Süßwasserpolypen

Das Geheimnis des ewigen Lebens

Das undatierte Foto zeigt die Tentakelbildung bei Süßwasserpolypen.
Das undatierte Foto zeigt einen Schritt der Tentakelbildung bei Süßwasserpolypen. © picture alliance / dpa
Von Jennifer Rieger · 04.02.2016
Auf Süßwasserpolypen könnte man neidisch sein. Im Gegensatz zum Menschen schaffen es die Polypen, den körperlichen Verfall aufzuhalten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Demografische Forschung in Rostock sind dem Geheimnis der kleinen Tierchen auf der Spur.
"Ein bis zwei Milimeter groß, kleiner zapfenförmiger Körper mit Tentakeln dran. Mit Klebetentakeln."
Mirco Geyer zeigt auf eins der Aquarien, in denen er in seinem Laden "Mr. Krabs" in der Kölner Südstadt Ziergarnelen züchtet. An der Innenseite der Beckenwand kleben kleine weiße Fäden: Süßwasserpolypen der Gattung Hydra. Bei Aquarianern sind die Tierchen nicht besonders gern gesehen.
"Bei großen Fischen richten sie keinen Schaden an. Nur bei Jungtieren ist es gefährlich. Kleine Fischbabys, die sind ja oftmals unter einem Millimeter groß, können sie gefährlich werden und die fangen sie auch gezielt und fressen sie dann auch auf."
Polypen scheinen ewig jung zu bleiben
Ihren Namen haben die Polypen von dem vielköpfigen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. Schlug Herakles der Hydra einen ihrer Köpfe ab, wuchsen sofort zwei neue nach. Und wie ihr Namensvetter sind auch die kleinen Nesseltiere kaum totzukriegen.
"Hydra kann man auch in kleine Stücke schneiden und aus jedem Stück kann eine neue Hydra heranwachsen."
Ralf Schaible vom Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock beobachtet seine Hydren bereits seit zehn Jahren.
"Das Experiment begann am 1. März 2006. Es wurde begonnen mit einem Individuum und es ist für sich allein in einem Glasgefäß und wird dort seit zehn Jahren gehätschelt."
Süßwasserpolypen vermehren sich meist ungeschlechtlich: Sie bilden Knospen, die sich zu neuen Tieren entwickeln und sich schließlich ablösen. So entstehen Kolonien mit dem gleichen genetischen Material. Diese Eigenschaft haben die Forscher ausgenutzt, so wurden aus einem Individuum mit der Zeit 1800.
"Und diese leben alle einzeln in kleinen Glasgefäßchen mit ihrem Medium, sie bekommen alle das gleiche Futter, dreimal pro Woche, das Medium wird regelmäßig getauscht und sie leben in Inkubatoren. Das sind große Glasschränke, in denen konstante Bedingungen herrschen: 18 Grad, gleiche Lichtbedingungen, 12 Stunden hell und 12 Stunden dunkel."
Ideale Bedingungen für Hydra. Und in Abwesenheit der üblichen Gefahren in freier Wildbahn haben die Forscher Erstaunliches beobachtet: Die Polypen scheinen ewig jung zu bleiben.
"Bei Menschen ist die kontinuierliche Zunahme des Sterberisikos mit dem Alter der typische Effekt des Alterns. Dann gibt es Organismen wie die Hydra, die zeigt das nicht. Sprich: jedes Individuum der Hydra hat das gleiche Sterberisiko in jedem Jahr egal wie alt diese Hydra ist. Ob sie einen Tag oder zehn Jahre alt ist, sie hat immer das gleiche Sterberisiko, das heißt wir haben keine Veränderung des Sterberisikos oder der Sterbewahrscheinlichkeit. Somit altert diese Art nicht."
Im Gegensatz zum Menschen schaffen es die Polypen, den körperlichen Verfall aufzuhalten. Das macht Hydra zu so einem faszinierenden Forschungsobjekt: Könnte sie helfen, das Geheimnis ewigen Lebens zu lüften?
Doch dazu reicht die Arbeit der Demografen nicht aus. Sie ermitteln das Sterberisiko, indem sie Kohorten beobachten, also Tiere, die ungefähr zur gleichen Zeit geboren sind. Eine Rolle spielen dabei nur die Geburten- und Sterberaten. Aussagen darü ber, warum Hydra nicht altert, lassen sich allein aus diesen Daten nicht treffen.
"Das ist die große Frage: warum altert Hydra nicht - und warum altert der Mensch?"
Diese Frage fasziniert auch Thomas Bosch, Professor für Zell- und Entwicklungsbiologie am Zoologischen Institut der Uni Kiel.
"Mich interessiert seit Jahrzehnten, wie schaffen die das? Und die schaffen das durch eine kontinuierlich proliferierende Population an Stammzellen."
FoxO als Langlebigkeitsfaktor
Hydras Stammzellen sind also ständig aktiv: Sie bilden Knospen und generieren Nachwuchs. Wird ein Fangarm abgetrennt, lassen sie neue nachwachsen.
Für die Langlebigkeit der Polypen ist eine erstaunlich überschaubare Anzahl von Genen verantwortlich.
Und eines davon ist FoxO.
FoxO ist ein sogenannter Langlebigkeitsfaktor. Und nicht nur bei Hydra, auch bei alternden Menschen spielt FoxO eine entscheidende Rolle. Eine bestimmte Variante des Gens kommt besonders häufig bei über 100-Jährigen vor. Ist FoxO also ein Jungbrunnen, das Geheimnis ewigen Lebens?
"Jetzt muss ich Ihnen sagen: die Genetik, nach allem was wir wissen, ist 30 Prozent des Alterns. 70 Prozent ist nicht genetisch determiniert."
Hydra bleibt zwar von natürlichen Alterungserscheinungen verschont, doch auch sie ist nicht wirklich unsterblich. Die Umweltbedingungen setzen den zarten Polypen zu: Wasserverschmutzung, Temperaturveränderungen, Fressfeinde... um trotzdem zu überleben und um sich zu vermehren, muss Hydra ständig neue Zellen herstellen. Ewige Jugend ist eher ein Nebeneffekt ihrer Überlebensstrategie, glaubt Thomas Bosch.
"Genau. Ich glaube für den Außenstehenden klingt das so spektakulär, hier ist jemand der behauptet, er hätte einen unsterblichen Organismus - ich glaube die Natur spielt mit vielen verschiedenen Lebensstrategien und Lebenszyklen und hat hier eben einen Organismus erfunden, der beschlossen hat vornehmlich ungeschlechtlich sich fortzupflanzen."
Vielleicht wird die Forschung an den Süßwasserpolypen uns in Zukunft helfen, die Beschwerden des Alterns zu lindern oder sogar dem großen Traum der Unsterblichkeit näher zu kommen – doch Zierfischliebhaber und Garnelenzüchter wie Mirco Geyer werden wohl nie große Fans von Hydra werden.
"Ich bin froh, wenn ich sie nicht sehe."
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