Süßes mit exotischen Gewürzen

Von Udo Pollmer · 27.11.2011
In der Weihnachtsbäckerei liegen in diesem Jahr Kombinationen von Süßem und Würzigem im Trend. Ungewöhnliche Kreationen wie Nougat mit Thymian oder Pralinen mit Salz zeigte die Messe "Zimt und Sterne" in Münster. Ob das wohl gut geht? Udo Pollmer berichtet.
Das Schönste an den Mode-Kreationen der Plätzchendesigner und Geschmackskünstler ist, dass ein Jahr später kein Hahn mehr danach kräht. Mag schon sein, dass die Plätzchen mit Roter Bete oder die Pralinen mit Basilikum interessant schmecken - aber diese Moden können gegen die traditionelle Weihnachtsbäckerei nicht anstinken. Denn nicht der Geschmack ist es, der ein Gebäck auf Dauer erfolgreich macht - sondern seine Wirkung.

Werfen wir also einen Blick auf die typischen Zutaten. Beginnen wir mit den Mandeln - sie haben ja zur Adventszeit Hochkonjunktur. Auffällig ist, dass vor Weihnachten nicht nur die süßen Mandeln sondern explizit auch die bitteren gefragt sind. Das ist schon komisch. Denn erstens essen die Menschen nicht gerne Bitteres, sondern sie lieben Süßes. Und zweitens ist der Stoff, der die Mandeln bitter macht, auch noch ziemlich giftig. Er setzt beim Rohverzehr Blausäure frei. Deshalb werden die bitteren Exemplare nur in kleinen Tütchen zu 50 Gramm und mit ausdrücklichen Warnhinweisen verkauft. Zu Recht!

Wie funktioniert unser Appetit auf giftige Mandeln? Nun, sie enthalten Amygdalin, das wird bei der Zerkleinerung in seine Komponenten gespalten: Dabei tritt die bereits genannte Blausäure aus, und die verflüchtigt sich; gleichzeitig wird aber auch der Aromastoff Benzaldehyd freigesetzt, also genau der Aromastoff, der Marzipan oder Amaretto ihren typischen Geruch verleiht.

Dieser Benzaldehyd reagiert im Marzipan bereitwillig mit einem Eiweißbaustein zu einem ß-Carbolin. Und viele ß-Carboline wirken sich positiv auf die Stimmung des Menschen aus. Weil die Reaktion sogar in der Kälte stattfindet, lässt sich Marzipan durch intensives Verkneten und Verreiben von Mandeln mit Zucker sogar bei Zimmertemperatur herstellen. Marzipan hat somit auch eine andere Wirkung als gebrannte Mandeln. Bei den gebrannten Mandeln spielen die Karamelisierung und der Zimt die Hauptrolle. Die Psychostoffe im Karamell sind bis heute unbekannt. Doch der Zimt steuert ebenso wie die bittere Mandel einen Aldehyd bei, diesmal den Zimtaldehyd. Auch der reagiert zu gute Laune Carbolinen.
Vanillekipferl und Anisplätzchen werden im Gegensatz zu Marzipan stets gebacken. Der Grund sind auch diesmal ihre Hauptaromastoffe, das Vanillin und der Anisaldehyd. Beide reagieren, wie zu erwarten, ebenfalls zu ß-Carbolinen, allerdings erst im Backofen. Derartige Stoffe sind in zahllosen ätherischen Ölen zu finden, auch in Zitrusfrüchten, und da ganz besonders in der zum Backen beliebten Schale. Warum sonst würden wir aufwendig Zitronat und Orangeat herstellen? Niemand kommt auf die Idee, die angeblich so gesunden Apfelschalen, die beim Backen eines Apfelstrudels anfallen, mitzuverwenden oder gar zu kandieren.

Zur Herstellung von Orangeat verwendet man sogar die an sich ungenießbaren Schalen der Pomeranze, der Bitterorange. Durch das Kandieren werden die bitteren Wirkstoffe soweit maskiert, dass sie auch Kinder essen. Einer der interessantesten Inhaltsstoffe in den Schalen ist das Synephrin. Es hilft bei niedrigem Blutdruck. Deshalb wird in England allmorgendlich auch eine Marmelade aus Pomeranzenschalen verzehrt, die berühmte "Marmelade". So machen die Zitrusschalen nicht nur im Dunkel der Adventszeit sondern das ganz Jahr über bei nebeligem Wetter ein wenig munterer. Mahlzeit!
Literatur:
Pollmer U et al: Opium fürs Volk - natürliche Drogen in unserem Essen. Rowohlt, Reinbek 2010