Südsee

Die Nachfahren der Bounty-Meuterer

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Blick auf die zu Großbritannien gehörende Vulkaninsel Pitcairn im südlichen Pazifik © picture-alliance / dpa / Angela Merker
Von Andreas Stummer · 26.02.2014
Pitcairn ist eine winzige Insel auf halbem Weg zwischen Neuseeland und Peru. Hierhin flohen die Bounty-Meuterer 1789. Ihre Nachfahren leben heute noch auf dem abgelegenen Eiland - und setzen nun auf exklusiven Tourismus.
Willkommensfeier für eine Verschollene. Mit Lagerfeuer und selbstgebranntem Rum. 15 Jahre war Jacqui Christian nicht mehr auf Pitcairn. Jetzt ist sie heimgekehrt - an einen der abgeschiedensten Orte der Erde. Eine Insel, 4,5 Quadratkilometer klein, mitten im Pazifik auf halbem Weg zwischen Neuseeland und Südamerika. Jacqui hatte es geschafft. 1995 nahm sie ein Frachtschiff mit nach Neuseeland. Sie wurde Apothekerin und heiratete. Glücklich aber war Jacqui nicht. Jetzt, mit 34, ist sie wieder zurück. Wie es im Lied heißt: Bis du auf Pitcairn geboren, dann willst du auch auf Pitcairn sterben.
Wer auf Pitcairn aufwächst, der geht, wie Jacqui, irgendwann weg. Zur Schule oder an die Uni. Wer woanders gelebt hat, der ist auch nicht mehr reif für die Insel. In den 30ern gab es mehr als 200 Menschen auf Pitcairn, heute sind es nur noch 54. Und die Bevölkerung wird immer älter, bald zu alt, um sich selbst zu versorgen. Jacqui Christian aber hat einen Plan: Jetzt sollen Touristen Pitcairn Island entdecken. Die Insel auf der sich ihr Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater Fletcher Christian 1790 nach der Meuterei auf der Bounty vor den Briten versteckte.
Jacqui Christian: "Er und seine Mannschaft suchten zwei Monate lang nach Pitcairn. Als sie die Insel fanden, ließen sie die Bounty auf Grund laufen, steckten sie in Brand und versenkten sie. Niemand sollte die Meuterer finden. Heute ist die Bounty-Legende alles, was uns noch geblieben ist. Was wir brauchen, ist Tourismus, damit unsere Insel eine Zukunft hat und unsere jungen Leute wieder nach Hause kommen."
Pitcairn braucht frisches Blut, denn das Inselleben ist hart. Fischen, Früchte trocknen, Gemüse anbauen oder irgendetwas reparieren. Auf Pitcairn kann man nicht einfach den Klempner rufen, wenn der Wasserhahn tropft. Die Bewohner sind Selbstversorger, sie haben ihre eigene Kultur – halb westlich, halb Südsee – und sie haben ihre eigene Sprache. Eine stolze Mischung aus beidem.
Das Erbe der Bounty-Meuterer ist überall auf Pitcairn. Der Schiffsanker steht vor der Kirche in Adamstown, der einzigen Siedlung: Nicht mehr als 20 wellblechgedeckte Holzhäuser verstreut über ein dicht bewachsenes Plateau. Ein Gemeindesaal, ein Schulgebäude. Pitcairn ist die Spitze eines Vulkankegels. Das Wrack der Bounty liegt nur 50 Meter vom zerklüfteten Ufer auf dem Grund der Bucht, weiter draußen aber fällt der Vulkan bis in 3000 Meter Tiefe ab. Das einzige, das es auf Pitcairn im Überfluss gibt, ist Ozean so weit das Auge reicht.
Enric Sala: "Pitcairn ist so einzigartig, weil die Inselgruppe zu den entlegensten der Welt gehört. Dort leben nur ein paar Dutzend Menschen und sie fischen nur für ihren Eigenbedarf. Die Unterwasserwelt ist noch so unberührt wie vor 200 Jahren."
Das Wasser um die Insel ist das sauberste der Welt
Enric Sala redet mit Händen und Füßen, wenn er von seiner Zeit auf Pitcairn erzählt. Einen Monat war der spanische Meeresforscher auf der Insel – mit Tiefsee-Tauchausrüstung und Kameras. Im Auftrag der Pitcairner für eine Volkszählung unter Wasser. Sala und sein Team fanden Korallenbänke in allen Farben und Größen und fast 1300 Arten von Meereslebewesen. Darunter 365 Fisch-, 22 Wal- und Delfinarten und bedrohte Schildkröten-Spezies. Enric Sala entnahm Proben, die ergaben: Das Wasser um Pitcairn und die unbewohnten Nachbar-Eilande ist das sauberste der Welt. Weshalb der Inselrat einstimmig beschlossen hat, alles zu unternehmen, damit das auch so bleibt.
Enric Sala: "Die Inselbewohner wollen dass die Gegend unter Schutz gestellt wird denn ihr Leben und Überleben hängt von einem gesunden Ozean ab. Für uns Meeresforscher bieten die Eilande eine einmalige Gelegenheit: Sie sind so naturbelassen, dass sie wie ein Nullwert dienen. Die unverfälschten Ökosysteme dort zeigen uns wie Meere früher waren und wie sie in Zukunft sein sollten."
Die Pitcairn-Inseln sind britisches Überseegebiet. Jede Entscheidung über die letzte Kolonie des Empires im Pazifik wird in London getroffen. Über Skype oder Satellitentelefon zu verhandeln, ist so mühsam wie unpersönlich. Deshalb haben die Pitcairner Josh Reichert engagiert. Der Amerikaner gehört zur PEW Umweltgruppe, einer US-Organisation, die sich für Naturschutz einsetzt. Reichert soll mithelfen, die britische Regierung dazu zu bewegen, die Gewässer um die Pitcairn-Inseln zu einer riesigen Meeresschutzzone zu erklären. Ein Gebiet dreieinhalb mal so groß wie Großbritannien.
Josh Reichert: "Das würde bedeuten, die Suche nach Öl- oder Gasvorkommen, kommerzieller Fischfang und jeglicher Tiefsee-Bergbau wären verboten. Auf einer Fläche von 830.000 Quadratkilometern. Die britische Regierung würde dadurch das größte Meeresschutzgebiet der Welt schaffen."
Von der Bootsrampe auf Pitcairn sind es nur paar Schwimmzüge bis zu den Korallenbänken in der seichteren Bucht. Weiter nach draußen zu den Vulkankratern und jenseits der Riffkante nimmt man ein Boot. Die Pitcairn-Inseln sind ein Unterwasserparadies vor dem Sündenfall. Hobby-Schnorchler, Sporttaucher oder Meeresbiologen: Der Werbetext für eine "Besuchen sie Pitcairn"-Broschüre schreibt sich praktisch von selbst. Jacqui Christian glaubt fest daran, dass Pitcairns Tauchgründe mithelfen werden die ganze Insel über Wasser zu halten.
Jacqui Christian: "Wir leben in einem milden Klima, das für uns sehr angenehm ist. Diese Bedingungen sind aber nicht ideal für große Fischschwärme. Kommerzieller Fischfang lohnt sich nicht, denn die Bestände wären schnell erschöpft. Mit einem Meeresschutzgebiet aber könnten wir unsere Gewässer auf sanfte und umweltverträgliche Weise nutzen."
Inselversammlung im weiß getünchten Gerichtsgebäude von Adamstown. Geredet wird erst, wenn man zusammen gesungen hat. 40 von 54 Pitcairnern, fast die ganze Insel ist da. Und hoher Besuch: Vicki Treadwell, die neuseeländische Gouverneurin für Pitcairn. Ihr Job ist es zwischen den Bewohnern und der britischen Regierung zu vermitteln. Geldangelegenheiten, Baugenehmigungen, Versorgungsprobleme: Treadwell ist Mädchen für alles. Sie kommt dreimal im Jahr auf die Insel. In Pitcairn nennt sie jeder nur "das Finanzministerium".
Die Zukunft liegt online
"Ohne Einkommen kein Auskommen”, meint Treadwell. Selbst eine so kleine Inselgemeinschaft wie Pitcairn brauche einen Wirtschaftsplan. Beim Meeting geht es um Souvenirs "Made in Pitcairn." Auf einem langen Esstisch sind bauchige Gläser mit Wildbienenhonig gestapelt, daneben liegen handgeschnitzte Paddel mit der Gravur "MS Bounty" und – vorsichtig ausgebreitet: Tapas – mit farbigen Mustern und Motiven bemalte Stoffe aus weichgeklopftem Baumrindenbast. Früher waren es seltene Pitcairn-Briefmarken, die bei Sammlern gefragt waren und der Insel nicht viel, aber regelmäßig Geld brachten. Heute aber will kaum jemand mehr welche haben.
Ein-, zweimal im Monat machen Kreuzfahrtschiffe, unterwegs zwischen Panama und Neuseeland, für ein paar Stunden Halt vor Pitcairn. Gelegenheit für die Einheimischen, an Bord Schnitzereien, handbedruckte T-Shirts oder Muschelschmuck zu verkaufen. Die Zukunft aber liegt online. Die Insel hat Breitband per Satellit und eine Webseite. Auf der will Gouverneurin Vicki Treadwell jetzt Pitcairn-Souvenirs anbieten. Mit Foto, Echtheitszertifikat und in alle Welt. Auch die traditionellen Tapas sollen schon bald über’s Internet zu haben sein.
Auf diesem Windjammer wurde der Filmklassiker "Meuterei auf der Bounty" mit Marlon Brando gedreht.
Auf diesem Windjammer wurde der Filmklassiker "Meuterei auf der Bounty" mit Marlon Brando gedreht.© dpa / pa / Wagner
Vicki Treadwell: "Diese Stofftapeten sind einmalig. Sie sind eine Tradition, die in der völligen Abgeschiedenheit der Insel entstanden ist. Jedes der Stücke ist hunderte Dollar wert und nur ein Beispiel wie sich die Inselbewohner selbst helfen können. Tourismus allein ist nicht genug. Wenn Pitcairn auf eigenen Füßen stehen soll dann braucht die Insel auch einen Absatzmarkt für lokale Kunst und handgemachte Souvenirs."
Über Geld spricht man nicht auf Pitcairn. Warum auch? Die Einheimischen haben so gut wie kein Einkommen und zahlen keine Steuern. Die Insel hängt am Tropf der Auslandshilfe Großbritanniens und der EU. Etwa zwei Millionen Euro jährlich finanzieren das Versorgungsschiff, das alle drei Monate vorbeikommt und bringt, was Pitcairn zum Überleben braucht. Von Lastkränen, Benzin und Baumaterial bis zu Milchpulver und Transistoren für die Funkstation.
Früher die einzige Verbindung zur Außenwelt ist das Funken heute für die Pitcairner nurmehr ein Zeitvertreib. Seit 2002 gibt es Internet, aber kein Fernsehen und das Hörfunksignal rauscht lauter als die Brandung des Pazifiks. Pitcairn liegt so weit weg von allem, dass nichts Weltbewegendes den Insel-Alltag stört. Wen kümmern schon globale Finanzkrisen, Afghanistan oder Syrien, wenn ein Dieselgenerator den Geist aufgibt oder ein Kreuzfahrtschiff am Horizont auftaucht ?
"Ich möchte nie von hier weg"
Pawl Warren schiebt Funk-Dienst in der stickigen Wellblechbaracke oben am Garnett’s Ridge. Das Felsplateau ist der höchste Punkt der Insel, 337 Meter über dem Meer, am Ende einer steilen, gewundenen Schotterstraße. Warren hat sich mit dem Geländemotorrad den Berg hochgequält. Ein massiger Mann mit Kopftuch, Ohrring und Oberarmen, wie man sie nicht im Fitnessstudio bekommt. Der Blick aus der Funkkabine ist atemberaubend, der Pazifik glitzert in der Mittagssonne um die Wette. "Ich möchte nie von hier weg", sagt Pawl Warren, "denn sollten wir je die Insel verlassen, dann hätten die Briten doch noch gewonnen."
"Ich mache mir Sorgen um die Zukunft – wir alle machen uns Sorgen. Wir wollen die Insel nicht aufgeben, das sind wir unseren Vorvätern und den Bounty-Meuterern schuldig. Wir müssen unabhängig sein. Unsere Probleme können wir nur lösen, wenn wir selbst soviel Geld wie möglich erwirtschaften."
Um auf eigenen Füßen stehen zu können, braucht Pitcairn Hilfe von außen. Und vor allem Touristen. Doch wie die auf die Insel kommen und wie sie dort untergebracht werden sollen, darüber zerbricht man sich weitab von Pitcairn den Kopf. 5000 Kilometer weit weg, in Neuseelands Hauptstadt Wellington.
Draußen eine gepflegte Sandsteinfassade, drinnen Edelholz-Parkettboden und schwere Ledersofas. Aus unsichtbaren Lautsprechern tröpfelt leise Musik. Der Wellesley Club ist eine von Wellingtons exklusivsten Adressen, entworfen von dem Neuseeländer Wayne Coffey. Der Multi-Millionär, Ende 50 - ein Selfmade-Unternehmer, der nie Krawatte trägt - hat sein Vermögen als Bau-Designer gemacht. Jetzt plant er, mit dem Segen der Pitcairner, ein Boutique-Hotel und eine Flugverbindung auf die Insel. Um nach Pitcairn zu kommen, braucht man von Tahiti aus eineinhalb Tage mit dem Boot, per Propeller-Flugzeug wären es nur vier Stunden. Doch für eine Landebahn ist Pitcairn zu felsig, nicht aber das flache, unbewohnte Nachbar-Eiland Oeno. Von dort, meint Coffey, wären die letzten 175 Kilometer mit dem Hubschrauber nur noch ein Katzensprung.
Wayne Coffey: "Wir wollen helfen, die kulturell so besondere Geschichte der Insel zu bewahren und wenn wir damit auch noch ein wenig Geld verdienen können – umso besser. Massentourismus wird es auf Pitcairn nicht geben, die Einheimischen wollen nie mehr als 25 Touristen auf der Insel. Dadurch wird ihr Leben nicht beeinträchtigt und gleichzeitig bieten wir den Touristen ein einzigartiges Erlebnis."
Schroffe Klippen statt Südsee-Strände, Strom nur für ein paar Stunden am Tag und kein Laden in dem man etwas kaufen könnte. Ferien auf Pitcairn versprechen den etwas anderen Urlaub. Da ist das Wrack der Bounty in der Bucht, aber ein Spaziergang einmal um die Insel dauert nicht einmal 20 Minuten. Doch mit Platz für nur 25 Gäste verspricht Unternehmer Wayne Coffey eines der exklusivsten Reiseziele der Welt.
Wayne Coffey: "Ein Trip auf die Insel ist eine einmalige Reise zum Schauplatz eines einzigartigen Kapitels der britischen Seefahrtsgeschichte. Es gibt vier Hollywood-Filme über die Meuterei auf der Bounty und mehr als 2000 Bücher. Abertausende in aller Welt kennen die Geschichte der Bounty und würden zu gerne daran teilhaben. Das wollen wir erstmals möglich machen."
Kindesmissbrauch und Vergewaltigung
Worüber Wayne Coffey aber nur ungern spricht, ist Pitcairns dunkle Vergangenheit. Alleingelassen von den Briten, ohne Recht und Ordnung, war die Insel ein moralisches Vakuum. Die Männer nahmen das Gesetz in die eigene Hand. Immer wieder gab es Anschuldigungen, dass Mädchen und junge Frauen auf der Insel sexuell missbraucht würden, aber es dauerte bis ins Jahr 1999, bis die Vorwürfe verfolgt wurden. Sechs Jahre später kam es auf der Insel zu einem spektakulären Prozess, Richter, Ankläger und Verteidiger reisten eigens aus Neuseeland an. Pitcairns Männer plädierten "nicht schuldig". Das Alter für sexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau sei auf der Insel 12 Jahre und nicht 16 wie anderswo. Die Pitcairnerin Jacqui Christian war anderer Meinung. Sie war eine von sieben Frauen, die damals gegen die Männer aussagten.
"Ich liebe die Insel trotzdem, sie ist meine Heimat. Es leben Menschen hier, die schlimme Dinge getan haben, aber solche Menschen gibt es überall. Ich möchte, dass Pitcairn eine Zukunft hat. Ich hoffe, dass die Insel in 200 Jahren immer noch bewohnt ist und es hier eine blühende Gemeinde gibt."
Kindesmissbrauch und Vergewaltigung Minderjähriger in 32 Fällen: Sechs Pitcairner wurden bei dem Verfahren schuldig gesprochen, drei bekamen mehrjährige Haftstrafen. Einer war Steve Christian, der mächtigste Mann der Insel. Er steuert Pitcairns Transportboot, er macht die Röntgenbilder in der Klinik und ist Vormann, wenn gebaut wird. Christian wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Er half mit das Gefängnis zu bauen, in dem er später seine Strafe absaß und das jetzt ein Touristen-Hotel werden soll. Über gestern will Christian nicht reden. Seine Schuld hat er nie eingestanden, aber den dichten, schwarzen Schnurrbart, den er früher getragen hat, den hat er abrasiert. "Ob es uns gefällt oder nicht", gesteht Steve Christian, "wir alle müssen uns ändern."
"Wer durch meine Tür kommt, wird als Gast behandelt. Mein Haus steht jedem offen, einem Inselbewohner oder einem Touristen. Es wird Zeit, dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen. Denn wenn wir auf dieser Insel leben wollen, dann müssen wir alle zusammenhalten. Sonst gehen wir unter."
Für die Bewohner der Pitcairn-Insel ist die Legende der Meuterei auf der Bounty halb Fluch, halb Segen. Die ganze Welt kennt sie, aber Hollywood hat ihren Vorvätern und ihrer Heimat ein romantisches Denkmal gesetzt, die Illusion eines Paradieses auf Erden. Die Wirklichkeit aber hat die Insel längst eingeholt. Mit Tourismus als Rettungsring ist für die Pitcairn nach mehr als 200 Jahren Isolation vielleicht endlich Land in Sicht. Und sollten die Touristen den Nachfahren der Bounty-Rebellen auf die Nerven fallen – dann wird eben wieder gemeutert.
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