Summer Workout

Freikörperkultur auf dem Rückzug

Am Moritzsee bei Leipzig (Sachsen) sitzen Badegäste bei über 30 Grad Hitze an einem FKK-Abschnitt und beobachten zwei vorbeifahrende Stehpaddler auf dem Wasser, aufgenommen am 08.06.2014.
FKK-Badegäste am Moritzsee bei Leipzig © dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Vanja Budde und Sandra Voß · 27.07.2015
Die Freikörperkultur hat eine lange Tradition, doch die Zahl der Nudisten in Deutschland nimmt kontinuierlich ab. Vor allem Jüngere wollen auf Bikini und Badehose nicht verzichten. Wir haben in Brandenburg, einer einstigen FKK-Hochburg, nach Gründen der Abneigung gefragt.
28 Grad und blauer Himmel. Nach einem kurzen Gang über einen von alten, knorrigen Kiefern beschatteten Waldweg öffnet sich der Blick auf eine helle, feinsandige Badestelle. Die Sonne spiegelt sich golden auf dem glasklaren, blaugrünen Wasser des Tonsees. Kein Wunder, dass das dazu gehörige Örtchen im Süden Brandenburgs Bestensee heißt.
Der Idylle zum Trotz liegen hier nur sehr wenige Menschen im feinen Sand und in den umliegenden Wiesen. Der Grund: An diesem Teil des Sees ist Nacktbaden Pflicht. Die hier fröhlich ohne einen Faden am Leib planschen, sind mit Ihre Nacktheit glücklich. Teils aus praktischen Gründen:
"Weil man nicht mit nasser Badehose am Strand sitzen muss und trocknen muss."
"Zuhause geht man ja auch nicht mit Sachen in die Badewanne."
Oder aus nostalgischen:
"Einfach frei sein! Das ist das Stückchen Freiheit, was wir noch haben! Oh Gott!"
Oder aus politischen:
"Es gibt da keine Klassen. Es ist nicht wie die Gesellschaft heute ist: jeder möchte der Beste sein, der Schönste sein. Hier ist das egal."
"Wenn man nackt ist, sind alle gleich."
FKK-Freunde schwärmen: Leben des Körpers unter natürlichen Bedingungen
So glaubte man auch in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Freikörperkultur entstand. Angeblich in Berlin, in einem der ältesten durchgehend existierenden FKK-Vereine Deutschland, dem AKK Birkenheide, gegründet 1921. Am Motzener See, nicht weit von Bestensee entfernt, hat der Verein seitdem ein zwölf Hektar großes Gelände gepachtet. Bernd Hinkel ist derzeit der Vorsitzende der 440 Mitglieder.
"Die Tradition der Freikörperkultur ist ein Leben in Harmonie mit der Natur, ein Leben des Körpers unter natürlichen Bedingungen, und das ist eben nur zu verwirklichen, aus meiner Sicht oder aus der Sicht der Freikörperkultur, der FKK-Anhänger, indem man das nackt tut."
Dann streicht der warme Sommerwind so schön um den ganzen Körper. Mit Erotik oder gar Schmuddel-Ecke habe das nichts zu tun, betont Hinkel.
"Freikörperkultur ist keine Sexualität, ist ein Leben der Menschen miteinander unter dem Prinzip der Achtung. Man steht zu seinem Körper, man hat keine Probleme mit irgendwelchen Falten. Wenn man jeden so akzeptiert, wie er ist, wie sein Körper gebaut ist, wie er gewachsen ist, dann ist das eine andere Achtung dem Menschen gegenüber als Person und als Mensch an sich."
Diese Akzeptanz vor allem auch des eigenen Körpers - schwindet sie dahin? Viele seiner FKK-Kollegen klagten bitter über Nachwuchsmangel, berichtet Hinkel.
Keine Nackten zwischen 15 und 25
Auch am idyllischen Tonsee fällt auf: Keine Nackten zwischen 15 und 25 Jahren. Warum diese Scheu der Jugend, obwohl doch überall mit bloßer Haut geworben wird, es auf Facebook kaum mehr Privatsphäre gibt, Pornos im Internet frei verfügbar sind und sämtliche Tabus schon längst gebrochen?
"Ich glaube die Älteren sind freier aufgewachsen als wir. Wir sind in Zwängen aufgewachsen, dass die Garderobe den Menschen macht, Kleider machen Leute. Außerdem was Presse, Medien an Schlankheitswahn und Figurvorgaben macht: Wenn man nackt ist, ist man nackt. Da ist mit weg drücken und kaschieren wenig."
"Alles muss Glamour sein und Style und schlank und dies und jenes. Und da nimmt die Schamhaftigkeit bei den Frauen wieder zu, die nicht mehr zu ihrem Körper stehen, die Eigenliebe nicht mehr haben, sondern sich mit diesem Model auf diese Glamourzeitung identifizieren und darum Hemmungen haben, nackt an den Badestrand zu gehen."
Ortswechsel: Neben der Badestelle liegt einer der wenigen FKK-Campingplätze in der Umgebung Berlins. Auch hier: von jungen Nackten keine Spur. Ganz am äußersten Rand des grünen Rasenplatzes, unter dem kühlenden Schatten von hohen Pinien, sitzt ein Pärchen vor den Gräten einer gegrillten Forelle. Früher liefen ihre Kinder ganz selbstverständlich nackig über den Campingplatz, erzählt Katrin. Heute fehlt sowohl der 22- jährige Sohn als auch die 28- jährige Tochter.
"Je älter sie wurden, umso mehr haben sie sich zurückgezogen. Im Moment finden sie es peinlich, weil auch die Gleichaltrigen fehlen. Machen jetzt ihren Schickimicki-Urlaub und ziehen sich gerne was an."
Beide Kinder seien mit Identitätsfindung beschäftigt. Die Mutter hofft auf Reifung, wachsendes Selbstvertrauen - und auf eine Rückkehr ihrer Sprösslinge in die FKK-Kultur.
"Und dann kommen sie vielleicht auch wieder zurück hierher."
Dann sind sie vielleicht so weit wie Badegast Tanja, 45: Eine Schutzschicht aus Kleidern braucht sie nicht. Tanja ist über und über tätowiert. Sie hat kein Problem damit, sich zu zeigen, besonders nackt.
"Ich für mich steh ganz gut im Leben, ich mag mich ganz gerne, und ich glaube, das macht es aus."

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