Sven Giegold: Steueroasen längst nicht ausgetrocknet

Sven Giegold im Gespräch mit Ute Welty · 07.08.2010
Gut ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung zieht der Grünen-Politiker Sven Giegold eine kritische Bilanz. So sei die Definition einer Steueroase im Gesetz "so schwach gewählt, dass inzwischen praktisch alle Länder darunter durchschlüpfen". Man bräuchte automatische Informationsflüsse, wie sie innerhalb der EU gelten, auch mit anderen Ländern.
Ute Welty: Monaco ist keine Steueroase mehr. Das Fürstentum hat mit Deutschland ein Abkommen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung geschlossen. Und auch in Liechtenstein stellt man sich darauf ein, dass die Behörden kooperieren und dass selbst Verdachtsfälle gegen Geldwäsche gemeldet werden. Vorbei also die Zeiten, als ein früherer Finanzminister Steinbrück nach der der Kavallerie rief und die Schweizer damit mehr als verärgert hat? Das frage ich mich und das frage ich vor allem Sven Giegold. Der Wirtschaftswissenschaftler sitzt für die Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!

Sven Giegold: Guten Morgen!

Welty: Monaco, Liechtenstein und jetzt eben auch die Schweiz – überall gibt es mehr Kooperation, mehr Regeln, mehr Kontrolle und das ein Jahr, nachdem die Bundesregierung das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung verabschiedet hat. Wie fällt Ihre Bilanz dieses Jahres und dieses Gesetzes aus, Herr Giegold?

Giegold: Ja, das klingt alles sehr schön. Wenn man aber ein bisschen technischer sich die Dinge anguckt, dann nimmt die Begeisterung sehr schnell ab. Das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz sollte ja eigentlich die Steueroasen ausmachen und sie dann sanktionieren. In der Liste dieses Gesetzes, wie viele Steueroasen es gibt, sind inzwischen keine einzigen mehr vorhanden. Das liegt daran, dass die Definition einer Steueroase so schwach gewählt wurde, dass inzwischen praktisch alle Länder darunter durchschlüpfen. Als Steueroase gilt nämlich nur noch, wer auch im Einzelfall auf konkrete Nachfrage jegliche Information verweigert. Das tut inzwischen offiziell zumindest keiner mehr. Das Problem, was bleibt, ist, dass nach wie vor der deutsche Fiskus nicht weiß, wen er eigentlich suchen soll. Und von daher können die meisten Steueroasen mit dieser Regelung ziemlich tut leben.

Welty: Aber diese Abkommen, die geschlossen worden sind, diese Kooperationen, die vereinbart wurden, die können doch nicht alle nur wertlos sein?

Giegold: Nein, nein, das sage ich auch nicht, das ist ein Fortschritt, das braucht man auch gar nicht zu verleugnen. Allerdings Sie müssen sich das Grundproblem so vorstellen: Wir haben weltweit 70 Länder, die Steueroasencharakter haben. Jetzt weiß der deutsche Fiskus weder, welcher Steuerzahler hat Geld ins Ausland geschafft, noch in welches der Länder. Folglich weiß man auch nicht, wo man nachfragen soll im Einzelfall. Daher hilft das alles nicht, sondern man braucht automatische Informationsflüsse, so wie wir das innerhalb der EU mit 25 Ländern inzwischen haben. Aber außerhalb der EU greift das bisher nicht, und da die Kriterien dieses Gesetzes so schwach sind, wird das auch nicht von anderen Staaten verlangt, auf diesen automatischen Informationsaustausch abzustellen.

Welty: Es heißt immer, von den Steueroasen profitieren nur die Reichen. Aber müssen wir nicht alle befürchten, dass unsere Steuerlast steigt durch weniger Steueroasen, weil der Wettbewerb weniger wird?

Giegold: Nein. Denn die Steuerlast wird in Deutschland immer noch demokratisch festgelegt. Das heißt, es ist eines der zentralen Themen bei jeder Wahl: Wie hoch sind die Steuern? Gäbe es die Steueroasen nicht, könnte man natürlich die Steuern senken für die normalen Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen.

Welty: Wenn Sie die Bürger fragen, dann wollen die ja am liebsten gar keine Steuern zahlen?

Giegold: Also ehrlich gesagt, habe ich den Eindruck nicht. Die FDP hat bei der letzten Bundestagswahl mit ihrem Steuersenkungsprogramm knapp 15 Prozent erhalten; als die Bürger dann verstanden haben, dass das nur durch zusätzliche Verschuldung zu realisieren ist, seitdem sind die Umfragewerte der FDP im Keller. Mein Eindruck ist, die meisten Menschen wissen, was sie an einem Sozialstaat haben.

Welty: Aber ist da nicht auch immer jede Menge Doppelmoral im Spiel? Auf der einen Seite zeigt man mit dem Finger auf einen Steuerhinterzieher Zumwinkel und auf der anderen Seite ist jeder froh, wenn er das romantische Dinner zu zweit als Geschäftsessen absetzen kann.

Giegold: Ja, das mag ja sein, aber wir reden ja hier im Moment über Steuerpolitik und nicht darum, ob jeder und jeder Einzelne sich konsequent moralisch verhält. Wir haben auch unmoralisches Verhalten in vielen anderen Bereichen, trotzdem sind wir dafür, dass es verallgemeinerte Regeln gib, die auch durchgesetzt werden. Also, nur weil ab und zu Leute bei Rot über die Straße gehen, sind wir nicht dafür, gleich die ganze Straßenverkehrsordnung aufzuheben. Das ist aber die Logik der FDP, an der Stelle zu sagen, man verteidigt den Raum der Steueroasen, macht die Regeln möglichst schlaff, weil ja doch vielleicht andere Akteure sagen, wir sind alle auch gerne mal ein bisschen Steuerflüchtling.

Welty: Wenn Sie sich diese monetärpsychologische Gemengelage anschauen, würden Sie sagen, es ist überhaupt möglich, Steueroasen ganz trockenzulegen, dieses Phänomen der Steuerhinterziehung auszurotten?

Giegold: Also, es geht ja gar nicht darum: ganz. Natürlich wird es immer auch Steuerhinterziehung und vielleicht auch Steuerflucht geben. Aber derzeit haben wir es ja mit Scheunentoren zu tun. Es ist so einfach: Sie bringen Ihr Geld ins Ausland, wir sind so viel international unterwegs, viele Menschen, sie melden das nicht, was sie dort an Einkünften haben und tragen das nicht in die Steuererklärung. Und schon sind Sie das Problem mit dem Fiskus erst mal los. Außer, Sie haben Pech wie Herr Zumwinkel. Und es kann doch nicht sein, dass es nur auf Pech ankommt, ob Leute ihre Steuern bezahlen oder nicht!

Welty: Und wenn man gar nicht bei der Steuerhinterziehung ansetzt, sondern bei der Steuergesetzgebung überhaupt, bei der Effizienz der Finanzverwaltung beispielsweise? Nach dem Motto, kehren wir doch erst mal vor der eigenen Haustür, bevor wir den Dreck auf einer Liechtensteiner Treppe kritisieren.

Giegold: Ja, richtig. Wir haben ein Problem mit unserem föderalen System an der Stelle. Weil die verschiedenen Bundesländer machen sich Konkurrenz darum, wer gerade im Bereich der Unternehmenssteuern möglichst wenig genau hinschaut. Und da wird inkonsequente Steuerverwaltung zum Standortkriterium. Es wäre sinnvoll, dass gerade diese Unternehmenssteuern und Kapitalsteuern, dass die von einer Bundessteuerverwaltung eingezogen würden. Dann würde dieser Steuerwettbewerb aufhören.

Das ändert aber nichts daran, dass auch eine Bundessteuerverwaltung ein Problem hätte mit den Steueroasen. Also, es gibt immer wieder dieses Prinzip, dass das Bessere der Feind des Guten ist. Und an der Stelle ist es richtig, Steueroasen auszutrocknen. Es wäre noch besser, wenn wir unsere Steuerverwaltungssysteme reformieren würden.

Welty: Im Interview der "Ortszeit" der Grüne Europaabgeordnete Sven Giegold über die effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Ich danke für das Gespräch!

Giegold: Gerne!