Surfen mit winzigen Punkten und synthetischen Stimmen

Von Stephanie Kowalewski · 04.01.2011
Louis Braille erfand 1825 die Blindenschrift. Im Computerzeitalter gibt es auch andere technische Entwicklungen, die es blinden Menschen ermöglichen, einen PC zu nutzen.
Wenn man die Welt um sich herum nicht sehen kann, wird das Hören umso wichtiger, sagt die 46-jährige Ay Arslan, die in der Türkei blind geboren wurde. Deshalb liebt sie es, gemeinsam mit ihrem Mann Ali zu musizieren. Und wie die allermeisten Menschen, möchte sie chic aussehen, wenn sie das Haus verlässt und nach Duisburg zur Agentur für Arbeit fährt, wo sie am Telefon Kunden berät. Doch wie kombiniert ein blinder Mensch die Kleidung, wenn er nicht weiß, welche Farbe die Hose hat und welche der Pulli?

"Da habe ich auch mein Gerät hier."

Ay Arslan drückt das kleine Farberkennungsgerät auf eine Hose und der eingebaute Sensor analysiert in Sekundenschnelle die Farbe.

"Ich suche mir dann natürlich jetzt dementsprechend einen Pullover./ Piepton, braun, Richtung grau."

So ein Farberkennungsgerät ist zwar sehr hilfreich, sagt Ay Arslan, aber es kann schon eine Weile dauern, bis sie auf diese Weise ihr Outfit zusammengestellt hat. Überhaupt müssen blinde Menschen geduldig sein.

Das gilt auch bei der Computernutzung, bedauert Ali Arslan, der ebenfalls blind ist. Zwar konnte der heute 45-jährige bis zu seinem 21.Lebensjahr sehen wie ein Adler, doch dann raubte ihm der grüne Star allmählich das Augenlicht. Seine Lehre als Bergmann musste er abbrechen. Es folgten Umschulungen, in denen er auch lernte, einen Computer zu bedienen. Heute ist er für die Hörzeitung der Stadt Mülheim an der Ruhr verantwortlich.

"Das gibt es einmal die Woche und das mache ich als Kassette – noch. Wir sind dabei auf digital umzustellen. So werde ich in Zukunft auch digital aufnehmen. Und was "zum Abfall" gehört, muss ich raus schneiden, noch mal zusammenflicken und das Ganze in mp3-Format umsetzten als Datei."

Schwierig dabei ist, dass Ali Arslan das neue Aufnahme- und Schnittprogramm auf seinem Computer ohne einen einzigen Mausklick bedienen muss. Statt mit schnellen Klicks navigiert er sich mit einer Tastatur, auf der bestimmte Tasten fühlbar markiert sind, und einer Vielzahl von Tastenkombinationen, so genannten Shortcuts, durch die elektronische Welt.

"Blinde arbeiten nur mit der Tastatur, da wir mit der Maus nicht arbeiten können. Und deswegen gibt es zehntausende Kombinationen. Und deswegen muss man vorher schon wissen, was möchte ich und wohin möchte ich."

Denn alles, was ein Sehender auf seinem Desktop einfach anklicken kann, muss der Blinde Computernutzer in seinem Gedächtnis speichern. Als Hilfe nutzt Ali Arslan einen Screenreader, also eine spezielle Software, die alles, was sich auf seinem Computerbildschirm befindet, in eine synthetische Sprache umsetzt und ihm vorliest.
Doch die Maschinenstimme klingt monoton, es fehlen Pausen und Betonung.

"Wenn man darauf angewiesen ist, dann gewöhnt man sich auch daran. Also das macht mir jetzt mittlerweile gar nichts mehr aus und ich komme damit zurecht. Also das verstehe ich gut."

Seine Frau Ay hingegen arbeitet am Computer lieber mit der Braillezeile, einem Gerät, das wie eine Tastatur an den Computer angeschlossen wird. Der Bildschirminhalt wird durch eine Software auf die Braillezeile übertragen, wo sich je nach Buchstabe oder Zahl einzelne kleine Stifte heben oder senken. Ay Arslan fährt dann mit den Fingerspitzen über die Braillezeile und liest so zum Beispiel, was ihr Mann zuvor getippt hat.

"Er hat geschrieben: Hallo. Wir dürfen sie bei uns willkommen heißen."

Das funktioniert gut und geht relativ schnell, sagt Ay Arslan. Ganz im Gegensatz zum Surfen im World Wide Web, denn die meisten Homepages im Internet sind nicht barrierefrei. Deshalb nutzt sie das Internet privat nur, um nach bestimmten Liedern zu suchen.

"Das ist so dermaßen mühsam."

Denn der Screenreader liest wirklich alles, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, samt lästigen Popup-Werbefenstern und Links. Und diese 128 Links muss sich Ay Arslan so lange vorlesen lassen, bis der Eine von ihr gesuchte dabei ist.

"Man findet es schon, aber es ist so mühsam und braucht Zeit. Da vergeht einem die Geduld natürlich."

Mehr als zehn Minuten hat es gedauert, bis sie dieses türkische Liebeslied im Internet gefunden hat. Das ist kein Einzelfall, sondern typisch, meint Ali Arslan.

"Also das ist lange, lange noch nicht gut. Zweifarbig wäre ganz toll. Also schwarz-weiß wäre für uns am liebsten natürlich. Zum anderen wenig Fremdwörter, bilderfrei oder diese Pops, die da auf und zu gehen, das darf auch nicht passieren."

Und weil es noch so wenig barrierefreie Seiten im Internet gibt, die sie Suche nach schöner Musik erheblich erleichtern würden, musizieren Ali und Ay Arslan lieber selbst. Das geht schneller und macht wesentlich mehr Spaß.