"Superfoods"

Gift im Kern von Avocados

Bio-Avocado liegen in einer Kiste in einem Biosupermarkt in Nürnberg
Haben es in sich: Avocado-Kerne enthalten unter anderem Persin, eine giftige Fettsäureverbindung. © picture allliance / dpa / Daniel Karmann
Von Udo Pollmer · 28.10.2016
Die Avocado ist gesund, aber noch viel gesünder ist ihr Kern – heißt es. Kleingemahlen und als Smoothie-Zutat soll er zum "Superfood" werden. Doch Udo Pollmer warnt: Es lauert Gift in der harten, bitteren Kugel.
"Butterfrucht" – so wird inzwischen eine Südfrucht bezeichnet, die einst als "Alligatorbirne" firmierte, weil sie an den Kopf des Reptils erinnerte. Die Rede ist von der Avocado. Das Fett der Frucht sei supergesund, heißt es, weil es reichlich einfach ungesättigte Fettsäuren enthielte. Da können Sie sich auch ein Stückchen Butter aufs Brot schmieren, das enthält die gleiche Menge an ungesättigten Fettsäuren wie eine ganze Avocado. Der Avocado ist es nämlich gelungen, ein Fruchtfleisch zu produzieren, das so fett wie Butter schmeckt. Dennoch liegt der Fettgehalt des Fruchtfleisches unter 20 Prozent – das allermeiste ist Wasser. Bei der Butter liegen die Verhältnisse genau umgekehrt.

Avocados erzeugen Diabetes bei Labor-Tieren

Die Avocado hat auch sonst einen Hang zum Beschiss: Da sie auf süße Kohlenhydrate verzichtet, greift sie zu einem Kunstgriff. Sie produziert eine Substanz namens Mannoheptulose. Die ist unverdaulich und blockiert die Bildung von Insulin, sodass hohe Blutzuckerspiegel erreicht werden können. Früher nutzte man diesen Stoff, um bei Versuchstieren Diabetes zu erzeugen. Deshalb weisen aufmerksame Ärzte ihre Patienten darauf hin, dass sie sich nicht wundern dürfen, wenn ihr Blutzucker aus dem Ruder läuft, falls sie Avocados genossen haben.

"70 Prozent der Nährstoffe stecken im Kern"

Doch die Avocado besteht nicht nur aus viel Wasser und etwas Fett, Ernährungsfachleute haben es inzwischen auf den großen, harten Kern abgesehen. Der sei weit gesünder als das Fruchtfleisch. "Warum du den Avocadokern immer mitessen solltest" erklärt eine wunderliche Website namens Wunderweib: Ja warum denn nur? Weil "70 Prozent der gesunden Nährstoffe einer Avocado (…) in ihrem Kern" stecken. Die Redaktion der "Brigitte" sekundiert: "Der Kern enthält mehr Nährstoffe (…) als die meisten anderen Gemüse- und Obstsorten." Das ist keine Kunst, denn die bestehen meist zu über 90 Prozent aus Wasser.
Die Redaktion des "Focus" setzt noch einen obendrauf. Sie rät, den Kern zu pulverisieren, um ihn ins Müsli zu streuen oder als Tee aufzubrühen. Denn im Kern seien sogar Aminosäuren enthalten und die sorgen für "Fettabbau". Erstens sind Aminosäuren - also Eiweiß - in nahezu jeder Mahlzeit enthalten, zweitens blockieren die Bitterstoffe des Kerns die Verwertung jedweden Eiweißes im Essen. Also wieder nix.

Der Kern ist hart, bitter – und giftig

Nicht umsonst hat die Pflanze, damit ja kein Fraßfeind auf die Idee kommt, den Kern zu verspeisen, diesen gleich mehrfach gesichert. Denn im Kern steckt ihr Nachwuchs. Er ist steinhart, glitschig und bitter, damit ihn Neugierige sofort ausspeien. Doch die Ernährungsberatung sann auf Abhilfe: Sie empfiehlt den Geschmack einfach zu übertünchen, indem man den Kern im Mixer zusammen mit anderen "Superfoods" als Smoothie zubereitet – beispielsweise mit Spinat, dessen Gehalt an Oxalsäure macht die Zunge bekanntlich pelzig und unempfindlich.
Der Kern ist nicht nur hart und bitter, er ist auch giftig. Um den Avocado-Keimling zu schützen, enthält er von Natur aus Mittel gegen Würmer, Amöben und Pilze. Tiere, die davon fressen, erleiden Lungen- und Leberschäden, manche krepieren an Herzversagen. Besonders empfindlich reagieren Vögel, Pferde, Katzen, Hunde und Meerschweinchen. Ratten entwickeln beispielsweise eine Fettleber. Verantwortlich dafür ist der Gehalt an Persin, eine giftige Fettsäureverbindung. Im Gegensatz dazu gilt das Fruchtfleisch für den Menschen als harmlos – nicht aber Schalen und Kerne.

Einsatz zur Mäusebekämpfung

Natürlich leidet die Pflanze trotz der Rundumabwehr unter tierischen Schädlingen. In freier Wildbahn fressen Baumratten, Kojoten oder Elefanten das Fruchtfleisch. Verschlucken Elefanten versehentlich einen Kern, kommt er hinten unversehrt wieder heraus. Das trägt zur Verbreitung des Baumes bei.
Bei den Tipps, den tollen Kern doch mitzuessen, wird quasi als Bestätigung des tückischen Ratschlags gern erwähnt, dieser würde auch in seiner mexikanischen Heimat genutzt. Das stimmt. Hier das Rezept: Man zerkleinere einen Avocadokern und bestreue ihn mit Käse oder verrühre die Bröckchen mit Schmalz. Diese Zubereitung ist dort ein traditionelles Mäusegift. Mahlzeit!
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