Suhrkamp / Seidel: "Nun leb wohl! Und hab’s gut!"

Alltagssorgen eines Verlegerpaars im Krieg

Der Leiter des Literaturarchivs an der Frankfurter Goethe-Universität, Wolfgang Schopf, nach einem der Briefe von Peter Suhrkamp. Schopf gibt einen erst vor kurzem wieder aufgetauchten Briefwechsel zwischen Suhrkamp und seiner Frau Annemarie Seidel heraus; Aufnahme vom März 2016
Der Leiter des Literaturarchivs an der Frankfurter Goethe-Universität, Wolfgang Schopf, nach einem der Briefe von Peter Suhrkamp. Schopf gibt einen erst vor kurzem wieder aufgetauchten Briefwechsel zwischen Suhrkamp und seiner Frau Annemarie Seidel heraus © (c) dpa
Von Wolfgang Schneider · 21.07.2016
Ein Fund aus dem Jahr 2009 wurde zum Anstoß für die Edition: Im Nachlass von Annemarie Seidel fand der Herausgeber Wolfgang Schopf etwa 40 Briefe, die sie zwischen April 1944 und Februar 1945 an Peter Suhrkamp geschrieben hatte. Empfohlen wird der Band für ein Fachpublikum.
345 Briefe aus den Jahren 1935 bis 1959 bietet dieser Briefwechsel zwischen dem Verleger Peter Suhrkamp und seiner Frau Annemarie Seidel. Ein Fund aus dem Jahr 2009 wurde zum Anstoß für die Edition: Im Nachlass von Seidel fand der Herausgeber Wolfgang Schopf etwa 40 Briefe, die sie zwischen April 1944 und Februar 1945 an Peter Suhrkamp geschrieben hatte.
Es war – nach einer intriganten Denunziation – die Zeit seiner Haft in Gestapo-Gefängnissen und in den Konzentrationslagern Sachenhausen und Ravensbrück. Gerade in diesem knappen Jahr, das zur größten Belastungsprobe für das Paar wurde, entsteht so ein wirklicher Briefdialog, während in den übrigen dreiundzwanzig Jahren fast nur Briefe Suhrkamps zu lesen sind.
Anrührend sind die gegenseitigen Beteuerungen der Liebe und Fürsorge; vor allem aber ist das Briefgespräch dieses Ehepaars den Alltags- und Arbeitssorgen gewidmet, Suhrkamp neigt zudem zu poetischen Beschreibungen des Wetters. Auf Politisches, auf Nationalsozialismus und Krieg geht er dagegen selten ein. Allein die Luftangriffe auf Berlin werden öfter erwähnt, weil sie zunehmend zum Kriegsalltag gehören und gegebenenfalls "Fliegerschadenerklärungen" einzureichen sind. Zu bedenken ist, dass während der Haft unbefangenes Schreiben nicht möglich war, weil die ein- und ausgehenden Briefe kontrolliert wurden; einmal beschwert sich der Zensor und gibt einen Brief zurück – "er war zu schwer leserlich und zu lang gewesen".

Sommermärchenstimmung im Olympiade-Berlin von 1936

Umso mehr horcht man auf, wenn doch einmal der Zeithintergrund durchscheint. Irritiert schildert Suhrkamp die Sommermärchenstimmung im Olympiade-Berlin von 1936. Alles leuchtet, die Leute sind euphorisch, es herrscht internationales Flair – die Welt zu Gast bei falschen Freunden.
Der Band zeigt, wie nah sich Kritiker, Opportunisten und Anhänger des "Dritten Reiches" oft waren. "Geistiger Abstand zum Nationalsozialismus und praktische Nähe zu seinen Organen gehen ständig nebeneinander her", schreibt der Herausgeber. Scharfe Kritik an Beiträgen in der "Neuen Rundschau" kann Suhrkamp nur durch diese Nähe entschärfen. Er setzt sich dafür ein, dass die Witwe des Schriftstellers Richard Dehmel keinen gelben Stern tragen muss – indem er seine Kontakte zu Emmy Göring spielen lässt. Dass er drei Monate vor Kriegsende noch aus der KZ-Haft entlassen wird, verdankt sich der Intervention des von Hitler verehrten Bildhauers Arno Breker; auch Hanns Johst, der frühe Brecht-Freund und spätere Präsident der Reichsschrifttumskammer, hat sich auf Bitten Annemarie Seidels für Suhrkamp eingesetzt.
Ein großes Thema des Bandes ist die mit der Exilierung von Gottfried Bermann Fischer (1936) stattfindende Übergabe des in Deutschland verbliebenen Teils des S. Fischer-Verlages an die von Peter Suhrkamp geleitete Kommanditgesellschaft S. Fischer KG. 1942 erzwangen die Nationalsozialisten die Namenstilgung des jüdischen Gründers: Nachdem der Verlag zunächst in "Suhrkamp Verlag vorm. S. Fischer" umbenannt war, firmierte er nun nur noch als "Suhrkamp Verlag". Dieses Buch ist zweifellos ein wichtiges Dokument der Geschichte der Verlage Suhrkamp und S. Fischer. Für Leser ohne Spezialinteresse an der Verlagsgeschichte ist es allerdings von geringerem Interesse.

Peter Suhrkamp / Annemarie Seidel: "Nun leb wohl! Und hab’s gut!"
Briefe 1935-1959; hg. v. Wolfgang Schopf
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
847 Seiten, 48 Euro