Europäischen Parlament nicht mehr Rechte eingibt. Also, ich glaube, mit unserem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz haben wir eine starke Stimme, die darauf schaut, dass wir nicht einfach zur Seite geschoben werden, wenn es irgendwie wieder darum geht, dass sich Regierungen über etwas einig sind, was sie selber machen wollen ohne europäische Institutionen, ohne Europäische Kommission und ohne Europäisches Parlament. Also, wir müssen schon sehr wachsam bleiben.

Wuttke: Wachsam bleiben heißt auch, es ist zu erwarten, dass Angela Merkel vielleicht demnächst wieder eine Einladung von Martin Schulz erhält. Wollen Sie diesen Dialog stärken? Denn es passiert ja nicht unbedingt alle Tage, dass eine Regierungschefin vor den Parlamentariern auftritt, um auch Rede und Antwort zu stehen. Wenn auch, wie Sie gesagt haben, sie einige Antworten schuldig geblieben ist.

Swoboda: Ich habe die Diskussion genossen, ich habe viele getroffen nachher, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das sehr genossen haben. Ich glaube, es war eine gute Veranstaltung in unserem Sinne, es war vernünftig, diese Einladung zu haben. Und ein Dialog macht nur Sinn, wenn er immer wieder kommt. Wenn er sehr vereinzelt da ist, dann steht er leer im Raum. Also, es war gut, diese Auseinandersetzung ist notwendig, auch mit den wesentlichen Regierungschefs, und natürlich: Der deutsche Regierungschef oder die deutsche Regierungschefin hat heute in Europa einen massiven Einfluss. Und da ist es wichtig, diesen Dialog fortzusetzen.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" nach dem Besuch der Kanzlerin in Brüssel Hannes Swoboda, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion des Europaparlaments. Ich danke Ihnen sehr für diese Schilderung und Einschätzung und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Swoboda: Bitte sehr, haben Sie ebenfalls einen schönen Tag!


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