Sven Hannes: "Die Bombe"

Die Geschichte des nuklearen Irrsinns

Ein Atompilz steigt nach der Explosion einer Atombombe über dem Testgelände in der Wüste von Nevada auf. Links: Das Buchcover von Sven Hannes' "Die Bombe".
Ein Atompilz steigt nach der Explosion einer Atombombe über dem Testgelände in der Wüste von Nevada auf. Links: Das Buchcover von Sven Hannes' "Die Bombe". © dpa / picture alliance / Open House Verlag
Von Günther Wessel · 17.03.2017
Im Zweiten Weltkrieg werfen die Amerikaner die Atombombe über Hiroshima und Nagasaki ab. Die Sowjetunion steigt wenig später in den atomaren Rüstungswettlauf ein. Die Geschichte der atomaren Bewaffnung geht bis heute weiter. Sven Hannes fasst sie faktenreich und gut lesbar in "Die Bombe" zusammen.
Ob die Atombombe eingesetzt wird, ist unklar. Viele Wissenschaftler sprechen sich dagegen aus. Doch die Militärs entscheiden anders, sie wollen mit ihr den Krieg mit Japan schnell beenden – und Hiroshima und Nagasaki gehen unter.
Die Amerikaner besitzen zunächst das Monopol auf die neue Massenvernichtungswaffe. Einige Politiker überlegen kurz, ob sie die Bombe in die Obhut der Vereinten Nationen übergeben sollen, dann aber überwiegen militärisch-strategische Überlegungen: Warum eine solche Waffe aus der Hand geben? Der Kalte Krieg hilft der nationalen Rüstungsindustrie. Sie finanziert in den Folgejahren hoch spezialisierte Wissenschaftler, die zwischen Industrie und den staatlich-nationalen Laboratorien wechseln. Sie führen wie der Atombomben-Miterfinder Edward Teller ein Leben für die Bombe, sei es in privater oder öffentlicher Forschung, sei es durch Arbeit in politischen Think Tanks.
In den frühen Fünfziger Jahren ist die Stimmung in den USA den Atomtests gegenüber eher neugierig als ablehnend: Das Testgelände in Nevada zieht Besucher aus den ganzen Land an. Das nahe gelegene Las Vegas, bis dahin eher ein Provinznest mit Spielcasino, wird zur Touristenattraktion ausgebaut. Auch die nun beginnende friedliche Nutzung der Atomenergie diente, wie der Historiker und Politikwissenschaftler Sven Hannes in seinem Buch "Die Bombe" belegt, in erster Linie dazu, den Begriff des Atoms weniger angstvoll zu besetzen.

Die kleinen Völker leiden am meisten

Schon 1949 zieht die Sowjetunion nach und zündet ihre erste Atombombe. Danach wird der Rüstungswettlauf richtig angeheizt. Sven Hannes beschreibt nachvollziehbar die Motive der Forscher und Politiker, die bizarre Logik ihrer Militärdoktrinen – was nutzen Waffen, die nie eingesetzt werden dürfen, weil sie den Untergang des Planeten bedeuten? – und den Wahnsinn der Tests. Er vergisst auch nicht, wer am meisten unter ihnen leidet: Die kleineren isolierter lebenden Völker, auf deren Gebiet die Tests stattfinden – die Schoschonen in Nevada, die Bewohner des Pazifikatolls Rongelap, die Nenzen auf dem sowjetischen Testgebiet Novaja Semlja oder auch die Samen in Skandinavien, die über Jahre hinweg dem radioaktiven Fallout ausgesetzt sind. Heute sind die meisten Testgelände unzureichend gesicherte Endlager für Radioaktivität – tickende Zeitbomben.
Dem Autor gelingt das das Kunststück einer faktengesättigten, sehr gut lesbaren, eindringlichen Geschichte des nuklearen Irrsinns, der leider noch lange nicht beendet ist: Seit Anfang 2017 steht die "doomsday clock", die seit 1947 vor der Gefahr einer globalen Menschheitskatastrophe warnt, auf zwei Minuten vor zwölf. Schlechter waren die Prognosen nur in den 1950er Jahren. Damals begann man, über die globale Abhängigkeit voneinander nachzudenken. Heute, mahnt Sven Hannes, ist das notwendiger denn je.

Sven Hannes: "Die Bombe. Die Geschichte der Atombombentests von den Anfängen bis zur Gegenwart"
Open House Verlag, Leipzig 2017
304 Seite, 25 Euro